Aus der Music Issue 2016

Bedient man sich des Spagats als Sinnbild der musikalischen Generationen-Überbrückung, kann man die Schönbrunner Gloriettenstürmer als Österreichmeister der Bodengymnastik sehen. Ich weiß nicht, wie gut sich Österreich im internationalen Vergleich bei Olympia angestellt hat—es interessiert auch wirklich Niemanden; aber wir nehmen mal an, dass es zumindest im nationalen Wettbewerb sehr hart zugeht und die Gloriettenstürmer alle in den Boden turnen.

Wanja und Jonas—die zwei bilden die Stürmer—verbinden deswegen die Generationen so meisterlich, weil sie es schaffen, mit dem ausgelutschtesten Genre der Moderne, dem Schlager, ironisch genug umzugehen, um dem Hipstertum wohlwollend das Kinn zu kraulen und gleichzeitig souverän genug aufzutreten, um sich auch im professionellen Schlagerstadl zu behaupten.

Kurz gesagt: Die Schönbrunner Gloriettenstürmer sind für alle da. Für deine

Oma

und für den Hardcore-Radiohead-Fan. Sie sind wandelnde Paradoxien. Das beginnt schon bei ihrem Namen, der für mich schon immer etwas Grausig-Erotisches an sich hatte und dabei gleichermaßen romantische Gedanken an die

Kaiserzeit

auslöst. Und dabei schäme ich mich eigentlich für unsere Inzest-Monarchie-Vergangenheit.

Diese Gegensätzlichkeit findet man auch in ihrer Musik. Die Gloriettenstürmer—sorry, ich kann nicht anders, als bei dem Namen an irgendwelche Popospielchen zu denken—besingen das einzige Thema, das den Schlager interessiert: die Liebe. Ausnahmslos. Wir reden hier von Schmalzkalibern wie: "Ein heller Diamantenregen schenkt unsrer Liebe Segen. Du bist einfach der Renner, drum sag ich: 'Liebe now or never'."

Gepaart mit klassischen Schlagerkadenzen, hinterlässt ihre Musik den Eindruck, als hätte man es hier mit stinknormalem Musikantenstadlmaterial zu tun. Dann sieht man das Video zu "Der Duft der Liebe" und jegliche Zweifel an ihrer ironischen Einstellung verfliegen wie Rosenblätter im Wind (OK, ich lass das vielleicht lieber mit dem Pseudokitsch). Das Video könnte genauso gut jeden Gangsta-Rap-Song halbstarker Deutschrapper begleiten—inklusive dicker Autos, Gemeindebauten und Pelzmäntel.

Trotz oder vielleicht genau wegen dieser offensichtlichen Abkehr vom biederen Schlager haben es die beiden Jungs geschafft, mittlerweile für richtig große Namen der Schlagerwelt Songs zu schreiben. Ich rede hier von stadionfüllenden Künstlern, die in unseren Breiten jeder kennt. Leider dürfen die Namen noch nicht veröffentlicht werden, aber seid euch sicher, dass ihr beeindruckt wärt, wenn ihr wüsstet, um wen es sich handelt.

Wenn sie wollten, könnten sie die nächsten Spitzbuam Markus werden und im harten Schlager-Business ihre Seele verkaufen. Lieber versorgen sie uns mit den schmalzigsten Liebesliedern seit Lionel Richie und erhalten mit jeder Nummer ein bisschen den Zweifel am Leben, ob sie es nicht doch ernst meinen. Genau darum sind die Gloriettenstürmer so unterhaltsam, weshalb wir die beiden Jungs dazu auserkoren haben, für uns die wichtigsten Schlager-CDs der letzten Jahre zu rezensieren. Damit wir endlich mit unseren Großeltern und Eltern ordentlich übers Nockalm Quintett debattieren können.

