Für viele weckt die Zeit hinter der Schulbank schmerzhafte Erinnerungen. Themen wie Machtmissbrauch, Mobbing oder andere Ungerechtigkeiten wie Rassismus und sexuelle Übergriffigkeit sind an Schulen allgegenwärtig. Kinder und Jugendliche können grausam sein.
Doch nicht nur der Pausenbrotdieb mit der Collegejacke verursacht Schäden. Täter sitzen manchmal auch hinter dem Pult. Viele kennen diesen einen Lehrer, der im Klassenzimmer dauerhaft für ein Klima der Angst sorgt, indem er junge Menschen systematisch schikaniert. Es gibt jedoch in keinem deutschen Bundesland offizielle Zahlen zu Machtmissbrauch durch Lehrkräfte. Bildungsministerien gehen immer von den mittlerweile berüchtigten “Einzelfällen” aus.
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Schülerinnen und Schüler trauen sich nicht, gegen Lehrkräfte vorzugehen. Sie fürchten, dass niemand eine Dienstaufsichtsbeschwerde ernst nimmt und sie stattdessen mit noch mehr Boshaftigkeit seitens der Lehrperson rechnen müssen. Auch rechtlich sind Schüler oft machtlos, weil Fehlverhalten und Unterdrückung auch im Rahmen des Gesetzes passiert. Manchen bleibt dann nur noch der Schulwechsel.
Sechs Menschen haben VICE erzählt, wie Lehrkräfte sie über längere Zeit hinweg rassistisch beleidigt, belästigt oder ihre vertraulichen Gedanken mit der ganzen Klasse geteilt haben. Wir haben einige Details und die Namen der Betroffenen geändert, um sie zu schützen.
Felicia, 19: Mein Lehrer erzählte der ganzen Klasse von meiner Depression
Bis in die zehnte Klasse hatte ich ein normales Verhältnis zu meinen Lehrern. Ich war fleißig und fiel im Unterricht nicht negativ auf. Mein einziges Manko war, dass ich aufgrund von Depressionen und Schlafstörungen oft fehlte.
Meine Mutter musste deshalb bei meinem Klassenvorstand anrufen und ihm von meinem Zustand erzählen. Doch statt die sensiblen Infos für sich zu behalten, lästerte er vor der ganzen Klasse über mich ab. Er unterstellte mir, dass ich simulieren würde und eigentlich nur faul bin.
Als ich das von einer Freundin erfuhr, schämte ich mich sehr. Nicht nur, weil die ganze Klasse von meinen Problemen wusste, sondern auch, weil ich die Schuld bei mir selbst suchte. Anstatt den Lehrer für sein Verhalten zu kritisieren, glaubte ich, dass meine Depression nicht so schlimm und ich einfach nur ein “Weichei” war.
Ich wechselte im nächsten Jahr die Schule und bekam eine Lehrerin, die viel Verständnis für mich und meine Diagnose hatte. Sie unterstützte mich beim Lernen und machte sogar Hausbesuche. Heute bin ich froh über diesen Wechsel, ohne den ich wohl lange nicht von meinem Selbsthass losgekommen wäre.
Jana, 18: Ich sollte mir einen kurzen Rock anziehen, damit “alle was zu lachen haben”
Mein Mathelehrer hatte es besonders auf Mädchen abgesehen. Er musterte uns während des Unterrichts und berührte uns an der Schulter oder streichelte uns am Oberschenkel. Besonders schlimm war, dass er sich ständig vor mir den Gürtel richtete, während mein Gesicht im Sitzen auf der Höhe seines Schrittes war.
Als ich 16 war, sollten wir einmal für ein Experiment eine Treppe hinaufrennen. Als ein Mitschüler stolperte, musste ich lachen. Der Lehrer sagte daraufhin, dass ich als nächstes dran bin und mir am besten einen kurzen Rock anziehen soll, damit “alle was zu lachen haben”. Ich musste mich furchtbar für diese Anspielung schämen.
