Der Endgegner unter den Darknet-Hoaxes: Sad Satan

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Der Endgegner unter den Darknet-Hoaxes: Sad Satan

Ein verstörendes Horror Game gibt der Szene Rätsel auf. Stammt es wirklich aus dem Deep Web?

Titelfoto: Im Labyrinth von Sad Satan wimmelt es von verstörenden Kinder-Gestalten | Beide Bilder: Obscure Horror Corner, YouTube 

Das Darknet stellt sich so manch einer gerne als eine Art digitale Unterwelt vor, einen verruchten Ort voller Verbrechen, Pornografie und Gewalt, zu dem nur die zwielichtigsten Gestalten Zutritt haben. Wenn aus diesem tiefen Sumpf doch einmal etwas an die Oberfläche kommt, kann das nichts Gutes bedeuten. Oder?

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Es ist dieser das Darknet umwehende Hauch des Sinistren und Verbotenen, der dazu führt, dass immer wieder mysteriöse Rätsel oder ominöse Funde sogar im „normalen" Internet zu einem Riesenhype werden. Doch häufig bleibt von der vermeintlichen Sensation später nicht viel mehr zurück als Scherz und Schwindel. Zuletzt also hat das vermeintliche Bollwerk des Bösen ein Horror Game zu Tage gefördert, das über Wochen die Krypto- und Gamer-Community in Atem hielt: Sad Satan. Keiner wusste, welchen Sinn es hat oder wie man es spielt. Niemand kannte den Urheber. Ja nicht einmal der Fundort des Games war bekannt. Nur eines wusste man: Das Spiel ist verdammt creepy.

Tonaufnahmen von Charles Manson und Hitler. Und dann: ein Mädchen, mit hängendem Kopf. Ein markerschütternder Schrei ertönt, als der Character sich ihm nähert.

Die Geschichte beginnt am 25. Juni 2015, als der YouTube-Channel Obscure Horror Corner ein Gameplay-Video mit dem Titel Sad Satan - Deep Web Horror Game - Part 1 veröffentlicht. In dem zwölfminütigen Clip wandelt ein Character scheinbar ziellos durch dunkle, enge Korridore. Eigenartige Dinge passieren. Verstörende Fotos kapern den Screen für ein paar Sekunden und geben ihn ebenso plötzlich wieder frei. Undefinierbare, unangenehme Geräusche sind zu hören. Die Mechanik ist simpel, aber sie funktioniert: Das Horror Game irritiert, führt zu großem Unbehagen. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich ein Link zum Download des Spiels in der Beschreibung. Doch dieser—sehr zum Unmut der Furchtlosen, die es unbedingt selbst spielen wollen—funktioniert nicht.

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Teil zwei und drei folgen nur wenige Tage später. So seltsam das erste Video war—es kommt noch schlimmer: Der Teufel auf seinem Thron, JFK nur wenige Momente vor seiner Ermordung, allerhand kranker Kram à la Roger Ballen, Tonaufnahmen von Charles Manson und Hitler. Und dann: ein Mädchen, mit hängendem Kopf leicht auf und ab wippend, so als würde es schwer atmen. Ein markerschütternder Schrei ertönt, als der Character sich ihm nähert. Mehr und mehr Kinder tauchen in dem Labyrinth auf.

Es dauert nicht lange, bis die Medien aufmerksam werden. Am 1. Juli veröffentlicht Kotaku den ersten Beitrag über Sad Satan. Jamie, der Betreiber von Obscure Horror Corner, sagt im Interview, einer seiner Follower habe das Spiel in einem Forum im Deep Web gefunden. „Er schickte mir anonym einen Link. Er sagte, dass er auf etwas Gruseliges gestoßen sei und dass es mich interessieren würde." Jamie zufolge steckt ein gewisser ZK hinter dem Fund. „Er hat noch mehr Zeug dort veröffentlicht. Einiges davon war echt strange. Düstere Sachen, so satanischer Kram." Mehr erfährt man nicht über den Urheber von Sad Satan.

Jamie berichtet außerdem, dass jedes Mal, wenn er das Spiel gespielt habe, eine eigenartige Textdatei auf seinem Desktop aufgetaucht sei. „Es schien keine bestimmte Sprache zu sein, nur Symbole und Ziffern. Ich habe mehrfach die Zahl 666 entdeckt."

In dem Kotaku-Artikel äußert die Autorin Patricia Hernandez bereits den Verdacht, das Video könnte etwas mit Kindesmissbrauch zu tun haben. Neben den verstörenden, offensichtlich in dem Labyrinth eingesperrten Kindern deuten Fotos wie das von Margaret Thatcher nebst Jimmy Savile darauf hin. Die beiden posieren auf dem Bild für den NSPCC, eine britische Kinderschutzorganisation. Erst nach Saviles Tod 2011 kam heraus, dass der BBC-Moderator über Jahrzehnte Kinder sexuell missbraucht hatte. Das passt gut ins Bild. Ist doch schließlich das Darknet ein besonders beliebter Umschlagplatz für kinderpornografisches Material.

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Plötzlich ist der Channel Obscure Horror Corner berühmt. Bis heute wurde der erste Teil des Gameplay-Videos von Sad Satan über 1,6 Millionen Mal geklickt. Jamies Bestmarke hatte zuvor bei 40.000 Views für ein Video gelegen. Gerüchte kommen auf, die Schreie in dem Spiel stammten von tatsächlichen Vergewaltigungen. Der Schöpfer des Spiels habe selbst Sex mit kleinen Mädchen. Die Legende ist geboren.

