Ein Mann liegt in T-Shirt und Jeans auf einem Bett, der Kopf ist verdeckt. Arbeitsmigranten aus Nepal haben die WM-Stadien in Katar gebaut. Der Fotograf Lecloux hat sie und ihre Familien in der Heimat besucht.
C. ist seit 20 Monaten in Katar und weiß nicht, wann er nach Hause zurückkehren kann. Doha, April 2016 | Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Frédéric Lecloux
Menschen

Fotos aus dem Leben der Gastarbeiter, die Katars Stadien bauten

Viele der Arbeiter auf Katars WM-Baustellen stammen aus Nepal. Der Fotograf Frédéric Lecloux hat sie in den Camps getroffen und ihre Familien in der Heimat besucht.
Pierre Longeray
Paris, FR

Beeindruckend sind sie ja, die neuen WM-Stadien in Katar. Ausgeklügelte Designs, die elegant arabische Tradition und modernste Architektur miteinander verbinden – und dann auch noch fertiggestellt in einer Bauzeit, von der deutsche Großprojekte weit entfernt sind. Aber das war es dann auch schon mit dem Lob. Den wahren Preis für die WM-Projekte in Katar kennen wir inzwischen alle.

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Von Katars fast drei Millionen Einwohnern besitzen nur etwa 380.000 die katarische Staatsbürgerschaft, der Rest sind Ausländer. Zwei der größten Gruppen sind Arbeiter aus Indien und Nepal. Sie sind an den Persischen Golf gekommen, um Geld für ihre Familien in der Heimat zu verdienen. Aber vor allem die Arbeiter, die auf Katars Baustellen arbeiten, leben unter unzumutbaren Zuständen in überbelegten Camps, isoliert von der restlichen Gesellschaft. Für ihre Arbeit in sengender Hitze bekommen sie laut Guardian umgerechnet etwa 0,56 Euro die Stunde.


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Bei ihrer Ankunft im Land wird vielen der Pass abgenommen, wodurch sie ihren Arbeitgebern ausgeliefert sind und nicht mehr ausreisen können. Weitere Vorwürfe: Lohndiebstahl, miserable Arbeitsbedingungen, Belästigungen und sexueller Missbrauch. Katar hat 2017 zwar seine Gesetze für ausländische Arbeitskräfte reformiert und offiziell das Kafala-System abgeschafft, das einige dieser Praktiken ermöglichte. Aber laut Kritikern hat sich seitdem an der Lage der Arbeitsmigranten in Katar wenig geändert.

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Während weiter diskutiert wird, wie viele Menschen genau beim Bau der Stadien ums Leben gekommen sind, treten die persönlichen Schicksale dieser Menschen und ihrer Familien in den Hintergrund.

Der belgische Fotograf Frédéric Lecloux reist seit 1994 regelmäßig zum Arbeiten nach Nepal und hat dort viele Familien von Arbeitsmigranten kennengelernt. Während des Höhepunkts des katarischen Baubooms zwischen 2015 und 2016 machte sich Lecloux auf, um Porträts der Arbeiter in Katar und ihrer Familien in der Heimat zu machen – auf der einen Seite die ausgedörrten Vororte Dohas, auf der anderen das grüne Südostnepal. Die eindrucksvollen Bilder und Berichte zeigen, dass die katarische Erfolgsgeschichte gleichzeitig eine über Armut und Auswanderung in Nepal ist.

Seine Bilder sind vor Kurzem in dem Buch Au Désert: Migrations Népal – Qatar erschienen. Wir haben mit Lecloux gesprochen.

Ein langes flaches Gebäude in einer Wüstenlandschaft, daneben ein Zaun

Ein Camp in dem kleinen Küstenort Simaisma, al-Chaur, Katar, APRIL 2016

VICE: Wie bist du auf die Migration nepalesischer Arbeiter an den Persischen Golf aufmerksam geworden?
Frédéric Lecloux:
Ich reise seit Mitte der 1990er nach Nepal. In der Regel gibt es beim Flug einen Zwischenstopp in Abu Dhabi, Dubai oder Doha. Ab den frühen 2000ern ist mir aufgefallen, dass die Passagiere im zweiten Teil der Reise fast ausschließlich junge Nepalesen sind. So bin ich auf dieses Migrationsphänomen aufmerksam geworden.

