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Vegetarismus

Vegetarismus und Veganismus sind moralisch nicht zu vertreten

Andrew Smith ist selbst Veganer und meint, dass es keinen echten Vegetarismus geben kann.

Andrew Smith ist Dozent für Englisch und Philosophie an der Drexel University in Philadelphia. Außerdem ist er Veganer, was einen überrascht, wenn man bedenkt, dass er meint, dass Vegetarismus und Veganismus moralisch nicht vertretbar seien. Richtig gelesen.

In einem Essay bei The Conversation behauptet Smith, dass selbst bei Verzicht auf tierische Produkte immer noch gilt: Man ist, was die Nahrung isst. Und das heißt für ihn Folgendes: Pflanzen ziehen ihre Nährstoffe aus dem Boden, der zu Teilen aus den Resten toter Tiere besteht.Er will also den Veganern und Vegetariern dieser Welt klarmachen, dass sie durch die Pflanzen auch tierische Reste essen.

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Laut eigener Aussage ist er seit gut 20 Jahren Vegetarier und „fast" Veganer seit sechs Jahren. Er hat also nichts gegen diese Lebensweise per se, er will nur nicht, dass man denkt, dass diese Ernährungsweise moralisch besser ist. Wie er meint, essen wir quasi alle Fleisch, ob bewusst oder unbewusst.

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Wir haben uns mit Andrew Smith über Vegetarismus und Veganismus unterhalten.

MUNCHIES: Sie hinterfragen, inwieweit Vegetarismus wirklich moralisch vertretbar ist, und meinen, dass Menschen, die aus moralischen Gründen kein Fleisch essen—zum Beispiel weil sie keine Lebewesen mit Gefühlen essen wollen—, sich eigentlich nur selbst betrügen. Warum?
Andrew Smith: Ich behaupte nicht, dass sich Vegetarier per se selbst betrügen. Was ich meine, ist, dass sie sich aus bestimmten Gründen für eine Ernährungsweise entscheiden, diese aber nicht komplett durchdenken. Ja, Tiere haben Gefühle, aber das Problem ist doch, wenn man etwas nicht isst, weil es Gefühle hat, dann muss man auch bedenken, dass Pflanzen auch Gefühle haben. Das hat sich allerdings in der wissenschaftlichen Literatur über Pflanzenbiologie erst in den letzten 10 bis 15 Jahren richtig herausgestellt. Ich verurteile Vegetarier nicht dafür, dass sie das nicht bedenken.Es geht mir nur darum, sein Wissen über unser Essen oder die Produkte für unser Essen zu erweitern.

Sie sind der Ansicht, dass es quasi unmöglich ist, Vegetarier zu sein. Warum? Sicher ernähren sich nicht alle Pflanzen von tierischen Resten.
Genau herauszufinden, welche Pflanzen das wären, wäre ziemlich kompliziert. Derzeit wäre es durchaus möglich, Pflanzen in einer kontrollierten Umgebung nur mit pflanzlichen Nährstoffen zu züchten. Das ist machbar, aber in der Praxis essen wir Obst und Gemüse, das im Boden angebautwird, da kann man diesen Unterschied zwischen pflanzlicher und tierischer Nahrung nur schwer machen. Und genau dieser Punkt interessiert mich und beschäftigt mich. Ich will nicht sagen, dass jemand eine falsche Ernährungsentscheidung trifft. Ich möchte versuchen, den Blick der Menschen auf ihre Beziehung zum Essen und der Umwelt zu erweitern. Unsere Essensgewohnheiten sind Teil eines viel größeren Bio- und Ökosystems.

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Gibt es nicht aber einen Unterschied zwischen Pflanzen, die ihre Nährstoffe aus tierischen Quellen ziehen, die eines natürlichen Todes sterben, und den Massenschlachtungen für die industrielle Lebensmittelproduktion?
Letzteres ist moralisch und ökologisch einfach nur abscheulich. So etwas sollte es nicht geben. Ich versuche nur darauf hinzuweisen, dass generell Lebewesen sterben müssen, damit wir überleben können, und das sind Lebewesen mit Gefühlen. Wenn wir das akzeptieren, heißt das ja nicht, dass wir den Status quo hinnehmen müssen oder wie Tiere behandelt werden. Stattdessen sollten wir, denke ich, jeden Organsimus, von dem wir uns irgendwie ernähren können, mit Respekt behandeln und pflegen.

