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James Franco hat 'Leviathan' für uns rezensiert

James Franco hat in der bildgewaltigen Doku über Hochseefischer seinen Moby Dick gefunden.

An einem Dienstagabend schien das Music Hall Theater wie ausgestorben. Ich kam bereits eine Stunde vor der Vorführung von Leviathan an. Als ich das Kino betrat, dachte ich noch, bei dem Film handelt es sich um einen poetischen Dokumentarfilm über das Leben von Tiefseefischern.

Vor Beginn des Films saß ich in der Lobby und las Extra Lives: Why Video Games Matter. Irgendwann stürmte eine Gruppe israelischer Frauen rein und übertönte sogar Daft Punk aus meinen Kopfhörern. War wohl scheinbar eine besondere Vorführung. Dann bemerkte ich ein Poster für das LA Jewish Film Festival, das ein paar Regiestühle zeigte, die wie ein Davidstern angeordnet waren. Darunter stand: „A different kind of star“.

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Meine Begleitung kam um 22 Uhr. Wir betraten den fast leeren Kinosaal und setzten uns hinten hin, weil ich immer hinten sitze. Der Film begann mit einem angemessen gewichtigen Zitat aus dem Buch Hiob, irgendetwas mit „uralten Tiefen“. Sie hatten meine volle Aufmerksamkeit.

Ich bin der wohl größte Moby Dick-Fan der Welt und hier hatten wir einen Film, der sich auf einen Anspruch biblischen Ausmaßes beruft und das Leben der Fischer zeigt, ohne wegzusehen. Ein moderner Melville, zumindest die Teile, die keine Geschichte erzählen, sondern das Walfanggeschäft durch nichtfiktionale Aussagen und Fakten beschreiben.

Einer der hervorstechendsten Aspekte des Films ist die Kameraarbeit. Ich habe nicht nachgeschaut, wie sie das genau gefilmt haben, aber es scheint, als ob sie GoPros an jedem Teil des Schiffs befestigt haben—inklusive der Köpfe der Fischer, der Unterwassernetze und möglicherweise sogar der Möwen (vermutlich haben sie das nicht wirklich getan, aber es wirkt definitiv so). Es beginnt in absoluter Dunkelheit und verwandelt sich allmählich in eine hektische Erkundung der Umgebung, sowohl über als auch unter Wasser, sowohl unter als auch an Deck. Die frühen Aufnahmen müssen von einer Kamera aufgenommen worden sein, die sich an einem der Fischer befand. Zumindest lassen das die absichtlich ruckartigen Bilder erahnen, die während des Einholens der Netze gemacht wurden.

Dann sehen wir den Fang. Er ist gewaltig, grotesk und einfach wunderschön. Die Präzision und routinierte Leichtigkeit, mit der die Fischer ihre Beute ordnen, ausnehmen und köpfen, ist hypnotisierend. Es ist ein Schlachthaus auf See, aber führt bei Weitem nicht so schnell dazu, Vegetarier werden zu wollen, wie das Betrachten einer Schlachterei oder einer Wurstfabrik. Es ist weniger Sinclairs Der Dschungel als eine faszinierende Darstellung von Käpt’n Ahab und seiner mythischen Crew. Achtet auf die Zigaretten. Ein Mann steckt zwei davon an und übergibt eine seinem vernarbten Freund. Sie schnappen sich die glitschigen, käferäugigen Dinger aus dem Eimer, schneiden und hacken und lassen die Köpfe aufs Deck fallen.

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Später sehen wir die großäugigen Dinger auf dem Boden des Schiffs—nur die Köpfe—, während das Meer wütend über die Reling schwappt. Mit diesen Köpfen sitzen wir zusammen, während das Boot hin- und herschaukelt und sich durch die unerbittliche Brandung bewegt. Die Köpfe rutschen über Deck und prallen von den Bordwänden, ein lebloses Orakel, leichter anzuschauen, da es sich ja nur um Fischköpfe handelt, ein Katzenspielzeug. Dann fallen sie durch die Abflusslöcher zurück in die wilde See.

Tote Fische. Romantischer als tote Kühe. Etwa weil wir unempfindlicher gegenüber dem Anblick von toten Fischen sind? Einige Restaurants servieren sie ganz und sogar einige „Vegetarier“ (Pescetarier?) kommen damit klar, Fisch zu essen. Toter Fisch ist irgendwie nicht so bedrohlich oder ekelhaft wie das ganze andere tote Zeug, das wir sonst essen. Kleine schwimmende Nahrungsbündel, gepflückt im Ozean, der ungesehenen Weite. Aber wenn man einmal Zeuge wird dieser Geräte, dieser menschgemachten Leviathane, die ihre Beute in ganzen Schiffsladungen aus dem Meer ziehen, kann man sich nur fragen: Wie viele Fische gibt es noch? Wie kann das sein?

Es gibt einige Aufnahmen, bei der die Kamera (von einem Kran aus gedreht?) tief ins Wasser stürzt, bevor sie ruckartig nach oben über einen Schwarm Möwen steigt. Ich meine, was zur Hölle? Wie konnten die Filmemacher solch eine Poesie erschaffen? Denn wenn überhaupt, schafft es dieser Film, Poesie ohne Worte zu veranschaulichen, Poesie in Bildern. Es ist die Kunst, das reale Leben auf Film zu bannen und es so nebeneinander zu stellen, dass es großartiger wird als jede Fiktion. Hier wird der Natur ein Spiegel vorgehalten, ein Spiegel aus einem Spiegelkabinett und die entstandenen Verzerrungen enthüllen eine tiefere Wahrheit.

Meine Begleitung meint, sie würde von den wackelnden, sich ständig bewegenden Bildern seekrank werden. Ich hingegen will zurück und nochmal mitfahren. Leviathan ist dokumentarisches Filmen, wenn es nach Kunst strebt. Dabei werden so viele Arten der Dokumentation vom Fernsehen verschlungen, egal ob es sich dabei um einen Haufen Trucker handelt, die auf vereisten Straßen unterwegs sind, oder eine Familie von Jägern, über die man sich lustig macht. Doch nur ein richtiger Film schafft es, sich auf die kleinen Einzelheiten, die Details, zu konzentrieren. In diesem Fall fühlt sich genau das so majestätisch an, oder so furchtbar wie etwas aus der Bibel. Eine Dokumentation wird zu einem Epos.

Das ist das Leben. Mensch gegen Natur. Die Maschine des Menschen. Die Beherrschung des Planeten durch den Menschen. Die Zerstörung des Planeten durch den Menschen. Die Einführung der Apokalypse durch den Menschen. Aber es ist auch wunderschön. Ich habe mich immer gefragt, wie man es schaffen kann, die Bedeutung und Größe von Moby Dick auf Film oder sonst wie einzufangen. Hauptsächlich weil es mittlerweile als eines der schlimmsten Umweltverbrechen gilt, Wale zu jagen. Nun, hier ist es: Der Mensch, Herrscher über das Meer und die Welt, wie er furchtbare Dinge tut, mutige Dinge, unmögliche Dinge. Denn wir sind der Mensch. Wir müssen überleben—und erobern.

Fotos mit freundlicher Genehmigung von James Franco.