Wunderland: Eine Reise durch 100 Pizzerien in New York

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Wunderland: Eine Reise durch 100 Pizzerien in New York

The New York Pizza Project dokumentiert die letzten in New York verbliebenen wirklich authentischen Pizzerien. Wir haben uns mit den Machern des Buches über den perfekten Teig, grummelige Pizzabäcker und die Bedeutung von Pizzerien für eine...

Für einige ist Pizza vielleicht einfach nur eine weitere Möglichkeit, sich mit leckeren leeren Kalorien zu versorgen. Aber die New Yorker haben Pizza einfach im Blut.

Pizza ist nicht einfach nur Essen—Pizza ist Kultur, Pizza ist ein Gemeinschaftsgefühl, Pizza ist Teil der Geschichte.

Die fünf mutigen Autoren hinter The New York Pizza Project—Gabe Zimmer, Nick Johnson, Ian Manhelmer, Corey Mintz und Tim Reltzes—wissen das nur zu gut. Deshalb haben sie sich auf den Weg gemacht, die letzten wirklich authentischen Pizzerien von NYC zu dokumentieren.

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Gemeinsam haben sie mehr als 100 Pizzerien in allen fünf Stadtbezirken besucht, nicht nur, um Pizza zu essen, sondern auch um die Menschen dahinter kennenzulernen und auch die Kunden, die diese Geschäfte am Laufen halten.

Ursprünglich war das ganze eine kleine Leidenschaft, die mithilfe einer Kickstarter-Kampagne aber in neue Höhen geflogen ist. Und das Fünfergespann hat noch mehr Ideen. Wir haben uns mit ihnen getroffen und mit ihnen über die perfekte Pizzakruste und angepisste Pizzabäcker gesprochen und natürlich darüber, warum die New Yorker Pizza die beste der Welt ist.

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Luigi's Pizza in Park Slope, Brooklyn. Alle Fotos aus The New York Pizza Project

MUNCHIES: In den letzten fünf Jahren wart ihr in mehr als 100 Pizzerien in ganz New York. Wie hat sich eure Wahrnehmung von Pizza während dieser Reise verändert?
Ian Manheimer: Geld bestimmt immer mehr das Leben in New York, Pizza ist eines der letzten ehrlichen Dinge. Diese Pizzaläden versuchen alle in einer Stadt zu überleben, die nicht gerade das perfekte Pflaster für kleine Unternehmen ist. Da ist die Versuchung groß, an allen Enden und Ecken sparen zu wollen. Aber diese Pizzerien machen das nicht. Nachdem ich mich mit Hunderten Pizzabäckern unterhalten habe, ist mir klar, dass sie lieber pleite gehen würden, als ihre Kunden zu bescheißen.

Corey Mintz: Bei unseren Recherchen haben wir diese enge Beziehung zur Pizzakultur bemerkt und vor allem gesehen, wie wichtig diese kulinarischen Institutionen für die einzelnen Viertel sind. Wer eine Pizzeria hat, arbeitet unglaublich hart und will Traditionen am Leben erhalten. Das Beunruhigendste an unserer Pizzareise war zu sehen, wie sie sich das Stadtbild verändert: Dadurch sind viele Pizzerien gefährdet. Aber sie sind extrem wichtig, weil sie zur gastronomischen Seele einer Stadt und zur DNA von New York gehören.

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Tony, Pizzabäcker bei der Ivana Pizzeria in Belmont in der Bronx

Ist die New Yorker Pizza die beste der Welt? Wenn ja, warum?
Gabe Zimmer: Auf jeden Fall. Hier gibt es so viele Pizzerien, da ist der Druck groß und deshalb sind auch die Standards hoch. Wer die nicht einhält, der wird das indirekt von den New Yorkern zu spüren bekommen. Wer hier mittelprächtige Pizza serviert, wird nicht lange überleben.

Glaubt ihr, das liegt am Wasser?
Corey Mintz: Jeder Pizzabäcker wird dir erzählen, dass das Wasser das Geheimnis für einen perfekten Teig ist. Für einige ist das nur ein Großstadtmythos, für andere ist das wissenschaftlich belegt. So viel ich gelesen habe, hat unser Wasser durch die Filtersysteme einen hohen Mineralgehalt und deshalb wird der Teig besser. Aber in Wahrheit kann keine Wissenschaft den einzigartigen Geschmack unserer Pizza erklären.

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New Park Pizza in Howard Beach, Queens

Das muss ziemlich interessant gewesen sein, einige von diesen Pizzabäckern zu treffen, die euch seit Jahren ernähren. Außerdem habt ihr sie ja auch ganz anders erleben können.
Corey Mintz: Wir machen uns zwar für die Pizza nicht die Hände schmutzig, aber wir schätzen und respektieren das Handwerk. Hinter jedem Ladenfenster und hinter jedem Pizzabäcker, gibt es eine Geschichte, die erzählt werden will. Oft sind das Geschichten, die von ganzen Generationen erzählen. Mit unserem Buch wollten wir diese Anekdoten mit anderen teilen.

Gabe Zimmer: Über die Jahre hinweg haben wir richtige Beziehungen zu einigen Pizzerias aufgebaut, es war einfach toll, die Leute hinter der Theke kennenzulernen. Der Optimismus und Kampfgeist der Pizzabäcker überrascht mich immer wieder. Vor dem Projekt dachte ich einfach nur, dass sie eben für ihren Lebensunterhalt hart arbeiten mussten. Das stimmt auch, aber viele von ihnen lieben das, was sie tun, einfach und sind unglaublich stolz auf ihre Arbeit.

