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Popkultur

Was lauert unter der Haut?

Under the Skin ist die Art von Film, nachdem ihr euch ganz lange duschen und den ihr dann gleich noch mal sehen wollt. Ab Freitag läuft der Film, der ursprünglich nur auf DVD rauskommen sollte, im Wiener Gartenbaukino.

Alle Screenshots via YouTube

Alle paar Jahre gibt es einen Film, der einen gefickt an der Autobahnraststätte des Lebens hinterlässt. Es sind selten schöne, aber immer bleibende Filme—und im Fall von Under the Skin auch solche, die einen immer wieder zur selben Autobahnraststätte zurücktreiben, wie ein williges Opfer, das ein Stockholm-Syndrom gegenüber Scarlett Johansson entwickelt hat.

Die Hollywood-Diva, die ihre Karriere darauf aufgebaut hat, vor der Kamera das Klischee der Hollywood-Diva zu umgehen, setzt auch hier wieder auf brüchige Natürlichkeit und spielt eine menschliche Venusfliegenfalle, die gleichzeitig lasziv, undurchschaubar und irgendwie furchtbar kaputt ist. Ihre Figur ist gleichzeitig auch schon die ganze Handlung des Films: Unsere Namenlose greift an dunklen schottischen Straßenecken Männer auf und führt die Willigen in ihr Verderben. Ziemlich schnell wird klar, dass es sich bei ihren verzweifelten Balzversuchen um überlebensnotwendige Sexstrategie handelt und die Täterin auch nur Getriebene ist.

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Während wir auf ihren nackten Körper starren, beschleicht uns das unangenehme Gefühl, dass das Ganze auch ein Kommentar auf das Starsystem und Scarlett Johanssons öffentliche Person ist—und uns geifernden Exclusiv Weekend-Schauern den Spiegel vorhält. Es gibt keine Emotionen, keine Motive, keine Innenwelten. Alles ist Oberfläche und wir erfahren erst erfrischend spät, warum. Die Auflösung—die allein schon wegen den Spoiler-Allergikern unter euch unausgesprochen bleiben muss—ist aber ohnehin nicht das Wichtigste an Under the Skin. Statt um die Geschichte geht es um das Erlebnis beim Schauen, aus dem wir vor narrativer und emotionaler Weirdness nicht mehr herauskommen—so als würde sich eure Tante beim Erzählen über ihren letzten Großeinkauf langsam in Kafkas Käfer verwandeln (und dabei ganz offensichtlich wie Scarlett Johansson aussieht).

Under the Skin ist die Art von Film, für die man sich zuhause nicht die Zeit nimmt—oder für die man zumindest nicht die Ruhe findet und über die man deshalb nachher Dinge sagt wie „Soweit ich das über den iPhone-Rand gesehen habe, war der ziemlich fad." Umso wichtiger ist es, dass das Wiener Gartenbaukino ihn ab Freitag im regulären Programm zeigt.

Auch wenn einige Kinopuristen das natürlich immer behaupten, ist in diesem Fall die große Leinwand wirklich ein wesentlicher Bestandteil des Erlebnisses, fast schon eine körperliche Eigenschaft des Films (und ich gehöre nicht zu denen, die verlangen, dass Nosferatu völlig ohne Ton zu laufen hat und jeder, der hustet, des Saals verwiesen wird).

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Ursprünglich sollte Under the Skin gar keinen Kinostart für Österreich oder Deutschland haben, weil er laut Produktionsfirma selbst für das Arthouse-Publikum zu nischig wäre. Das Schlimme ist, dass das natürlich stimmt—was allerdings weniger über den Film und mehr über das Arthouse-Publikum aussagt, das inzwischen ähnlich groß und durchschnittsverliebt wie seine Blockbuster-Doppelgänger geworden ist. „Arthouse" ist längst genauso ein PR-Prädikat wie „Kultfilm" und verträgt sich nur mit einem sehr bestimmten Grad an Schrägheit in Kombination mit einem angenehm intellektuellen, schön europäischen Production Design. Dass es jetzt nach und nach doch anders kommt, haben wir einer Facebook-Initiative des ziemlich sensationellen Sebastian Selig zu verdanken.