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Wirklich ausschlaggebend war dann die Veröffentlichung von Pete Pattissons Artikel 2013 im Guardian über die ersten offiziell anerkannten Todesfälle nepalesischer Arbeiter auf Stadionbaustellen in Katar. In einem anderen Artikel berichtete Florence Beaugé in der französischen Zeitung Le Monde über nepalesische Dörfer im Umkreis der Hauptstadt Kathmandu, in denen kaum noch Männer lebten.

Ein unfertiger Ziegelrohbau in einer nebeligen Landschaft

Ein Hauptziel der Arbeiter ist es, ihrer Familie ein Haus in Nepal zu bauen. Lakhanthari im Distrikt Morang, Nepal, Februar 2016

Du hast dich bei deiner Arbeit auf Gebiete im Südosten Nepals beschränkt. Ist diese Gegend besonders betroffen?
Ja, die ganze Region Terai ist extrem betroffen. Dort gibt es viele Dörfer, in denen die einzigen männlichen Bewohner Kinder oder alte Männer sind. Aber finanziell motivierte Migration ist für diese Gegend nichts Neues. Nepalesinnen und Nepalesen verlassen seit Jahrzehnten ihr Land, um ihre Familien besser unterstützen zu können.

Anfangs war das Hauptziel noch das benachbarte Indien. Die Männer gingen ein paar Monate dorthin, um als Saisonarbeiter zu arbeiten. Mit der Zeit sind diese Männer auf ihrer Arbeitssuche immer weiter in den Süden gereist. Zuerst nach Malaysia, schließlich an den Golf. 

Wie bist du mit den Familien dieser Menschen in Kontakt gekommen?
Das war nicht leicht. Die Bezirke, aus denen sie stammen, sind extrem konservativ. Wenn eine junge Frau in Nepal heiratet, lebt sie bei der Familie des Mannes und steht häufig unter der strengen Kontrolle der Schwiegermütter und Schwäger. Als Westler war es also unmöglich, mit den daheimgebliebenen Frauen der Arbeiter direkt in Kontakt zu treten. Ich fand schließlich eine Sozialarbeiterin, die mir bei meinen Interviews und meinen Fotos half. 

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Wie denken die Frauen darüber, dass ihre Männer im Ausland arbeiten?
Ein Satz, der immer wieder fällt, ist: "Wir haben keine Wahl." Ich habe versucht, zu verstehen, was genau dahintersteckt. Nach Dutzenden Interviews würde ich sagen, dass es vor allem sozialer Druck ist. Weil ein Nachbar sich auf diese Weise ein Haus, ein Motorrad oder ein kleines Lebensmittelgeschäft kaufen konnte, wollen sie das auch.

Sie wollen der Armut entkommen und schicken ihre Männer zum Arbeiten in entfernte Länder – in der Hoffnung, dass sie zurückkommen. Der nepalesische Staat kann ihnen kein anständiges Leben garantieren, also gehen sie weg.

Ein Mädchen in rot-gepunkteten Kleid und langen dunklen Haaren hält ein Handy in die Kamera

N.'s Vater ist einen Monat, bevor dieses Bild entstand, nach Katar gegangen. N. und ihre Mutter wissen nicht, in welcher Stadt er ist. Davor arbeitete er sechs Jahre in Malaysia. Morang, Nepal, Februar 2016

Nachdem du diese Familien besucht hast, hast du dich auf die Suche nach ihren Männern in Katar gemacht.
Ja, ich bin widerwillig und voller Sorgen dorthin gereist. Ich hatte das Gefühl, ständig beobachtet zu werden. Ich kannte die Berichte von Journalisten, deren Fotos konfisziert wurden, während sie zu dem Thema recherchierten.

Vor Ort hat mir dann Rajendra geholfen, ein Nepalese, der ein Auto hatte. Er heißt in Wahrheit anders. Ich habe die Arbeiter per Telefon kontaktiert und einen Treffpunkt mit ihnen vereinbart. Dann sind wir zu den Camps am Rand von Doha gefahren.

