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Campus, Sex und Ravioli

Wir müssen aufhören, unser Studium zu romantisieren

Angst im Bauch und gähnende Leere auf dem Konto statt grenzenlose Freiheit und Party ohne Ende—warum es Zeit ist, die rosarote Brille abzusetzen.

„Das Studium ist die beste Zeit deines Lebens! Genieße sie!"—diesen Satz habe ich während meiner drei Jahre Bachelorstudium zu oft gehört, um ihn jemals wieder aus dem Kopf zu bekommen. Und von mal zu mal klang er in Anbetracht meiner tatsächlichen Erfahrung mit „der besten Zeit meines Lebens" zynischer.

Wir glauben, dass das die beste Zeit unseres Lebens ist, weil uns absolut jeder erzählt, dass es so sein muss. Studenten sind ein Sinnbild für gesellschaftlich und wirtschaftlich akzeptierte Unproduktivität. Sie sind alt genug, um zu arbeiten, entscheiden sich allerdings erst einmal dafür, große Teile ihres Tages damit zu verbringen, sich Dinge beibringen zu lassen. Oder eben auch nicht, weil YOLO. Und irgendjemand muss ja den ganzen Tag in diesen sonnendurchfluteten Studentencafés sitzen und vorm von den Eltern gesponserten MacBook über Proust diskutieren, während der Rest der Bevölkerung arbeiten geht, richtig? Zwinker, zwinker.

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Wie verzerrt und falsch dieses Bild ist, zeigt schon alleine die Tatsache, dass alle Studiengänge über einen Kamm geschert werden, obwohl ein Medizin- und ein Philosophie-Studium unterschiedlicher nicht sein könnten. Zusätzlich scheint sich das Bild des Studenten immer auch an dem Typus Mensch zu orientieren, der morgens gerne mal liegen bleibt und seine Arbeiten erst auf den letzten Drücker schreibt, wenn er sie überhaupt rechtzeitig abgibt. Vergleichbar ist das mit einem Arbeitnehmer, der ständig zu spät kommt und schließlich gefeuert wird. Vielleicht liege ich komplett falsch oder lebe in der falschen Stadt. Vielleicht sind Städte wie Heidelberg wirklich absolute Paradiese, in denen junge Menschen nur einmal in der Woche in die Uni müssen und den Rest ihrer Zeit mit Feiern, Trinken und gemeinsamem Kürbiskern-Muffins-in-der-WG-Küche-Backen beschäftigt sind. Die Studienrealität von mir und allen Menschen, die ich kenne, war allerdings immer eine komplett andere.

Das Studium ist eine Mischung aus Schule und Arbeit und kombiniert das Schlimmste aus beiden Welten. Spätestens seit auf das Bachelor-/Master-System umgestellt wurde, ist es vorbei mit dem Rumhängen, Sichtreibenlassen und dem Lernen um des Lernens willen. Bei immer mehr Seminaren herrscht Anwesenheitspflicht, wenn man überhaupt Studienbeihilfe bekommt, muss man trotzdem parallel dazu arbeiten, weil man sich sonst mittlerweile nicht einmal mehr ein WG-Zimmer leisten kann und kaum ein Arbeitgeber hat Verständnis dafür, wenn man als Arbeitskraft mal ein paar Monate aussetzen muss, weil für das Praxissemester ein dreimonatiges (idealerweise auch noch unbezahltes) Vollzeitpraktikum ansteht. Und wer gar keine Zeit hat, neben seinem vollgepackten Belegplan auch noch seinen Lebensunterhalt zu verdienen, dem schnürt es in Gedanken an die Rückzahlung seines astronomisch hohen Studienkredits in regelmäßigen Abständen die Luft ab.

