kokablätter für coca tee

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Drogen

Kokablätter sind das neue Superfood in Kolumbien

Nach einem jahrzehntelang erfolglosen Kampf gegen die Drogen gemeinsam mit den USA haben es die Kolumbianer satt und entdecken Koka als Nahrungsmittel und Arzneipflanze neu.

Keine andere Pflanze der Menschheitsgeschichte wurde so verteufelt wie die Koka.

1961 wurde sie von der UN im Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel als Droge der Klasse I kategorisiert: „Die Unterzeichnenden verpflichten sich, so weit möglich, alle wild wachsenden Kokasträucher zu roden. Illegal angebaute Kokasträucher werden von den Unterzeichnenden zerstört." Die Pflanze ist seit Jahrzehnten der Todfeind im „War on Drugs", dem Krieg gegen Drogen.

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Länder wie Peru oder Bolivien wehren sich gegen die kulturell kurzsichtige und äußerst neo-kolonialistische Durchsetzung dieser Bestimmungen: Sie haben die Pflanze mittlerweile legalisiert und an die UN appelliert, die Bestimmungen für alle Länder weltweit zu überdenken. Kolumbien allerdings hat bisher mitgespielt: Der indigenen Bevölkerung spricht das Land das Recht zu, Koka anzubauen und zu verwenden. Seit Jahrzehnten gestatten sie allerdings auch den USA, ihre Felder per Flugzeug mit Pestiziden zu besprühen und finanzieren gewaltsame Militärmanöver in den wichtigsten Kokaanbaugebieten des Landes.

Aber als die WHO letztes Jahr verkündete, dass das Pestizid Glyphosat von Monsanto krebserregend ist, war die Zeit des Arschkriechens für die Kolumbianer abrupt vorbei. Der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos machte eine drastische Kehrtwendeund hinterfragt mittlerweile den gesamten War on Drugs. Das spiegelt die Einstellung einer ganzen Nation wieder, auf deren Rücken der erfolglose Kampf zu lange ausgetragen wurde und die eine Veränderung will.

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Image 3 - Ximena en la Puerta

Ximena Robayo vor der Embajada de la Coca. Alle Fotos vom Autor

Das wird nirgendwo deutlicher als in den Straßen der angesagten Hauptstadt Bogotá. Hier in über 2.600 Metern Höhe im Künstlerviertel La Candelaria versucht zum Beispiel die Embajada de la Coca („die Koka-Botschaft") den grünen Blättern wieder ihren gebührenden Platz und ihr Ansehen zurückzugeben: eine Arzneipflanze mit hohem Nährstoffgehalt, die verehrt statt verschmäht werden sollte.

„Wir versuchen zu vermitteln, wie man die Pflanze richtig nutzt. Seit Jahrhunderten wird sie quasi missbraucht, wir wollen zeigen, welche indigene Tradition dahintersteckt", erklärt Ximena Robayo, die Leiterin des Restaurants, das auch ein Café und eine Art Bio-Laden ist.

„Das geht auch über die ursprüngliche Verwendung von Koka hinaus: Wir unterstützen ökologische Anbauprojekte, damit man aus den Blättern Nahrung für alle machen kann."

Image 4 - coca galletas

Neben den Kokablättern hat Ximena auch noch andere „Superfoods" aus den Anden im Sortiment, wie zum Beispiel Maca und Quinoa. Diese nahrhaften Pflanzen wurden schon von den Urvölkern in den Anden, dem zweithöchsten Gebirge der Welt nach dem Himalaya, angebaut.

Kokablätter kann man nicht nur kauen oder Tee daraus machen: Man kann auch damit kochen und backen. Dazu müssen die Blätter nur zu Mehl, harina, gemahlen werden. Das kann man dann auch in Säfte oder Smoothies rühren oder andere grüne Getränke damit machen.

Image 5 - Ximena Cooking

Ximena beim Kochen

Zu den Spezialitäten der Embajada de la Coca gehören die Koka-Crêpes, die Ximena in der kleinen Küche zubereitet. Den Teig macht sie aus harina de coca und Quinoamehl, den sie dann in einer Pfanne brät und mit frischem Gemüse oder Hühnchen belegt.

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Ein leckeres—wenn auch ziemlich grünes—Mittagessen, das einen nicht nur mit wertvollen Nährstoffen versorgt, sondern einem auch einen richtigen Energiekick gibt, der den ganzen Nachmittag anhält.

