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Sex

Als Feministin an der Pornomesse Extasia 2015

Die größte Erotikmesse der Schweiz ist ein Ort ohne Magie, dafür mit 3D-Brillen-Porno.
Foto: Benjamin Widmer

Feminismus und Porno waren schon immer eine schwierige Kombination. Vor allem, weil der Mainstream-Porno fast immer von der Perspektive des Mannes bestimmt wird und genauso den sexistischen Standards einer patriarchalen Gesellschaft unterworfen ist, wie so vieles andere in der westlichen Welt auch.

Falls weibliche Lust überhaupt mal thematisiert wird, dann hauptsächlich zur Steigerung der männlichen Geilheit (siehe: Lesbenpornos mit heterosexuellen Darstellerinnen). Und weil mir außerdem die übliche Choreographie aus Blasen-Rammeln-Cumshot schnell auf die Eierstöcke ging, begann ich schon früh damit, Feministen- oder Nischenpornos zu konsumieren.

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Das war zwar besser für mein schlechtes Gewissen, aber nicht unbedingt gut für meine Geilheit. Schliesslich schaue ich mir keine Pornos an, um zu sehen, was ich selber auch mache—sondern um jene Fantasien zu befriedigen, die ich in echt lieber nicht erleben will.

Ich stehe also vor einem Konflikt: Ist es ethisch vertretbar, als Feministin Mainstream-Porno zu konsumieren, um mir den Kick des Andersartigen dort abzuholen? Oder ist das Business wirklich so frauenfeindlich, wie in manchen Filmen zelebriert und von Alice Schwarzer immer wieder beteuert wird? Um das herauszufinden, schnappte ich mir zwei männliche und eine weibliche Kollegin und schleppte sie zur grössten Erotikmesse der Schweiz.

Als wir an der Messehalle ankommen, bin ich nervös. Was ich mir im Vorfeld genau vorgestellt habe, kann ich gar nicht sagen. Vielleicht, dass ich jeden Moment von halbnackten Frauen mit Silikonbrüsten oder Männern mit erigierten Gliedern begrapscht werde. Oder zumindest irgendeine Form von Schock oder unangenehmer Situation, die man weg lachen könnte—Live Action beim Eingang, heftig knutschende Pärchen, besoffene Exhibitionisten. Aber als wir die Halle betreten, passiert erst mal nur eines: nämlich gar nichts.

Weit vorne ist eine Bühne zu sehen. Schlechte Musik scheppert verloren durch die grosse Halle, die am Freitagabend noch nicht gerade von Besuchermassen überzulaufen droht. Die Einrichtung erinnert mich an jede beliebige andere Messe—nur dass hier anstatt Antipasti und Gemüseraffeln Nippelklemmen, Latexkostüme, Gleitgel und Vibratoren in der Grösse von 1,5-Liter-Colaflaschen verkauft werden.

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Alle Fotos von Benjamin Widmer

Ein Verkäufer sitzt, mit Halsband und in Latex gekleidet, beim Fetisch-Stand auf einem Hocker und isst einen Döner. Er steht auf, wischt sich den Mund mit der Serviette ab und erklärt mir die Geräte: Ein Ding mit langem gläsernen Hals zwickt bei Hautkontakt—mal heftiger, mal sanfter, je nach eingestellter Stufe.

Es fühlt sich an, wie der früher als Mutprobe angefasste elektrisch geladene Kuhdraht. Daneben liegt ein Vibrator, der zusätzlich zur Vibrationsstufe auch einen Regulator für elektrische Impulse hat. Ich lasse mir das Ding in der geschlossenen Faust vorführen. Das wird mit vernichtender Wahrscheinlichkeit der einzige Kontakt mit diesem Gerät bleiben, den ich je haben werde.

Meine Kumpel schauen sich derweil einen sehr dünnen Vibrator aus Metall an. Sie mutmassen, wozu das Ding gut sein soll. Ich ahne es bereits und die Verkäuferin bestätigt: Es handelt sich um einen Harnröhrenvibrator. Meine männlichen Begleiter zucken merklich zusammen. So weit, so unspektakulär. Der Erotikmarkt bei der nächsten Autobahn-Ausfahrt ist ähnlich bestückt.

„Extasia Zwäiduusigföfzä! E superhäissi Läifschou ufdr Häuptbööni! Jetzde!", schallt der breite Basler Dialekt des Moderators durch die Lausprecher. Wir strömen, zusammen mit ein paar anderen Besuchern, vor die Bühne.

Das Licht geht an, das Trockeneis nebelt uns ein. Ein Mann und eine Frau kommen auf die Bühne und tanzen leidlich zu David Guetta-Remixes. Er spuckt ein bisschen Feuer, sie präsentiert ihre operierten Brüste, stolziert um ihn herum, fuchtelt mit ihren Armen und schwingt ihr Haupthaar. Egal welche Bewegung sie macht, ihre Brüste bewegen sich nicht. Zwei Felsen in der Brustgegend. Als der Typ sein Hemd auszieht, ist die Show für mich vorbei. Schnell wende ich meine Augen ab. Das hätte ich lieber nicht gesehen.

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Als nächstes werde ich dazu gedrängt, mit zur Autogrammstunde von Rocco Siffredi zu gehen. Immerhin ist er das „Face of Extasia 2015" und der meistgevögelte Typ der Welt. Ein kleiner Mob von Fans und Bodyguards hat sich um die Starzone geschart. Meine Neutralität wandelt sich immer mehr in nervöse Aufregung, schliesslich warten hier auch noch viele andere ganz aufgeregt darauf, mit dem weltweit berühmten Sexsymbol und Buttman ein Foto schiessen zu dürfen.

