13 Jahre Tortour: Wie ein Abenteurer die Erde mit reiner Muskelkraft umrundete
Alle Bilder: Jason Lewis

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13 Jahre Tortour: Wie ein Abenteurer die Erde mit reiner Muskelkraft umrundete

Dieser Mann bereiste die ganze Welt per Kayak, Rollerblades, Fahrrad und zu Fuß.

Das Krokodil war lange nicht so schlimm wie der 82-jährige Besoffene, der Jason beide Beine brach.

Solche Geschichten kann nur jemand erzählen, der schon einiges erlebt hat. Und das hat Jason Lewis, ein ehemaliger Fensterputzer aus London, der sich irgendwann zu einer kleinen Nachhaltigkeits-Promotour aufmachte, um ein Abenteuer zu erleben. 13 Jahre später hatte er über 900 Schulen in 37 Ländern besucht und nebenbei die ganze Erde umrundet.

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Auf seiner Reise um die Welt wurde Jason von wilden Tieren attackiert, bekam Malaria, paddelte mutterseelenallein über den Pazifik, überquerte heimlich den Himalaya, wurde als vermeintlicher Spion in Ägypten festgenommen und traf unzählige freundliche Menschen, die ihn nebenbei für ziemlich verrückt hielten.

Jason radelt im Himalaya

Denn Jason hat den Erdball nur mit der Kraft seiner Muskeln umrundet—per Kayak, Fahrrad, zu Fuß und auf Rollerblades.

Ich habe ihn deshalb angerufen, um herauszufinden, wieso er diese unglaubliche Reise, die so lang wie eine ganze Kindheit dauerte, auf sich nahm—und was er alles erlebt hat.

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Hallo Jason, bitte erzähl mal von deiner Expedition. Wie kamst du denn überhaupt auf die Idee?

Gar nicht! Es ist 1992, wir sind in London, und ich arbeite als Fensterputzer. Diese Idee der Weltumrundung war die Idee meines Freundes Stevie, der damals in Brüssel bei der OECD gearbeitet hatte. Er hatte viel mit Umweltbehörden und Wissenschaftlern auf europäischer Ebene zu tun, was ihn einerseits sehr sensibel für den Zustand unseres Planeten gemacht hat; andererseits hat ihn das aber auch ziemlich desillusioniert.

Von ihm kam die Vorschlag, eine Reise nur mit Muskelkraft zu unternehmen, um Menschen auf der ganzen Welt auf die Umweltzerstörung aufmerksam zu machen.

Unsere Idee war, dass wir von Schule zu Schule reisen und jede Klasse bitten, in einem Video das dringendste Umweltproblem zu erläutern, das die Kinder gerade in ihrer Umgebung wahrnehmen. Das haben wir mit Hi-8-Kameras aufgenommen. Dann war unsere Idee, diese Videos in anderen Teilen der Erde ebenfalls in Schulklassen zu zeigen und so einen kulturellen Austausch zwischen Kindern aus ganz unterschiedlichen Ländern herzustellen.

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Klingt aufwändig. Hat das funktioniert?

Wir waren ja zum Teil in sehr abgelegenen Regionen unterwegs und mussten deswegen immer einen VHS-Rekorder und dutzende Kassetten mitschleppen. Ich habe jedesmal geflucht, wenn ich meine Fahrradtaschen mit Kassetten und diesem schweren Rekorder vollstopfen musste. Aber diese Idee hat sich als richtig gut erwiesen. Die Kinder haben sich ganz schnell mit den anderen Kindern identifiziert, und auch für unsere Reisefinanzierung hat es nicht geschadet. Die Videos wurden unser USP—irgendwie scheint man den zu brauchen—mit dem wir uns jeweils die nächste Etappe leisten konnten.