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Sal, Pizzabäcker bei Pugsley

In dem Buch gibt es Interviews mit den „Essern" und den „Machern" von Pizza. Gibt es einen Laden aus eurem Buch, der zeigt, warum diese Beziehung so wichtig ist?
Ian Manheimer: Pizza ist für die New Yorker Essen für die Seele. Man isst Pizza, wenn es einem schlecht geht. Man isst Pizza, wenn man feiert. Und damit ist der Pizzamann der stets zuverlässige Überbringer von guten Gefühlen.

Ich erinnere mich noch an unseren Besuch bei Stanton Street Pizza in der Lower East Side. Dort haben wir Jose getroffen, der Luigi, den Pizzabäcker im Laden, quasi auf Schritt und Tritt gefolgt ist. Er lebte in East Harlem und ist bis zur Lower East Side gefahren, nur um Luigis Pizza zu essen. Jose meinte dazu:

„Seine [Luigis] Pizzas können sich Arbeiter und arme Studenten leisten. Hier kann ein Kind mit nur zwei Dollar in der Hand reinkommen, und selbst wenn noch 50 Cent oder ein Dollar fehlen, wird Luigi ihm was zu essen geben. Bei ihm geht keiner hungrig nach Hause.Natürlich komme ich wegen der Pizza, aber ich habe auch eine gewisse Beziehung zu ihm aufgebaut, weil ich ihn schon lange kenne und ihm einfach vertraue."

In New York gibt es Hunderte Pizzerien. Glaubt ihr, das wird sich in Zukunft irgendwie ändern?
Ian Manheimer: Es gibt immer weniger eigenständige Pizzerien in New York und auch im Rest der USA. Das liegt nicht nur am Immobilienmarkt, sondern auch daran, dass die alten Läden, die schon seit mehreren Generationen bestehen, sich nur langsam an die neue Zeit anpassen. Die Hälfte des Geschäfts von Domino's läuft mittlerweile über ihre App. Die meisten unabhängigen Pizzerien haben nicht einmal eine Website.

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Frank, Pizzabäcker bei Rosella's

Ihr habt euch durch alle Läden durchgegessen. Welche Pizza war für euch der beste?
Ian Manheimer: Ich liebe Johnny's Pizza in Sunset Park in Brooklyn. Vor zehn Jahren wurde den Besitzern, die ihren Laden immerhin seit 1968 haben, dann eröffnet, dass eine Papa-John's-Filiale nebenan aufmachen würde. Das steht sinnbildlich für New York: Links das kleine Geschäft, wo noch Vater und Sohn hinter der Theke stehen und ein ganzes Stadtviertel am Leben erhalten. Rechts eine Filiale einer großen Kette, die in dem Viertel nur noch mehr Gewinne einfahren möchte und ihre Angestellten ausbeutet. Im letzten Jahr haben die großen Ketten in New York fünfmal so viele Filialen eröffnet wie noch im Jahr zuvor. Wir müssen uns bewusst werden, in welcher Art von Stadt wir leben möchten und dementsprechend auch als Verbraucher handeln.

Corey Mintz: Mein Lieblingsladen ist Luigi's Pizza in South Slope in Brooklyn. Und zwar gleich aus mehreren Gründen: Hier bekommt man nicht nur ein gutes Stück Pizza, sondern auch der Laden macht das Pizzaerlebnis zu etwas ganz Besonderem. Sobald man reinkommt, spürt man sofort dieses Gemeinschaftsgefühl und merkt, wie hinter der Theke alles reibungslos Hand in Hand geht. Hier gehört jeder zur Familie, keiner wird ausgeschlossen.

Gabe Zimmer: Ganz klar Sal & Carmine in der Upper West Side. Ein Stück Pizza dort hat einfach alles: eine dünner Teig, der trotzdem stabil ist, nicht zu viel Sauce, nicht zu viel Käse, schön gewürzt und am Boden noch ein Rest Mehl oder Grieß. Carmine arbeitet immer noch da, ein älterer, nicht immer der freundlichste Typ. Sobald man reinkommt, betritt man quasi sein Reich, das hat eine ganz eigene Schönheit.

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Patsy's in East Harlem.

Euer Buch zeigt auch, dass die Pizzerien mit das einzige Relikt der Vergangenheit sind, das sich in unserer stets verändernden Stadt hält. Wie denkt ihr jetzt nach der Fertigstellung eures Werkes über Pizza?
Gabe Zimmer: Für mich bedeutet Pizza immer noch Heimat. Ja, die alten Läden sind zwar Relikte der Vergangenheit, aber sie sind auch für die Zukunft der Stadt wichtig. Hier gibt es mehr als nur Essen: Es sind kulturelle Orte, wo die Leute hingehen, um für kleines Geld etwas zu essen und sich unterhalten. Ich hoffe, dass die New Yorker endlich wach werden und diese Orte und auch Menschen, die unserer Stadt so viel Charakter und Authentizität verschaffen, mehr wertschätzen. Ansonsten wird New York in 50 Jahren nur noch aus luxuriösen Eigentumswohnungen, Banken und Apotheken bestehen.

Vielen Dank für das Gespräch.