Konntest du die Camps problemlos betreten?
Überraschenderweise ja. Rajendra und ich parkten vor dem Camp, wo uns die Männer schon erwarteten. Wenn Sicherheitsleute fragten, was wir dort machen, sagten wir einfach, dass wir So-und-so besuchen würden und Freunde der Familie seien. Das war auch mehr oder weniger wahr. Ich war die letzte Person in Katar, die ihre Familien gesehen hatte, und brachte ihnen Fotos und Neuigkeiten.

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Wir verbrachten aber nicht zu viel Zeit in den Camps, höchstens ein bis zwei Stunden. Wir wollten ihnen nicht die wenige Freizeit nehmen, die sie hatten. Sie sagten uns oft, dass sie keine andere Wahl hätten, als zum Arbeiten ins Ausland zu gehen. Dazu ergab sich ein starkes Bild von der Erschöpfung und Langweile, die dieses Leben mit sich bringt. 

Zahlt es sich für diese Leute denn aus?
Die Menschen sprechen viel über die Kredite, die sie aufnehmen mussten, um einmal um die halbe Welt reisen zu können. In Nepal ist es üblich, dass Mittelsmänner durch Dörfer gehen und für ein paar Tausend Rupien einen Pass, ein Flugticket und einen Arbeitsvertrag anbieten. Da die Familien dieses Geld nicht haben, müssen sie Kredite mit extrem hohen Zinsen aufnehmen. In der Regel geht alles, was die Männer im ersten Jahr verdienen, für das Abbezahlen dieser Kredite drauf. Man das alles allerdings auch ins Verhältnis setzen. In ihrer Heimat würden sie in der Landwirtschaft umgerechnet etwa 1,25 Euro am Tag verdienen. Das ist weniger als das, was sie in Katar bekommen.

Eine große Gemeinschaftsküche mit mehreren Gasfeldern, es ist nicht sehr sauber

Die Küche eines Arbeitercamps im Sanaya-Industriegebiet von Doha, Katar, 8. April 2016

Glaubst du, dass diese Abwanderung eines Tages abebben wird?
Auch wenn die Migration in den vergangenen Jahren etwas zurückgegangen ist, ist sie zu einem strukturellen Bestandteil des nepalesischen Staates geworden. Je nach Quelle und Jahr stammen zwischen 25 und 30 Prozent des nepalesischen Bruttoinlandsprodukts von Menschen, die im Ausland arbeiten. Die Regierung versucht deshalb, diesen Migrationsprozess so reibungslos wie möglich zu gestalten. Auch Nichtregierungsorganisationen konzentrieren sich vor allem darauf, die Migration sicherer zu machen – und nicht etwa, sie einzuschränken.

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Ich finde besonders bemerkenswert, dass in Nepal die Frage, ob diese Migration gut oder schlecht für das Land ist, überhaupt nicht mehr gestellt wird. Für junge Männer ist es fast schon ein obligatorischer Teil ihres Lebens geworden. Heutzutage sind allerdings bis zu zehn Prozent der Menschen, die Nepal für Arbeit im Ausland verlassen, Frauen. Sie gehen vor allem in Golfstaaten, um dort als Hausangestellte zu arbeiten. Da diese jungen Frauen sehr isoliert in den Häusern ihrer Arbeitgeber leben, befürchte ich, dass sie noch viel traumatischere Situationen durchleben.

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Ein handy und Fotos liegen auf einer roten mit Rosen verzierten Decke

Familienfotos und das Handy von Sarada Devi Chaudary, 31. Das Handy zeigt einen Anruf von ihrem Mann Gyan Kumar Chaudary, 32, der seit sieben Jahren als Sicherheitsmann in Katar arbeitet. Bhamri im Sunsari Distrikt, Nepal, Februrar 2016

Eine flache Wüstenlandschaft mit langen Gebäuden am Horizont

Die Barwa Commercial Avenue, eine acht Kilometer langes Einkaufszentrum, kurz vor ihrer Eröffnung. Doha, Katar, 7. April 2016

Ein Stück Wiese mit einer Palme, auf der anderen Straßenseite Wüste

Barwa City. Doha, Katar, 7. April 2016