Um dafür Geld zu sammeln, haben wir vor der Reise monatelang nur Briefe geschrieben—ziemlich ätzend. Wir haben dutzende Bewerbungen an alle möglichen Organisationen und NGOS geschickt, und alle wurden abgelehnt. Dann hatten wir Glück: Die UNESCO in Paris wollte sich mit uns zusammentun und schickte uns eine Liste mit allen Partnerschulen weltweit. So konnten wir unsere Reiseroute planen.

Die Tatsache, dass du nur per Muskelkraft die Welt umrunden wolltest, ist auch ein unique selling point, oder?

Ja, genau. Es gibt ja schon so viele Weltumrundungen, per Segelboot, Flugzeugen, Heißluftballon… aber niemand hat das nur mit Hilfe des eigenen Körpers versucht. Die Schönheit der menschlichen Kraft ist, dass sie wirklich jeder aufbringen kann. Ich wollte nie irgendeinen Weltrekord brechen oder so. Mir ging es um die Einfachheit, ich war ein junger Typ, der einfach den Ozean überqueren wollte, ohne dabei Energie zu verschwenden, die ich nicht selbst aufbringen konnte. Ich glaube, wir alle haben ein inneres Bedürfnis, mal aus unserer Komfortzone auszubrechen und irgendwo hinzuklettern, wo es nicht so berechenbar ist wie in, sagen wir, London oder Berlin. Ich dachte anfangs, die Reise würde ungefähr vier Jahre dauern. Naja, es wurden dann 13… Großartig vorbereitet hab ich mich auch nicht; ich ging davon aus, dass ich auf der Reise fit werden würde. Stimmte auch.

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Aber ganz ohne Ausrüstung oder Transportmittel kamst du nicht aus.

Nein, ich habe mir ein Boot bauen lassen, das ich Moshka getauft habe. Zuerst ging es mit dem Fahrrad durch Europa, Moshka wartete dann an der portugiesischen Küste auf mich. Dann haben mein Freund Stevie und ich den Atlantik in Richtung Miami damit überquert, was 111 Tage gedauert hat.

Jason auf seinem eigens für ihn gebauten Boot, der Moshka. Auf dem Rumpf befinden sich die Namen seiner Unterstützer

In 111 Tagen auf winzigem Raum lernt man sich ziemlich gut kennen, oder?

Kannst du laut sagen. Nach einem Monat sieht der Typ neben dir ja leider immer noch nicht besser aus. Du musst alles teilen. Es gibt keinen Rückzugsraum, wie in einer Wohnsituation. Da entsteht natürlich irgendwann eine ziemliche Reibung.

Außerdem haben wir beide ziemlich große Egos und auch viel gestritten. Wir sind deshalb ab Miami eine Zeit lang getrennt gefahren. Steve fuhr mit seinem Fahrrad, ich fuhr auf Rollerblades quer durch die USA. So richtig fit war ich nicht, also, ich habe nicht vorher trainiert oder so. Das kam einfach auf der Reise, und wenn man nicht schneller kann, dann fährt man eben langsamer. Dein Körper diktiert die Pausen und das Tempo, und durch diese langsame Fortbewegungsweise verpasst man nichts Wichtiges auf dem Weg.

Das klappte eigentlich ziemlich gut— dann kam Colorado.

Jason beim Paddeln in den Singapore Straits.

Was war in Colorado?

Ein betrunkener 82-Jähriger hat mich auf einer Landstraße überfahren. Ich war auf Skates, er hatte ein Auto und brach mir beide Beine fast ein Dutzend Mal. Das hat mich ziemlich zurückgeworfen, ich bin in ein Krankenhaus gekommen und musste mich lange erholen. Neun Monate später war ich wieder halbwegs fit und konnte weiterfahren, auch wenn ich noch nicht ganz gesund war.

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Aber: Ich hatte Glück, denn die leichte Vibration beim Rollerskaten war genau die Stimulation, die meine Nerven und Muskeln zum Wiederaufbau brauchten. So heilten meine Beine durch das bloße Weiterfahren. Steve und ich haben uns dann in Hawaii wieder getroffen. Von dort aus ist mein Freund dann nach Hause gefahren.

