Vor 44 Jahren erschien mit Imagine das Feel-Good-Soloalbum von John Lennon. Auf dem Album trällert er friedlich über Weltfrieden und grenzenlose Harmonie. Der Rolling Stone beschrieb das Album als das „größte musikalische Geschenk an die Welt” und im gleichnamigen Song fantasierte der Ex-Beatle über eine Welt ohne Leid und Böses wie Besitztümer, Neid, Hunger und Krieg. Ein weniger ambitionierter Traum wäre eine Welt, in der es Monster wie John Lennon nicht gibt.
Es ist schwierig, das schiere Ausmaß von Lennons Vergehen in einem kurzen Artikel zusammenzufassen; was die Sache noch komplizierter macht: Dass einem der Songtext dabei nicht aus dem Kopf geht. Fangen wir an bei seiner ersten Ehe mit Cynthia Powell, die der Sänger geschwängert hat, als sie zur Miete in seinem Jugendzimmer in Liverpool wohnte. Die Dinge, die Lennon während der Hamburger Jahre der Beatles tat, können nur als klassisch böse bezeichnet werden. Laut Lennons Haushälterin Dorothy Jartlett, von der man einen Brief, der vor 50 Jahren geschrieben wurde, wiederfand, glänzte Lennon in den Jahren nach der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes Julian durch Abwesenheit. Er war nicht nur abwesend, sondern wenn er dann da war, kritisierte und schlug er den sensiblen Julian für Dinge wie schlechte Tischmanieren. In ihrem Brief schreibt Dorothy Jartlett: „Julians Tischmanieren waren besser als der Durchschnitt.” Während der Ehe schlief Lennon mit anderen Frauen und ließ Drogen „überall im Haus herumliegen”. Die Dinge spitzten sich zu, als der Musiker betrunken Cynthia über seine Affäre mit der japanischen Künstlerin Yoko Ono erzählte. Bald danach war die Japanerin schwanger und Ende 1968 war Lennons Scheidung von Cynthia Powell durch.
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Ono erlitt eine Fehlgeburt und die Beziehung mit Lennon vertiefte sich. Gemeinsam protestieren sie gegen den Vietnamkrieg und wie Ono in einem Interview mit demTelegraph im Jahr 2012 formulierte: Sie versauten sich gegenseitig ihre Karriere. Obwohl Ono dafür verantwortlich gemacht wurde, die Beatles auseinander gebracht zu haben, war es Lennon, der sie bei den Proben und im Bad dabei haben wollte. Die sexistische Doppelmoral erfährt heute vielleicht eine Art Wiedergutmachung dadurch, dass Onos heutiges Image das einer weisen, alten Feministin ist, die den Kampf überlebt hat. Lennon hatte während seiner Ehe mit Ono eine andere Affäre und zwar mit der Assistentin des Paares, May Pang. Für Ono war diese 18-monatige Affäre aber eine willkommene Pause von ihrer intensiven Beziehung und es „tat nicht weh”.
Dass Lennon psychische Probleme hatte, steht außer Frage. Im Interview mit demPlayboy aus dem Jahr 1980—das zwei Tage, bevor er vor seiner Wohnung in New York erschossen wurde, erschien—beschreibt er seine „fette Elvis-Periode” aus dem Jahr 1965, während er „fett und depressiv” war und den Song „Help!” als, nun ja, Hilferuf schrieb. Er und die anderen Beatles haben Marihuana zum Frühstück geraucht und immer wieder litt Lennon unter „schweren Depressionen, wo er gerne aus dem Fenster gesprungen wäre”. Er gibt zu, Frauen geschlagen zu haben, und erklärt: „Deshalb spreche ich immer von Frieden. Es sind die gewalttätigsten Leute, die sich nach Liebe und Frieden sehnen.” An anderer Stelle im Interview rechtfertigt er sein Rauchen mit seiner makrobiotischen Ernährungsweise: „Leute, die sich makrobiotisch ernähren, glauben nicht an Krebs. Ob man das jetzt logisch findet oder nicht, Makrobioten glauben nicht, dass Rauchen schlecht für einen ist.” Damit schädigt er eigentlich nur sich und nicht anderen, dennoch steht diese Stelle exemplarisch für Lennons Gott-Komplex und seine allgemeine, selbstzufriedene Idiotie.
Zu möglichen psychoanalytischen Erklärungsmustern für Lennons Probleme gehört seine problematische Beziehung zu seinen Eltern. Sein Vater verstieß ihn—Lennon verzieh ihm nie, auch wenn sich der Vater mehrmals darum bemühte—und 1979 gestand Lennon, dass er als Teenager sexuelle Gefühle für seine Mutter hegte. Späterbedauerte er es, keinen Versuch bei ihr gestartet zu haben: „Vermutlich hätte sie es erlaubt.” Es existieren auch Gerüchte, wonach Lennon homosexuelle Affären mit Paul McCartney und mit dem Manager der Beatles, Brian Epstein, hatte, die in und für Lennon große Widersprüche bedeuteten, was natürlich nichts Negatives ist, außer dass sie—wenn die Gerüchte stimmen sollten—stattfanden, während er verheiratet war.
Diese Informationen sind nicht neu und längst einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Vieles davon hat Lennon selbst gesagt, und dennoch sind wir von dieser Person weiterhin so fasziniert—er hat fast den Status eine Märtyrers. Es bereitet mir körperliche Schmerzen, wenn ich daran denke, dass ich mich im Alter von 12 bis 15 schuldig an dieser Selbstzufriedenheit gemacht habe. Ich besaß das T-Shirt, auf dem John Lennon lässig dasteht—in Himmelblau. Dass ich das T-Shirt im Discount-Outlet gekauft hatte und damit wahrscheinlich nicht zur Profitmaschine Lennon beigetragen habe, beruhigt mein Gewissen nur leicht. Dann erinnere ich mich aber daran, dass ich jedoch nie das White Album während meiner Schicht im Café dudeln ließ. Ich mag durchaus einen Briten mit spitzer Nase und einer coolen Brille, aber der? Jetzt mal wirklich.