Andreas Gabalier
Koch Music

Einer der wohl außergewöhnlichsten Aufstiege im Volksmusik-Biz. Gleich sein erstes Album ist Gold gegangen. Von den aktuellen Sachen sind wir nicht wirklich angetan. Der fast krampfhafte Spagat zwischen radiotauglichem Sound und der Alpen-Ästhetik findet nach wie vor überraschend viel Zuspruch. Seinen Zauber hat er dadurch aber ein bisschen verloren.

Auf seinem ersten Album finden sich jedoch ein paar Juwelen—"Steirerland" und "Amoi seg' ma uns wieder" sind Hits, keine Frage. Wenn man bedenkt, dass Gabalier auch keine einfache, familiäre Geschichte hat, wirkt "Amoi sei' ma uns wieder" auch nicht mehr so als "Großvater"-Abklatsch. Was die "Kämpfer"-Line in "Steirerland" bedeuten soll, haben wir nicht rausgefunden. Lieder wie "Fesches Madl" wirken teilweise wie ein Kinderlied—konträr dazu steht das "VolksRock'n'roller"-Image, das bei "That's Life" aber zeigt, dass es bei Gabalier eher ein Rock-Volksmusik-Hybrid geworden ist.

Und man kann doch nicht nur von "Dirndln" und "Madln" singen? Die beschränkte Themenauswahl macht das Durchhören der Platte ein wenig anstrengend. Prinzipiell ein sauberes Album mit Höhen, Tiefen und einem riesigen Batzen Patriotismus, der fast nationalistische Züge annimmt. Also nicht nur eine Geschmackssache, sondern auch der Fakt, dass er irgendwo am rechten Mentalitäts-Rand einzuordnen ist, trübt das Hörvergnügen. Aber wie wir so schön zu sagen pflegen: Wenn du die Fans zum Weinen bringst, hast du es geschafft. Herzzerreißendster Track: "Steierland", Stürmer 2: "Ich hätte den Song gerne selbst geschrieben!" 3 von 5 Glorietten.

Nockalm Quintett
Universal Music

Wenn man Heinz Strunks Fleisch ist mein Gemüse kennt, muss man sicherlich ebenfalls an volle Bierzelte und Feuerwehrfeste denken. So auch beim Nockalm Quintett. Eine Frage gleich zu Beginn: Warum heißen die Burschen "Quintett" und es finden sich sieben Personen auf dem Cover?

Man muss dazu sagen, dass dieses Album das Einzige war, von welchem uns noch kein einziger Song bekannt war. Umso mehr schlägt "Torero der Liebe" ein. Ein großartiger Titel, der sich in der Tausendschaft der "Spanisches-Wort-trifft-deutschen-Artikel-und-Substantiv"-Songs einreiht. So random, das es wieder geil ist.

Stichwort "geil": Das ganze Album setzt sich aus 0815-Schlager-Phrasen zusammen und mittendrin singt einer "geil"—das Wort hat das siebenköpfige Quintett sicher bei ein paar Jugendlichen aufgeschnappt. Das passt irgendwie zu keinem der 42 Alben, die auf Wikipedia gelistet sind. Baut doch lieber länger an den Instrumentalen, statt jedes Jahr ein Album oder zwei zu releasen.

"Ohne dich wär' ich längst verlorn" ist der Favorit des Albums, der Song sticht heraus—nicht nur instrumental, sondern auch melodiös. Der Sänger hat eine ganz schöne Stimme, aber leider klingt jeder Song, wie ein halbherziger Helene-Fischer-Song, nur mit weniger Budget, auch beim Songwriting. Die Strophen sind inhaltslos und es dreht sich textlich um nichts, nur um uns dann eine leicht eingängige Hook-Melodie in die Ohren zu schmettern.