Beim Rollerbladen durch die USA

Aber du wolltest es durchziehen?

Absolut. Ich war jung, das klang aufregend und ich dachte: Wenn schon, denn schon.

Weißt du, ich bin in einer ziemlich strukturierten Gesellschaft aufgewachsen, die bestimmt, wie und wo du als Erwachsener sein wirst. Das ist alles total berechenbar. Ich glaube, ich hatte mich damals danach gesehnt, in fremde Kulturen einzutauchen. Die Menschen tun das viel zu wenig. Ich glaube, das ist ein Riesenproblem. Man kann nur über das urteilen, was man auch kennt. Und wenn der eigene Horizont beschränkt ist, fehlt es den Menschen an Empathie und Fantasie. Sie können sich nicht in andere Lebensweisen hineinversetzen und wissen nicht zu schätzen, was sie haben. Das sieht man auch im europäischen Umgang mit Flüchtlingen.

Was war das eigentlich Ziel deiner Reise?

Mein großes Thema ist Nachhaltigkeit. Wir müssen unser Leben vereinfachen, wenn wir hier auf der Erde noch ein Weilchen leben wollen. Es ist genug für alle da, man kann da viel von anderen Menschen auf der Welt lernen. Manche Kulturen im Südpazifik leben noch so abgeschieden, dass sie gar nichts anderes kennen, als nur sehr nachhaltig zu leben. Das ist etwas, was ich für mich mitgenommen habe: Teilen. Man muss nicht alles besitzen. Zum Glück passiert das ja gerade: Durch das Internet kann man Dinge in sehr vielen Bereichen teilen.

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Hast du damals Tagebuch geführt oder deine ganzen Erlebnisse irgendwie mit jemand anderem geteilt?

Ich hatte irgendwann eine sehr einfache Website, die ich mit Updates gefüllt hatte, außerdem einen Macintosh 1 dabei. Das müsste so um 1998 gewesen sein, das Internet wurde langsam etwas zugänglicher. Die ganze—damals neue—Technik auf der Reise mitzuschleppen war ehrlich gesagt ein Alptraum. So viele neue Probleme entstehen—das Salzwasser lässt die Elektronik korrodieren, du brauchst mehr Strom, kannst in der Sonne nichts sehen und so weiter. Der Elektrokram hat die Reise somit schon verändert. Aber dafür konnte ich das Abenteuer mit anderen Menschen teilen. Eigentlich ein guter Tausch.

Und bekamst irgendwann auch Gesellschaft, richtig?

Ja, zum Beispiel von acht Teenagern in Australien, die sich mit mir durch's Outback geschlagen haben, plus ihre Lehrer. Die Erwachsenen waren schlimm, die haben sich ständig nur gezofft. Mit den Schülern war es super. Von da aus bin ich nach Singapore gepaddelt, das waren nochmal 178 Tage auf dem Meer—diesmal auf dem Indischen Ozean—dann ging's durch Asien und dann durch Afrika zurück nach Europa. Die Sahara empfehle ich übrigens nicht uneingeschränkt zum Fahrradfahren… insgesamt waren das also 16 Expeditionen hintereinander, wenn man die Etappen alle zusammenzählt.

Da du ja so lange unterwegs warst, hast du sicher neben Abermillionen Höhepunkten auch Tiefschläge einstecken müssen, oder?

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Klar! Die schwierigsten Momente für mich waren die, in denen man nach langen Tagen der Einsamkeit in einem neuen Land landet und plötzlich von diesem Einsiedler-Modus auf normales Sozialverhalten umschalten musste. Dazu kommt dann, dass du die Sprache vielleicht nicht kennst. Niemand versteht dich und du die Kultur der anderen auch erstmal nicht.