Verdient hat der Film es auf jeden Fall, auch wenn er die Erwartungshaltungen des Scooby Doo-Publikums enttäuschen wird: Hier gibt es keinen Bösewicht, der am Ende kein seine Maske abnimmt und auch keine verkiffte VW-Kommune, die uns die Welt schön rational toterklärt. Stattdessen dürfen die beiden Stiefkinder-Genres Horror und Sci-fi wieder mal wild durch die diesmal trostlose schottische Landschaft wüten und sorgen für ein abstraktes Kunstwerk aus weißen und schwarzen Nichträumen, in denen nackte Füße, abgelegte Kleidung und im Quecksilber versinkende Penisse sich die Klinke in die Hand geben.

Der ziemlich oft bemühte Vergleich mit 2001: A Space Odyssey stimmt—trotz dem abstrakten Formenspiel-Opener—weniger in Bezug auf Look oder Ästhetik des Films, sondern eher im Hinblick darauf, was beim Schauen zwischen Film und Publikum passiert: Auch bei Under the Skin werden wir wie Neugeborene in einem Universum ausgesetzt, dessen Vorzeichen und Gesetzmäßigkeiten wir nicht verstehen und sehen uns mit etwas konfrontiert, das (im Gegensatz zu leergelutschten Sci-fi-Bildern) wirklich unsere Vorstellungskraft übersteigt. Visuell heißt das vor allem Reizentzug und abstrakter Scheiß. Inhaltlich heißt es keine billigen Abkürzungen zu bequemen Auflösungen und viel Kaffeesudlesen in Scarlett Johanssons Gesicht.

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Dass es um fast nichts geht, könnte man dem Regisseur theoretisch auch als Erzählschwäche auslegen. Immerhin hat Jonathan Glazer hauptsächlich Video-Arbeit für Massive Attack, Radiohead und Blur gemacht und steckt visuell tief in den narrationsbefreiten Neunzigern fest. Außerdem ist Under the Skin erst sein dritter Spielfilm—beziehungsweise sein erster seit 10 Jahren—und knüpft an die letzten beiden Gehversuche an, die auf hohem Niveau gescheitert sind: Aus Sexy Beast (2000) borgt er sich die zwischenmenschlichen Neurosen und den fast schon kindlich-regressiven Umgang mit Sex und Gewalt; aus Birth (2004) nimmt er sich den Rhythmus und ein bisschen auch den Aufbau der dahinschwelenden Geschichte, die hier wie dort in der metaphysischen Twilight-Zone herumzündelt, ohne dass der Flächenbrand jemals ganz auszubrechen würde.

Im Gegensatz zu seinen beiden Vorgängern ist Under the Skin aber nicht weniger als perfekt und ist dasselbe für Jonathan Glazer, was Inland Empire für David Lynch ist—nämlich ihr konsequentestes und komplettestes Werk, weil sich beide nicht länger bemühen, ihre Filme als irgendwas zu verkaufen, das sie sowieso nicht sind. Es gibt keine Grätsche mehr zwischen Innovation und Mainstream, keine MTV-Ästhetik, keine Kompromisse. Tatsächlich zieht sich die Abwesenheit von Dingen wie ein blutroter Faden durch den Film: Under the Skin spielt an Nichtorten, zeigt lauter Nichtemotionen und ist voll von Nichtkommunikation. Je weniger wir wissen, umso mehr füllen wir die Lücken selbst auf. Und je mehr von uns selbst wir im Film erkennen, umso gruseliger wird es.

Je weiter wir voranschreiten, umso deutlicher wird, dass genau das auch die Funktion von Scarlett Johanssons Figur im Film ist: Sie selbst ist eine Leerstelle und eine Projektionsfläche für uns. Wir borgen uns ihre Hülle wie einen seelenlosen Avatar, um in die Welt des Films einzutauchen. In gewisser Weise ist das natürlich in jedem anderen Film so—und in gewisser Weise ist Under the Skin auch ein Kommentar auf jeden anderen Film. Auch, wenn das nach einer M. Night Shyamalan-Auflösung klingt—am Ende können wir uns die große Frage: „Was lauert unter ihrer Haut?" wahrscheinlich nur mit „Wir selbst" beantworten. Dafür kann ich euch zumindest versprechen, dass Under the Skin ein Film ist, der sich wie ein Korkenzieher in eure Augen bohrt. Was habt ihr euch anderes erwartet? Niemand hat gesagt, dass es angenehm wird, an der Autobahnraststätte gefickt zu werden.

Markus schreibt auch auf Twitter über Film: @wurstzombie