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Gibt es Ihrer Meinung nach einen bestimmten Grund, warum man bei Pflanzen weniger an Gefühle denkt?
Da gibt es einige—historische, kulturelle und philosophische Gründe, die alle auf Philosophen wie Platon und Aristoteles zurückgehen. Wie sie Tiere, Pflanzen, Menschen und Götter klassifiziert haben, hallt heute noch nach. Wir sehen das Gras auf den Wiesen oder die Bäume vor dem Fenster und sehen Organismen, die zwar eindeutig lebendig sind, aber eher passiv und sich nicht oder kaum bewegen. Das stimmt so nicht: Diese Lebewesen sind in ihrer Umwelt sehr aktiv und sind sich ihrer Umgebung bewusst, manchmal noch viel mehr als Tiere.

Auch behaupten Sie, dass Vegetarismus und Veganismus nicht immer umweltfreundlich sind. Warum ist das so?
Manche Vegetarier und Veganer sehen ihre Ernährungsweise als umweltfreundlicher, weil die Tierzucht und -schlachtung einfach schrecklich für die Umwelt sind. Man muss aber auch sagen, dass es bessere und schlechtere Arten gibt, vegetarisch oder vegan zu leben. Die Nachfrage nach Kaffee zum Beispiel ist heutzutage so hoch, dass für die Plantagen tropische Regenwälder abgeholzt werden. Auch Schokolade zerstört die Umwelt. In Indonesien muss für den Anbau von Cashewnüssen der Regenwald weichen. Für die Mandelzucht braucht man galaktische Mengen an Wasser. Wir müssen achtgeben auf unsere Umwelt und die Lebewesen, von denen wir uns ernähren. Das sollten wir im Kopf haben, wenn wir uns für eine Ernährungsweise entscheiden. Wenn Kaffee und Schokolade umweltschädlich sind, dann sollten wir darauf achten und unsere Gewohnheiten und damit auch die Nachfrage ändern.

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In Ihrem Essay meinen Sie auch, dass auch wir als Menschen Teil der Nahrungskette sind: Wir sterben und verrotten wie auch Tiere in der Erde. Würden Sie in Anbetracht dieser Tatsache so weit gehen und sagen, dass wir alle Kannibalen sind?
Ich versuche hier keinen neuen Begriff zu prägen, sondern versuche im Gegenteil solche Schubladen abzuschaffen, die eine irreführende Beziehung zu unserer Umwelt herstellen. Können wir uns Kannibalen nennen, weil wir eventuell menschliche Teilchen essen? Von mir aus kann man das machen, wer das tun möchte, bitte. Aber heißt das, dass ich es moralisch billige, wenn man seine Nachbarn tötet und isst? Nein. Ich fände es toll, wenn wir solche willkürlichen Bezeichnungen einfach abschaffen und stattdessen über unsere Beziehung zu unseren menschlichen und vor allem nicht-menschlichen Nachbarn nachdenken—die biologische Gemeinschaft, in der wir leben.

Wenn es also keinen moralischen Grund gibt, Vegetarier oder Veganer zu sein, warum sind Sie dann immer noch Veganer?
Diese Frage drängt sich natürlich auf. Wir sind weit entfernt von einer idealen Ernährungssituation. Also ist das die zweitbeste Lösung für mich. Ich lebe jetzt schon sehr lange vegetarisch und seit sechs Jahren vegan, vor allem aus emotionalen, sentimentalen Gründe. Ich fühle mich damit nicht wohl. Damit ist das keine moralische Rechtfertigung, aber es hat auf jeden Fall Einfluss auf meine Entscheidung.

Vielen Dank für das Gespräch.