In Ägypten wurde ich verhaftet und für einen jüdischen Spion gehalten—sie dachten, ich hieße „Levi".

In diesen Situationen hatte ich dann oft kein Geld und musste entgegen jedem Instinkt erstmal das Telefonbuch auf- und abtelefonieren, um mir neue Arbeit zu suchen, mein Projekt zu erklären, Vorträge zu halten. Das kostet tatsächlich sehr viel Zeit und Energie.

In der Retrospektive klingt das immer alles so abgeklärt. Hattest du eigentlich auch mal Angst?

Vor der Natur hatte ich eigentlich keine Angst, besonders nicht vor'm Meer—ich weiß auch nicht so genau, wieso. Aber als ich über den Himalaya geradelt bin und gesehen habe, gut, jetzt muss ich also an der anderen Seite wieder runter und das sind zwölf Kilometer Downhill, da habe ich wirklich schlucken müssen.

Aber auch das überwindet man. Auch der Krokodilangriff war nicht so schlimm, weil alles so schnell ging. Wenn ich so darüber nachdenke, hatten die meisten Angstsituationen eher mit Menschenkontakt zu tun.

Zwischen Tibet und China habe ich einen langen Pass im Himalaya überqueren müssen, ohne von den Chinesen entdeckt zu werden, weil er eigentlich geschlossen war. Aber ich musste da drüber, sonst hätte ich wieder ganz zurück bis nach Indien fahren müssen. Also bewegte ich mich sehr leise und fast ausschließlich nachts, damit mich die chinesischen Soldaten nicht finden.

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Dann habe ich den Nasser-See zwischen Ägypten und dem Sudan ohne Genehmigung mit meinem Paddelboot überquert und hatte wahnsinnige Angst, erschossen zu werden. Ich hatte zwar behördlich eine Genehmigung beantragt, die kam aber nicht bei mir an, bevor mein Visa ablief. Also musste ich ohne Erlaubnis aufbrechen und wurde natürlich direkt auf dem Wasser erwischt.

Und was ist passiert?

Sie haben mich verhaftet. Die ägyptische Polizei haderte mit meinem Nachnamen—die dachten, Lewis klingt ähnlich wie Levi, und da das ein sehr verbreiteter jüdischer Nachname ist, schlussfolgerten sie messerscharf, dass ich ein israelischer Spion sein müsste. Und ich immer so: „Ich bin wirklich nur ein idiotischer Tourist! Wirklich!" Bis das abschließend geklärt war, hielten sie mich in einem ägyptischen Gefängnis für mehrere Tage wach.

Jasons Aussicht für 178 Tage auf dem Indischen Ozean: Nichts als Wasser

Gibt es ein übergreifendes Thema, das du aus der ganzen Reise mitgenommen hast?

Ich glaube schon.

Ich war ja sehr lange in diesem kleinen Boot unterwegs und habe ihm vertraut, es war robust und hatte alles dabei, was ich brauchte. Aber ich musste lernen, ganz aufmerksam und behutsam mit meinen Vorräten umzugehen, sonst hätte ich ein echtes Problem bekommen. Meine Entsalzungspumpe konnte nur einen Liter Meerwasser am Tag in Trinkwasser umwandeln. Ich hab ganz genau überlegt, was ich wann esse. Ging etwas kaputt, musste ich es irgendwie reparieren. Strom war Luxus.

Ich glaube, das ist eine ganz gute Analogie zu uns auf der Erde. Wenn wir eine hohe Lebensqualität für alle sicherstellen wollen, dann müssen wir unser Leben vereinfachen, weil unsere Ressourcen begrenzt sind. Wir müssen uns über jede Handlung bewusst werden: Brauche ich das Ding da tatsächlich? Muss ich das jetzt wirklich konsumieren? Und sich dann auch mal entscheiden, es einfach bleiben zu lassen. Das hab ich gelernt.