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Foto: Deepjoy Tang | Flickr | CC BY-ND 2.0

Da mögen die Momente, in denen man tatsächlich so etwas wie Spaß hatte, retrospektiv doppelt fantastisch erscheinen. Und ja: Wenn du mit Fahne in der Vorlesung sitzt, wirst du in den seltensten Fällen direkt exmatrikuliert. Als Angestellter im Großraumbüro ist derartiges Verhalten natürlich wesentlich fataler. Was wir uns aber klarmachen müssen, ist: Vermeintliche Zügellosigkeit darf nicht mit Glück gleichgesetzt werden. Komplett desolat von Tag zu Tag durchs Leben zu stolpern und sich mit noch nichts so richtig auszukennen, hat nichts mit Freiheit zu tun. Wer einmal bis spät Abends im Büro saß, wird irgendwann, kurz vor dem fünften Nervenzusammenbruch, an seine Zeit als Student zurückdenken und sich denken: Mensch, damals. Da war echt alles besser. Was er aber eigentlich fühlt und weiß, ist: Damals, da war alles anders. Und weil es jetzt gerade furchtbar ist, kann „anders" nur „besser" bedeuten.

Die Erfahrungen, die Leute in den 80ern noch während ihres Studiums gemacht haben, können wir nicht mehr machen. Unsere Gesellschaft hat sich geändert und damit auch unser Verständnis von Lernen und Ausbildung. Das merkt man vor allem dann, wenn einen die Eltern fragen, wie das eigene Studium voranschreitet und man ihnen nicht von wilden Partys oder spannenden Diskussionen mit Professoren berichten kann. Im Lehrplan ist kein Platz mehr für Diskussionen und freies Denken, die wirklich wilden Partys feiern in Großstädten die Leute, die arbeiten und somit genug Geld für Drogen, Eintritt und Drinks verdienen (oder über ihren Irgendwas-mit-Medien-Job den Veranstalter kennen). Unsere Leistungsträger von morgen, die überarbeiteten, intellektuell ausgelaugten Studenten mit lähmender Zukunftsangst, hocken derweil krummbuckelig in ihrer Lieblingsbar, rauchen Selbstgedrehte aus Krümeltabak und trinken Wein für 3 Euro.

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Der Grund, warum wir unserer Studienzeit wirklich nachhängen, ist nicht das Studium an sich. Es ist die Tatsache, dass wir damals noch so viel jünger waren und viele zumindest noch die Illusion hatten, dass einem alle Türen offen stehen. Dabei haben viele von uns genau diese Möglichkeit nicht einmal genutzt. Da ist es dann eben nur BWL statt Archäologie geworden, weil einem der Kindheitstraum kurz vor der Realisierung doch irgendwie zu lächerlich schien. Diese vermeintliche Verantwortungsbefreitheit, die der Studienzeit gerne zugeschrieben wird, ist eine Illusion, die nur selten berichtigt wird. Eigentlich war genau dieser Lebensabschnitt die Zeit, in der man die Weichen für sein späteres Leben gestellt hat. Mit extrem wenig Geld auf dem Konto, ziemlich viel Lernstoff im Kopf und jede Menge Angst im Bauch.

Diese Romantisierung eines Lebensabschnitts ist für den Großteil der Studenten unserer Generation nur noch eine Reaktion auf Erinnerungsfragmente unserer Eltern. Vielleicht sollten wir deshalb damit anfangen, unserem aktuellen Lebensabschnitt ein bisschen mehr rosarote Brille und nicht nur Instagram-Filter zu gönnen. Damit man seinen Kindern in 20 Jahren erzählen kann, wie unaufgeregt die Zeit war, als man nur eine tagesfüllende Aufgabe hatte und nach Feierabend nur dann hunderte Buchseiten wälzen musste, wenn man Lust darauf hatte. Und dass sich wirklich nur wenig besser anfühlt, als zum ersten Mal in seinem Leben den teuren Käse einkaufen zu können, ohne danach panisch das Budget für den Rest des Monats durchrechnen zu müssen.

P.S.: Trotzdem vermisse ich es irgendwie, passiv-aggressive PowerPoint-Vorträge zu halten, nachdem ich eine Woche lang nicht geschlafen habe.

P.P.S.: Und das Semesterticket.

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Header-Foto: Max Braun | Flickr | CC BY-SA 2.0