Man kann direkt beim ersten Hören mitsingen. Ups, jetzt haben wir Schlager erklärt. Aber wie wir so schön sagen: Wenn du mit Haus-Maus-Reimen Gold gehst, hast du es geschafft. Herzzerreißendster Track: "Ohne dich wär' ich längst verlorn". 1 von 5 Glorietten

Nik P.
Ariola

"Wenn die Liebe deinen Namen ruft" schallt etwa einmal im Monat durch unsere WG. Nicht nur das "Dam Dam", sondern der ganz Track ist ein Welt-Hit! Das Schöne daran ist, dass jeder Track auf dem Album komplett überproduziert wurde—hier noch eine kleine Gitarre, da ein Echo, "oh ja, geil, lass da noch eine vierte Stimme machen".

Das Teil ist natürlich auch Gold gegangen. Der Track "Es ist mehr als Liebe" punktet mit einem Anglizismus, da hat er direkt das Wort "Darling" gedroppt. Die Texte könnten auch von uns sein. Ein negatives Highlight des Albums ist "Ireen 2011", damit hat er für uns am Ende des Albums noch das Selbige vollkommen kaputt gemacht.

OK, der Synthie in der Hook ist schon ganz nice! Aber Nik P. ist ein richtiger Schlager-Hustler: 13 Alben, die er nicht nur selbst geschrieben, sondern ganz schlageruntypisch mit fixer Band eingespielt hat. Es wirkt, als würde er denken, er macht Rock'n'Roll und keiner hat ihm gesagt, dass es wie Schlager mit verzerrter Gitarre klingt. Kann ihm aber auch scheißegal sein, der lebt noch von den Tantiemen, die er von "Ein Stern, der deinen Namen trägt" bekommt, weil deine Mama das Lied damals im Radio nicht ausgemacht hat.

Am Ende bleibt ein Hybrid aus Fremdschämen und Ergriffenheit. Aber wie wir so schön zu sagen pflegen: Alter, wenn du fünf Best-of-Alben hast, hast du es geschafft. Herzzerreißendster Track: "Wenn die Liebe deinen Namen ruft". (Das "Dam Dam" im Song ist der Killer!) 3 von 5 Glorietten

Hansi Hinterseer
Ariola

Wenn wir schon von Hustler reden: Hansi ist der Inbegriff eines Alm-Hustlers. Der hat nämlich einfach schon über 40 Alben, war Pisten-Profi und ist einer der bestverdienenden Musiker Österreichs—und was hast du aus deinem Leben gemacht?

Meine Oma hat mir von Hansi erzählt, weil den kennt man in Tirol. Sie meinte, er sei ein lieber Kerl. Das macht auch Sinn, weil mehr Volksmusik geht fast nicht. "Lieb dein Leben" zeigt ganz schön, dass die Thematiken eher das ältere Publikum ansprechen sollen. Die Line "Berge, Sonne und Schnee des hob i so gerne" ist bezeichnend für das gesamte "Gefühle"-Album. Ernsthaft, "Gefühle"? Hoffentlich heißt das nächste Album "Liebe".

Auch die Songtitel "Canzone D'Amore" und "Ay ay ay ay ay" sind wirklich ein Frechheit. Aber solange die Refrains so direkt in die Birne gehen, hat Hansis Musik ihren Platz in den Charts verdient. Die Produktionen sind enorm simpel gehalten, deswegen hat man sich nach einem halben Track direkt das ganze Album totgehört. Man wird nach dem zweiten Track auch kaum mehr überrascht. Macht aber nichts, man hat ja noch das Album-Cover—warum, um Gottes Willen, wird das nicht nach einem allgemeinen Ästhetik-Bewusstsein gestaltet?

Es wollen doch sicher alle, dass das Cover gut aussieht. Aber vielleicht ist das die angesagte Ästhetik wenn man über 65 ist. Es ist auf jeden Fall nicht sein bestes Album. Aber wie wir so schön zu sagen pflegen: Alter, über 40 Alben ist heavy! Ach und Hansi, bei uns liegen noch zwei extra für dich geschriebene Songs rum! Herzzerreißendster Track: "Lieb dein Leben". 1 von 5 Glorietten