Kurz bevor wir dran sind, passiert es: Alexis Texas betritt die Starzone und schmust direkt vor uns mit Rocco! Ein paar Menschen schubsen mich, Männer werden merklich nervöser und der dicke Partyfotograf fällt ihr förmlich um den Hals. Alexis lächelt und posiert, reibt ihren gewaltigen Hintern an Roccos Lenden und verschwindet dann wieder.

Endlich dürfen wir nach vorne. Wir machen ein Foto und ein Selfie, bekommen Autogramme und Rocco beteuert immer wieder, wie schön wir doch seien. Er küsst uns auf die Stirn und hält uns fest um die Taille. Als wir gehen wollen, drückt er nochmals unsere Hände und schickt uns einen letzten Bacio. Wir sind hin und weg. Jetzt brauchen wir erst mal die Zigarette danach.

Als wir uns ein bisschen erholt haben und unsere Köpfe nicht mehr ganz so rot sind, machen wir uns auf den Weg zur „Women Only Zone". Ich erwarte nichts, schliesslich ist alles, was im Mainstream-Porno als „frauenfreundlich" betitelt wird, langweilig wie Haferschleim (etwa weichgezeichnete Nahaufnahmen einer halbstündigen und sehr oberflächlichen Leckperformance—wer das geil findet, hat's einfach im Leben).

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Wir entnehmen dem angehefteten Programm, dass immer zur vollen Stunde eine Stripshow sattfindet. Es ist schon 5 nach und nichts passiert, also werfen wir einen Blick hinter den Vorhang. Doch auch da herrscht nur gähnende Leere. Nun denn, eine fünfminütige Stripshow ist also das Frauenprogramm. Merci beaucoup.

Zurück im Hauptraum werden über mehrere Speaker exklusive Live-Shows angekündigt: „Räge-, Rägetröpfli, es tröpflet usem Fötzli!" Auch wenn die Werbesprüche wirklich das Letzte sind und wir für die Show zusätzliche 20 Franken zahlen müssen, sehen wir sie uns an.

Wir bekommen eine 3D-Brille—für was auch immer man das bei einer Live-Show braucht—und betreten einen schmalen Raum. Darin steht ein runder, mit weissem (Kunst-)Leder bepolsterter Sockel. Links und rechts davon mehrere Reihen Stühle mit je einem Flatscreen, die vermutlich ewas mit den 3D-Brillen zu tun haben.

Wir werden darauf hingewiesen, dass weder fotografiert, noch gefilmt, masturbiert oder anderweitig gestört werden darf. Dann geht's los: Ein Mann in Fliege und Unterhose und eine Frau in Dessous betreten den Raum und schwingen sich auf den Hocker. Als der Darsteller seine Unterhose auszieht, hat er zwar eine stattliche Erektion, doch das Glück währt nicht lange. Einen herz- und lustlosen Blowjob später beugt sich die Dame vornüber und hüpft nach hinten vor den Schritt des Mannes. Er dringt in sie ein und es folgt eine absurde Darbietung von abwechselndem Vaginal- und Oralsex, die viel zu lange dauert.

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Alles, was auf diesem Sockel passiert, ist unecht—selbst die Erektion hat das bemerkt und sich aus dem Staub gemacht. Das Absurdeste daran ist, dass das Ganze auf den Flatscreens, auf denen die Action zeitgleich in 3D gezeigt wird, viel weniger gespielt aussieht, als in echt. Auf dem Bildschirm wirkt es exakt wie in einem Porno, den man sich zuhause ansehen könnte, doch sobald man den Blick aufs reale Geschehen heftet, ist es nur noch befremdlich.

Die Darbietung wirkt für den Mann genauso entwürdigend wie für die Frau, auch wenn ihr Würgereflex beim Oralverkehr schon eher unangenehm mitanzusehen (und mitanzuhören) ist. Dieses Erlebnis bringt auf den Punkt, was Sex im Porno ist: ein Produkt. Die beiden Menschen auf dem Sockel ficken nicht, weil sie Spass daran haben, oder weil sie gerade scharf aufeinander sind, sondern weil der Zuschauer geil werden soll und es ihr Job ist.

Als die Live-Show vorbei ist, atme ich erleichtert auf. Ohne die Illusion des Zuschauers, die überhaupt erst durch die Kamera, den Bildausschnitt und den Screen dazwischen entstehen kann, ist an diesem mechanischen Gerammel überhaupt nichts erotisch. Wir kaufen uns ein Bier, um die befremdliche Situation aus unseren Köpfen zu vertreiben und ich hole mir noch ein paar Souvenirs zum Trost. Obwohl die Stimmung dank Alkohol wieder ein wenig Aufschwung erlebt, beschliessen wir, zu gehen.

Alles in allem war der Abend ernüchternd. Es gab ein paar witzige Momente, aber eigentlich habe ich nichts entdeckt, das mich ernsthaft schockiert oder erstaunt hätte—auch keinen nennenswerten Frauenhass. Am Eindrücklichsten ist wohl die ernüchternde Erkenntnis, dass die Branche im Endeffekt so wenig mit Leidenschaft und Geilheit zu tun hat, wie der Job als Detailhandelsfachkraft. Als wir das Gebäude verlassen, wollen uns drei Männer gratis Bibeln schenken. Das ist der beste Witz des Abends.

Lisa auf Twitter: @spacebambilila

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