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Menschen erzählen, wie sie mit Verschwörungstheoretikern in ihrer Familie umgehen

"Um meiner Freundin zu beweisen, dass die Erde rund ist, hatte ich kurz überlegt, mit ihr an den Südpol zu reisen".
Der Coronavirus, um den sich viele Verschwörungstheorien drehen
Collage: mattthewafflecat auf Pixabay, imago images / Richard Wareham


Seit dem Corona-Ausbruch gibt es nicht nur tägliche Updates vom Robert Koch-Institut, sondern auch aus den familieninternen Whatsapp-Gruppen. Neben Memes zum Klopapiermangel oder "lustigen" Hamster-Wortspielen besonders beliebt: Verschwörungstheorien zur "Corona-Lüge". Denn in fast jeder Familie (und auch in manchen Freundeskreisen) gibt es tatsächliche oder zumindest potenzielle Aluhut-Träger.

Fast die Hälfte aller Deutschen glaubt an "geheime Mächte", so eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Was tun, wenn Menschen aus den eigenen Reihen zu Verschwörungstheoretikern werden? Natürlich, man kann sich durch die Fachbücher zum korrekten "Debunking" lesen. Wir haben zusätzlich Menschen gefragt, deren Eltern Impfgegner sind, deren Onkel krude Theorien von der Umvolkung verbreiten und eine Aluhut-Expertin, die früher bei den Zeugen Jehovas war. Um ihnen und ihren Bekannten Anonymität zu geben, haben wir ihre Namen teilweise verändert.

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Impfgegner

"Meine Eltern gaben mir einen Zettel mit: 'Unser Sohn soll nicht geimpft werden'"

Robert, 22: Mir fiel erst als Jugendlicher auf, dass meine Familie anders war. Bei Ferienfreizeiten sollte ich einen Impfpass vorlegen; meine Eltern aber gaben mir nur einen Zettel mit: "Unser Sohn soll nicht geimpft werden". Irgendwann war mir das so unangenehm, dass ich mir einen leeren Impfpass besorgte, um nicht mit dem Zettel aufzufallen.

Mit 18 Jahren habe ich mich selbst impfen lassen. Inzwischen studiere ich Medizin. Mein Umgang mit meinen Eltern: Ich schicke ihnen Fakten. Zum Impf-Thema etwa Studien, die zeigen, dass es keinen bewiesenen Zusammenhang zwischen Impfungen und Erkrankungen wie Autismus gibt. Was allerdings nichts gebracht hat. Zu Weihnachten bekam ich trotzdem esoterische Impfgegner-Bücher geschenkt. Ich gab sie zurück. Vorher aber habe ich auf manchen Seiten medizinische Fakten notiert; etwa dass Herdenimmunität auch Epidemien verhindern kann – falls die Bücher weiterverschenkt werden.

Ich habe kein schlechtes Verhältnis zu meinen Eltern, aber wir reden selten über das Impf-Thema. Und ich besuche sie selten länger als ein Wochenende. Zum Coronavirus schickten mir meine Eltern Mails mit falschen Informationen wie das Video des Lungenarzts Wodarg. Ich antwortete mit den offiziellen Empfehlungen des Robert Koch-Instituts. Mehr möchte ich aktuell nicht tun. Ich will den Familienfrieden nicht gefährden.

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Coronavirus

"Meist lachen wir, wenn Oma zum hundertsten Mal den Weltuntergang prophezeit. Doch bei Corona mache ich mir wirklich Sorgen"

Caro, 24: Ich kann mit meiner Oma über viele Dinge lachen und schätze sie als intelligent ein. Doch sie hatte schon immer komische Angewohnheiten: Eine Zeit lang glaubte sie, man könne sich von Licht ernähren. Meine Oma war auch mal Scientology-Mitglied. Darüber redet sie heute aber nicht mehr.

Die Strategie meiner Familie: Wir lachen, wenn Oma alle paar Wochen mit einem neuen Wunderheilmittel ankommt oder uns zum hundertsten Mal den Weltuntergang prophezeit. Doch seit dem Ausbruch des Coronavirus mache ich mir wirklich Sorgen. Sie behauptet, das Virus sei von der Regierung inszeniert. Sie geht unbekümmert einkaufen, trifft Freunde und hält auch die wichtigsten Hygienemaßnahmen wie regelmäßiges Händewaschen nicht wirklich ein.

Deswegen schreibe ich ihr andauernd und versuche sie davon zu überzeugen, dass das Virus besonders für sie als ältere Frau gefährlich sein könnte. Sie sieht es zwar immer noch nicht ein, aber sie bleibt zumindest weitestgehend zuhause. Mir zuliebe, sagt sie. Durch die Geschichte habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, dass man über Betroffene nicht nur lacht, sondern mit ihnen diskutiert.

Flat Earth

"Das Thema mit der flachen Erde belastete unsere Beziehung"

Tobi, 35: Ich habe keinen Verschwörungstheoretiker in meiner Familie. Aber ich war mal ein Dreivierteljahr mit einer Frau zusammen, die wirklich glaubte, dass die Erde flach sei. Ich war eine Zeit lang in Facebook-Gruppen unterwegs, auf der ich mit Verschwörungstheoretikern diskutierte, nach dem Motto "Kenne deinen Feind". Dort zoffte ich mich mit einer Frau in meinem Alter über die Form der Erde. Nach kurzer Zeit fiel uns beiden auf, dass wir aufeinander abfahren. Wir trafen uns und wurden ein Paar.