Dieser Lehrer kommentierte ständig meine Outfits. Wenn er unterrichtete, trug ich nur noch Baggy-Hosen, um seinen unangenehmen Kommentaren aus dem Weg zu gehen. Er fand trotzdem immer etwas, was er ansprechen konnte. Als ich mein Handy bei einer Klausur abgeben musste, sagte er: “Ich würde gern mal nachschauen, was da für Bildchen drauf sind.”
Wir haben diesen Lehrer öfters bei der Direktion gemeldet. Leider ohne Erfolg. Zu allem Übel mussten wir ständig mit Sonderaufgaben oder Nachsitzen rechnen, wenn wir uns beschwerten. Er sagte zu mir: “Jana, du bleibst heute nach der Stunde noch ein bisschen bei mir” und grinste dabei hämisch. Ich war sehr froh, als ich schließlich auf eine höhere Schule wechselte.
Sama, 17: Er erniedrigte mich, weil ich schlecht in Englisch war, “obwohl ich schwarz bin”
Mein Klassenlehrer in der Unterstufe nutzte jede Gelegenheit aus, um mich zu demütigen. Ich war die einzige Schwarze in meiner ganzen Stufe und einige Mitschüler machten sich deshalb über mich lustig. Immer, wenn jemand etwas Rassistisches gesagt hat, beschwerte ich mich bei dem Lehrer. Er unternahm jedoch nie etwas, weil er die Gesinnung meiner Mitschüler teilte.
Statt mich zu schützen, schrie er mich also regelmäßig an und teilte mir mit, dass ich mich als Asylantin glücklich schätzen sollte, dass er für mich und meine Familie Steuern zahlt. Als ich eine Vier in Englisch schrieb, sagte er vor der ganzen Klasse: “Wie kann das sein, dass du als Schwarze nicht einmal Englisch sprechen kannst?”
Weil mir die Schule nicht leicht fiel, holte er meine Mutter in die Sprechstunde. Sie kann aber kaum Deutsch, das Gespräch verlief holprig. Auch das nahm er zum Anlass, um mich und meine Familie zu schikanieren. Immer, wenn ich im Unterricht eine Standpauke bekam, sagte er: “Deine Mutter sollte auch endlich mal Deutsch lernen.” Nach Kommentaren wie solchen haben wir uns ständig gegenseitig angeschrien, er wurde zu meinem ärgsten Rivalen. Unternommen habe ich nie etwas, weil ich meine Eltern nicht mit solchen Sorgen belasten wollte.
Julian, 19: Er teilte Klausuren aus und sagte: “Wenn Julian eine Vier schreibt, dann schafft es wirklich jeder”
Unser Lehrer regierte im Klassenzimmer wie ein Diktator. Das ließ schon seine Körperhaltung erahnen: Er marschierte stets mit strammen Schritt in den Raum, knallte die Türe zu und die Tasche auf den Tisch. Dann musterte er uns immer für eine beklemmende Minute lang mit seinem kalten Blick.
Was sich zunächst nur nach Strenge oder schlechter Laune anhört, wurde für uns aber sehr verletzend, sobald der Lehrer den Mund aufmachte und sämtliche Schüler beleidigte. Er machte sich ein Spaß daraus, Jugendliche mit schlechten Noten als dumm zu bezeichnen. Als ich eine Mütze trug, nannte er das “Hohlraumschutz”, zwei meiner Mitschüler bezeichnete er wegen ihrer schlechter Leistungen als “Parkplatzeinweiser”, die es sowieso nie zu etwas bringen würden.
Die Degradierungen waren bei ihm an der Tagesordnung. Als ich einmal eine Vier schrieb, sagte er: “Wenn Julian eine Vier schreibt, dann schafft das wirklich jeder.” Er erzählte uns auch von Schülern und Schülerinnen aus anderen Klassen, denen er verletzende Kosenamen gab. Man hatte das Gefühl, er kam sich dabei auch noch lustig vor.