Image 6 - Coca Crepe

Koka-Crêpe gefüllt mit Gemüse

„Mit dem Mehl können wir Koka ganz anders als Medizin einsetzen", erklärt Ximena, „denn so kann man mehrere Gerichte mit unglaublichem Nährstoffgehalt zubereiten."

1975 untersuchten Forscher der Harvard University den Nährwert von Kokablättern, danach wurden weitere Studien von der US-Regierung unterbunden. Und dabei stellte sich heraus, dass so schnell keine andere Pflanze der Koka in Bezug auf Vitamine und Mineralien das Wasser reichen könnte.

Image 7 - nutrition

Kokatee enthält eine Reihe an Vitaminen und Mineralien

Der Autor der Studie, der weltbekannte Ethnobotaniker Professor James A. Duke, stellte fest, dass im Vergleich zu 50 anderen Gemüsesorten Kokablätter mehr Eiweiß, Eisen, Vitamin A, Ballaststoffe, Vitamin B2, Phosphor und Kalorien enthalten. Vor allem aber enthalten sie mit 2.000 mg pro 100 g mehr Calcium als jedes andere Lebensmittel in der umfassenden Datenbank des INCAP, des Ernährungsinstituts für Zentralamerika und Panama.

Das erklärt auch ein bisschen, warum Koka in den Anden als die „Pflanze der Unsterblichkeit" gilt: Calcium hilft bekanntermaßen gegen viele degenerative Krankheiten wie Osteoporose, die gerade auch alte Menschen betreffen.

Der älteste jemals behördlich registrierte Mensch, ein Bolivianer mit stolzen 123 Jahren, hat sogar jeden Tag sein Leben lang Kokablätter gekaut.

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Image 8 - Coca tea y alfahore

Alfajor mit Kokatee

Koka in essbarer Form, zum Beispiel leckere alfajores aus Koka, die auch gut zu einem Kokatee passen, liefert einem nicht nur wichtige Nährstoffe, sondern durch das Kokain auch neue Energie für Körper und Geist. Kokain ist nur eines der zahlreichen Alkaloide der Kokablätter.

Um sich aber in einen leichten Rausch zu versetzen, muss man die Kokablätter mit etwas Alkalischem kauen. In Bolivien oder Peru nehmen die Menschen dazu llipta, eine Mischung aus Baumrinden- oder Blätterasche und Minzblättern oder Stevia. In Kolumbien nimmt man traditionell cal, ein Pulver aus gemahlenen Muscheln.

Notfalls tut es auch das gute alte Backpulver.

Image 10 - Ximena con Rum

Ximena mit ihren Koka-Rum

„Wir glauben, dass Koka in der Zukunft wieder wie früher eine Nahrungsquelle und Medizin für die Menschen sein wird", erklärt Ximena mit einer Flasche Koka-Rum in der Hand. „Kolumbien wird sich jetzt dieses historischen Erbes bewusst und wir hoffen, dass der Rest der Welt das auch so sehen wird."

„Koka wurde in der Vergangenheit strategisch vernichtet. Das unterstützen die Regierungen von Kolumbien und der USA als Teil des sogenannten War on Drugs. Aber das ebbt ab", sagt sie. „Und das wurde auch Zeit."

Image 11 - Coca Bars

Koka-Energieriegel und Kokablätter im Teebeutel

„Die Vernichtung der Kokapflanzen in den kolumbischen Anbaugebieten wird wegen der sozioökonomischen und ökologischen Auswirkungen mittlerweile heftig diskutiert. Das ist unsere Gelegenheit", meint Ximena. „Wir können schaffen, was Bolivien auch geschafft hat: Die Regierung unter Präsident Evo Morales fördert den Kokaanbau."

Image 14 - Coca Alfahore

Koka-Alfajor von Ximena

Es scheint unausweichlich, dass Koka in Kolumbien, dem bevölkerungsreichsten und am dichtesten besiedelten Land in den Anden, wieder zu etwas Normalen wird. Jeder, der schon einmal Ximena alfajores mit Koka probiert hat, wird dafür unendlich dankbar sein.

Jetzt müssen nur noch die USA und der Rest der Welt endlich aufwachen und realisieren, dass Koka eine heilige Arzneipflanze—deren gesundheitsfördernde Wirkung allerdings immer noch nicht richtig erforscht werden konnte—und ein Superfood ist, das gleichzeitig einen entscheidenen Beitrag im Kampf gegen Unterernährung leisten könnte.

Das wird allerdings leider noch eine Weile dauern.