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Auch wenn wir zunächst verliebt waren – das Thema mit der flachen Erde belastete unsere Beziehung. Sie war glühende Anhängerin eines Flacherdlers namens "Astrotoni". Sie schickte mir seine Youtube-Videos. Ich recherchierte daraufhin mühsam Gegenbeweise aus der Physik zusammen. Es kam ständig zum Streit.

Ich ging sogar so weit, dass ich überlegte, mit ihr gemeinsam an den Südpol zu fahren, um ihr zu zeigen, dass dort kein Abgrund ist. Dazu kam es aber nicht, zum Glück. Wir trennten uns später aus anderen Gründen. Heute kann ich über diese Geschichte schmunzeln. Trotzdem hat sie mir gezeigt, dass es mir nicht gut tut, mich zu sehr in Diskussionen zu vernarren.

Umvolkung

"Mein Onkel begann 2015, unseren Familienchat mit 'Bevölkerungsaustausch-Theorien' vollzutexten"

Nina, 26: Mein Onkel war schon immer konservativ. Da ich mich als Linke sehe, kam es auf Familienfeiern früher oft zu Diskussionen. Doch als pensionierter Arzt hat er jetzt die Zeit, die Abgründe des Internets zu durchforsten. Was unser Verhältnis nochmals verschlechtert hat. Nach 2015 begann er, den Familienchat mit seinen Theorien zum "Bevölkerungsaustausch" vollzutexten. Meine Strategie? Ich habe die Gruppe verlassen.

Ich sehe meinen Onkel nur zwei Mal im Jahr, daher war das kein Problem. Doch als er herausfand, dass mein Freund Iraner war, begann er, mich bei den gemeinsamen Familienfeiern immer wieder zum Gespräch in die Ecke zu drängen. Er versuchte, mir die Beziehung auszureden, bezeichnete mich als Verräterin. Meistens fuhr ich dann weinend nach Hause. Ich beschloss, auch Familienfeiern zu meiden.

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Letztes Jahr beendete ich die Beziehung zu meinem damaligen Freund. Auf einmal war mir mein Onkel wieder wohl gesonnen. Ich fasste meinen Mut zusammen und besuchte die erste Familienfeier seit langem. Er war freundlich, aber an seiner Ideologie hat sich nichts geändert. Ich würde mich daher nicht mehr alleine mit ihm unterhalten. Auch wenn das traurig ist: Es ist für mich der einzige Weg, das verkraften zu können.

Weltuntergang

"Ich dachte als Kind immer, wir seien in Lebensgefahr, weil die Zeugen Jehovas immer den Weltuntergang prophezeien"

Giulia, 39: Ich war noch in der Grundschule, als meine Mutter an die Zeugen Jehovas geriet. Die Sekte prophezeit den bevorstehenden Weltuntergang, weshalb ich ständig dachte, wir seien in Lebensgefahr. Hinzu kam der Druck, immer so zu handeln zu müssen, wie es die Organisation von mir verlangte. Aus dieser Zeit habe ich eine Traumafolgestörung. Daran leide ich noch heute. 2014, sieben Jahre nach meinen endgültigen Ausstieg, habe ich den "Goldenen Aluhut" gegründet, eine gemeinnützige Organisation, die Aufklärungsarbeit gegen jede Form von ideologischem Missbrauch betreibt. Durch meine Arbeit weiß ich, dass es wichtig ist, den betroffenen Menschen mit Respekt zu begegnen. Der Glaube an Verschwörungstheorien hat verschiedene Ursachen: Man sollte daher immer nach dem "Warum" fragen, sich mit der Vorgeschichte der Person auseinandersetzen.

Gleichzeitig würde ich immer eine klare Position beziehen, etwa wenn sich jemand rassistisch oder antisemitisch äußert. Das birgt natürlich Konfliktpotenzial. Wenn die Familie stark darunter leidet, sollte man sich auch nicht davor scheuen, Therapiemöglichkeiten zu suchen. Wichtig ist, das Familienmitglied nicht mit dieser Entscheidung überrumpeln, sondern sich bei Fachstellen wie uns im Vorfeld zu informieren.

Viele verdrängen den Konflikt auch; das ist weder ungewöhnlich noch verwerflich. Doch auch wenn die Diskussionen anstrengend und ergebnislos wirken, sollte man es dennoch versuchen. Die Corona-Krise verunsichert uns alle. Es ist daher jetzt besonders wichtig, auf Betroffene zu achten. Manchmal hilft es schon, wenn man sich zusammen an den Computer setzt, um gemeinsam nach Fakten zu recherchieren.

Gibt es Menschen in deinem Umfeld, die an Verschwörungstheorien glauben? Bist du selbst Mitglied einer Sekte oder einer ideologischen Vereinigung und möchtest aussteigen? Der goldene Aluhut hat hier einige Anlaufstellen aufgelistet, die dir weiterhelfen können.

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