Viele meiner Klassenkameraden verharmlosten sein Verhalten, weil er die Lerninhalte gut vermitteln konnte und sein strenges Auftreten für Ruhe im Klassenzimmer sorgte. Sie sagten: “Bei dem lernst du wenigstens was.” Eine andere Klasse ließ sich seine Beleidigungen jedoch nicht gefallen und beschwerte sich bei der Schuldirektion. Seitdem hält er sich zumindest dort zurück, macht aber in allen anderen Klassen genauso weiter wie zuvor.
Lina, 18: Mein Lehrer schaffte es, wirklich zu allem anstößige Sex-Bemerkungen zu machen
Einer unserer älteren Lehrer war schon immer ein Choleriker. Er flippte ständig aus und türmte sich viel zu nah vor den Schülerinnen auf. Womit er sich aber besonders ins Abseits schoss, waren seine unangenehmen Sex-Anspielungen. Er schaffte es, wirklich alle Inhalte im Unterricht mit anstößigen Bemerkungen zu versehen.
Wenn ein Mädchen Kaugummi kaute und er das sah, sagte er ständig: “Schlucken oder spucken.” Einmal fand er einen Zettel, den meine Banknachbarin zu mir geschmissen hatte, auf dem “Physik fickt gerade mein Leben” stand. Er musste über den Zettel lachen und begann, ständig “Fickt euch das gerade?” zu sagen, wenn uns eine Arbeit missfiel.
Auch die Jungs wurden Opfer seiner Sexbesessenheit. Einmal zeigte er ihnen eine nackte Venusfigur und fragte: “Na, Jungs, wie findet ihr die, die hat ziemlich hässliche Titten oder?” Als wir einen Vergewaltigungsfall in der Zeitung diskutierten, sagte er zu einem Jungen: “Sei ehrlich, du würdest auch eine Frau vergewaltigen, wenn dich die Lust packt.” Ich meldete das der Schuldirektion. Die Beschwerde liegt heute noch beim Kultusministerium, eine Antwort kam bisher nicht.
Sandra, 18: Sie sperrte mich in eine dunkle Kammer, weil ich Dreiviertelhosen trug
Ich gehe auf eine sehr religiöse Schule. Bei uns gibt es die Regel, dass Mädchen keine kurze Hosen oder gar Röcke anziehen dürfen. Das ist vor allem im Sommer ziemlich nervig, wenn es tagsüber sehr heiß wird.
Da es eine Ganztagsschule ist, essen wir mit unseren Lehrerinnen gemeinsam zu Mittag. Als ich 14 war, missachtete ich eines Tages die Hosenregel und kam mit einer Dreiviertelhose in die Mensa. Als unsere Lehrerin das sah, packte sie mich am Arm und zerrte mich vom Tisch. Ich versuchte, ihr zu erklären, dass ich aus Versehen gehandelt hatte, aber sie ließ sich nicht davon abbringen, handgreiflich zu werden. Sie zerrte mich in eine Besenkammer und sperrte mich dort ein, bis das Essen vorbei war.
In der Kammer weinte ich und musste dann mit leerem Magen wieder in den Unterricht gehen. Auch meine Freundinnen waren entsetzt, aber wir wollten den Vorfall nicht melden, da die Lehrerin auf der Schule ein hohes Ansehen genoss und wir schlechte Noten befürchteten. Rückblickend hätte ich mir gewünscht, dass ich etwas unternommen hätte.
Erfährst du selbst Machtmissbrauch durch einen Lehrer oder durch Mitschülerinnen? Dann schau dir die folgenden Links an und mach dich über deine Rechte schlau.
Übersicht zum Thema Mobbing Deutschland
Nummer gegen Kummer Deutschland
Helden e.V: Initiative gegen Cybermobbing und Rassismus
Aktion kritische SchülerInnen Österreich