Es könnte ein Meteoritensplitter sein, der an der Wand einer Londoner Kunstgalerie hängt, vielleicht auch eine besonders abstrakte H.R.-Giger-Skulptur. Aber es handelt sich um den doppelgezackten Penis einer Drohne, einer männlichen Honigbiene. Die phallische Form ist unverkennbar.
Seit 2014 beschäftigt sich die britische Künstlerin Joey Holder für ihr Projekt The Evolution of the Spermalege mit den Fortpflanzungsorganen von Insekten. Mithilfe detaillierter 3D-Scans bringt sie winzige Insektenpenisse auf für Menschen benutzbare Größe. In silbriges, hautfreundliches Silikon gegossen sehen die Schwänze von Milben, Käfern, Stubenfliegen, Spinnen und anderem Getier aus wie Requisiten eines extrem kreativen Alien-Pornos.
Videos by VICE
Wir haben mit Joey über ihre Begeisterung für Insektengenitalien gesprochen.
VICE: Warum machst du Dildos aus Insektenpenissen?
Joey Holder: Ganz einfach: Ich finde das spannend. Mich hat der Variantenreichtum der Natur immer schon fasziniert. Das Bettwanzen-Männchen zum Beispiel durchsticht mit seinem Penis den Bauchpanzer des Weibchens und injiziert durch diese Wunde seine Spermien in ihre Bauchhöhle. Das mag aus unserer Perspektive abartig klingen, aber es ist ein Beispiel für die sonderbaren Paarungsrituale von Insekten. Der Penis einer männlichen Honigbiene bricht nach getaner Arbeit in einer Art Explosion ab. Gottesanbeterinnen verspeisen ihre Partner, manchmal sogar während der Paarung.
Um diese sonderbaren Praktiken sichtbar zu machen, habe ich am 3D-Drucker Modelle von Insektengenitalien hergestellt und sie auf Dildomaßstab vergrößert. Spermalege könnte uns dabei helfen, unseren Gedankenhorizont zu erweitern. In der Natur existiert jede mögliche Variante.
VICE-Video: Diese Tierpräparatorin macht Mäuse zu Pornostars
Hast du die Dildos selbst ausprobiert?
Noch nicht. Momentan existieren sie eher als “Kunstobjekte”. Sie bestehen allerdings aus hautfreundlichem Silikon und wären dementsprechend benutzbar. Ich hoffe, sie in Zukunft einer breiteren Masse verfügbar machen zu können. Ich habe lange gebraucht, überhaupt so weit zu kommen, weil die Silikonproduktion extrem teuer ist.
Du zitierst auf deiner Homepage oft die feministische Futuristin Donna Haraway . In welcher Beziehung steht dein Kunstprojekt zu ihren Arbeiten zu sexueller Befreiung, Technologie und Umwelt?
Haraway sagt, dass wir speziesübergreifende Allianzen brauchen, die die Grenzen von Natur, Kultur und Technik überwinden. Wir tendieren dazu, Unterteilungen und Hierarchien innerhalb von lebenden und sogar nichtlebenden Dingen zu erschaffen. Ich möchte hinterfragen, wie uns beigebracht wurde, unsere Körper, Identitäten, Geschlecht und biologische Fähigkeiten zu betrachten. Ich will uns dazu ermutigen, über diese einschränkenden Kategorien hinauszudenken.
Der Blick auf andere Spezies kann uns dabei helfen, unsere eigene rätselhafte Existenz neu zu betrachten. Kultur und Gesellschaft bestimmen, was “normal” und “wünschenswert” ist. Die natürliche Welt hält unzählige Formen und Verhaltensweisen bereit, die für uns oft unsichtbar sind. Wir denken viel über das Leben auf anderen Planeten nach, dabei ist bereits das, was sich direkt vor unserer Nase befindet, außerirdischer als alles, was wir uns vorstellen können.
Du möchtest also die Komplexität der Natur hervorheben?
Definitiv. Es gibt Tiere, die über weibliche und männliche Sexualorgane verfügen, Hermaphroditen sind; es gibt Tiere, die sich asexuell fortpflanzen, sich also aus einem einzigen Organismus heraus vermehren, und solche, die ihr Geschlecht von männlich zu weiblich oder andersherum wechseln können. Es gibt auch Tiere, die das andere Geschlecht “spielen”. Homosexualität gibt es bei fast allen beobachteten Arten.
Darwins Theorie drehte sich vor allem um die Fortpflanzung als alleiniges und oberstes Ziel alles Lebenden. Männchen galten generell als promiskuitiv, dominant und aggressiv, Weibchen als keusch und passiv. Für viele Menschen war das die natürliche Ordnung der Welt. Dabei ist die Wahrheit viel chaotischer. Manche Tiere haben Sex zum Vergnügen, Sex als soziale Interaktion, zur Zurschaustellung von Dominanz oder einfach zur Erleichterung. Manche Forschenden glauben sogar, dass die Tiere mit Sex um Gegenstände handeln. Geblendet von unseren eigenen kulturellen Vorurteilen haben wir sie in die Rollen gesteckt, die wir aus der menschlichen Gesellschaft um uns herum kannten.
Hast du auch einen persönlichen Bezug zu dem Projekt?
Ich war früher Tauchlehrerin. Die Unterwasserwelt hat ihre ganz eigenen Regeln. Du bist schwerelos und kannst dich in alle Richtungen bewegen. Vibrationen und Klang spürst du am ganzen Körper oder sogar in dir. Mit meinem Projekt möchte ich über diese ungewöhnlichen Habitate nachdenken und die Kreaturen, die sie bewohnen. Und vor allem will ich zeigen, was wir von ihnen lernen können.
The Evolution of the Spermalege ist noch bis zum 25. Mai 2019 als Teil der Ausstellung Joy before the object in der Seventeen Gallery, London, zu sehen.
Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.