„Wo ist der Weg zum nächsten kleinen Mädchen?"

Am 3. Juli, mit der Veröffentlichung des vierten Videos, entsteht dann schließlich der Subreddit / r / sadsatan. Dort tragen User eine umfangreiche Liste aller Fotos und Sounds zusammen, die in den Videos auf Dark Horror Corner auftauchen. Der Verdacht, das Spiel habe mit Pädophilie zu tun, erhärtet sich. Die Redditor finden heraus, dass das erste Video vom 25. Juni mit einem Loop von Led Zeppelins „Stairway to heaven" endet—rückwärts. Angeblich könne man darin hören, wie Jimmy Page, der Gründer der Band, dem Teufel huldigt. Ein weiterer Hinweis auf Pädophilie? Page hatte in den Siebzigern eine Beziehung zu einer 14-Jährigen.

Im vierten Video machen die Redditor Fotos von Rolf Harris und Tsutomu Miyazaki aus. Der erste war wie Savile Starmoderator bei der BBC. 2014 wurde er zu rund sechs Jahren Haft verurteilt, weil er vier Menschen zwischen acht und neunzehn Jahren sexuell genötigt hatte. Der zweite ist ein japanischer Serienmörder. 2008 wurde er für die Vergewaltigung und den Mord an vier Mädchen hingerichtet. Außerdem finden sie Aufnahmen von Johnny Rotten aus dem Jahr 1978, in denen der Frontsänger der Sex Pistols zu verstehen gibt, Jimmy Savile sei ein Krimineller.

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Als am 4. Juli schließlich Clip Nummer fünf veröffentlicht wird, sind sich alle sicher, dass Pädophilie das Leitmotiv des Spiels sein muss. Im letzten Teil des Gameplay-Videos ist ein Foto von Roman Polanski zu sehen. Außerdem erkennen die Redditor einen Soundschnipsel aus einem Song von The Doors, in dem Jim Morrison nach „dem Weg zum nächsten kleinen Mädchen" fragt. In den letzten Momenten des fünften Teils wird der Character von einem der Mädchen aus dem Labyrinth gejagt. Der Screen verdunkelt sich und man könnte meinen, das Spiel sei vorüber. Da erwacht er und findet sich gefangen in einem geschlossenen Raum wieder.

Der 4. Juli ist auch der Tag, an dem die ersten Zweifel an der Authentiziät von Sad Satan die Runde machen. Viele in der Community glauben, dass die Macher von Terror Engine dahinter stecken. Mit diesem Tool kann jedermann in wenigen Stunden sein eigenes Horror Game basteln. Ein PR-Trick also?

Jamies Glaubwürdigkeit nimmt weiteren Schaden, als die Redditor entdecken, dass der .onion-Link in der Beschreibung des ersten Gameplay-Videos eine 9 enthält. Diese darf aber wie die 1 oder 8 gar nicht in URLs des Tor-Netzwerkes vorkommen. Das bedeutet, dass das Spiel unter dem angegebenen Link nie auffindbar war, geschweige denn runtergeladen werden konnte.

In dem Glauben, Sad Satan als Hoax entlarvt zu haben, geht die Community davon aus, dass Jamie bald zugeben würde, das Spiel erfunden zu haben, um Aufmerksamkeit für seinen Channel zu erregen. Doch es kommt anders. Am 7. Juli taucht bei 4chan ein Thread mit dem Titel „Sad Satan Download Link" auf. Darin heißt es: „Was ihr auf YouTube gesehen habt, ist falsch. Glaubt dem Feigling Obscure Horror Corner nicht. Er hat euch nicht gezeigt, was sich wirklich in dem Spiel befindet. - ZK" Die schlaueren unter den Usern durchsuchen zunächst die Files in diesem „echten" Sad Satan. Sie finden Bilder von verstümmelten Leichen sowie Kinderpornografie. Die anderen, die das Spiel gleich installieren und spielen, haben schnell technische Probleme bis hin zum Crash.

Keine zwanzig Minuten nach dem Launch des Malware-Klons veröffentlicht Kotaku ein Update des Artikels vom 1. Juli. Jamie erklärt darin, er habe in seinem ersten Gameplay-Video absichtlich einen falschen Link veröffentlicht, da das Original explizite Gewalt und Kinderpornographie beinhalte. „Zeug wie dieses wollte ich nicht verbreiten." Die Redditor glauben ihm nicht. Im Gegenteil. Sie beschuldigen Jamie, er habe die verseuchte „echte" Variante selbst hochgeladen, um seine Geschichte zu stützen, das Game käme aus den Untiefen des Darknet. Plötzlich findet sich der YouTuber inmitten einer Hasskampagne wieder, die ihn zwingt, die Aktivitäten auf seinem Channel Obscure Horror Corner einzustellen.

Am 9. Juli taucht in dem Sad Satan-Subreddit eine sichere Variante des Klons auf—frei von Viren und illegalem Material. Das Spiel erlebt eine zweite Welle der Berühmtheit und landet Anfang August sogar im Channel von Let's Player PewDiePie. Doch keine neuen Spuren tun sich auf und Sad Satan beginnt, in Vergessenheit zu geraten.

Ausgeburt der Darknet-Hölle oder findiger PR-Schwindel? Bis heute ist unklar, was es mit dem Spiel auf sich hat oder wer sich hinter den Initialen ZK verbirgt. Auch von Jamie fehlt bisher jedes Lebenszeichen. Die Legende um Sad Satan jedoch dürfte bereits unsterblich sein.