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Kaffee kann viel mehr sein als nur dein täglicher Koffeinkick

Egal ob du deinen morgendlichen Espresso bei einem kleinen Coffee Truck auf der Straße bestellst, einen Filterkaffee bei Starbucks holst oder zu Hause eine Tasse braust, die Wahrscheinlichkeit ist ziemlich groß, dass du mit Kaffee in deinen Tag startest. Kaffee ist lebenswichtig.

So wichtig, dass er nach Erdöl das am zweitmeisten gehandelte Produkt der Welt ist. Jedes Jahr trinken die Deutschen 165 Liter Kaffee (mehr als Mineralwasser!) und geben hunderte Millionen Euro dafür aus. Weltweit werden jedes Jahr 400 Milliarden Tassen ausgeschenkt.

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Kaffee ist möglicherweise das beliebteste Getränk des Planeten, aber über den Produktionsprozess dahinter wissen nur die wenigsten Bescheid. Für jeden Espresso braucht man um die 40 Bohnen, die den sogenannten Kaffeekirschen entnommen werden. Kaffeekirschen sind die roten Früchte der Kaffeepflanze, die nach der Kaffeeernte weitgehend im Müll landen und vor sich hin rotten. Nur um die 15 Prozent des Fruchtfleischs werden zu minderwertigem Pflanzendünger verarbeitet.

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Die „Kaffeekirschen”, aus denen das Mehl hergestellt wird. Foto von CoffeeFlour.

CoffeeFlour ist ein Start-up aus Seattle, das vorhat, dieses Abfallprodukt der Kaffeeherstellung zu einer Ware zu verwandeln und so eine neue, nachhaltige Wirtschaft für Kaffeeproduzenten zu schaffen.

„CoffeeFlour ist im Grunde ein Nebenprodukt von etwas Riesigem”, erklärt Dan Belliveau, der CEO von CoffeeFlour und ehemaliger Technical Services Director bei Starbucks. „Es wird etwas verschwendet und das muss nicht so sein. Als ich bei Starbucks arbeitete, besuchte ich öfters Farmen, auf denen Kaffee produziert wurde. Die Größenordnung ist unglaublich und oft beobachtete ich, wie die das Fruchtfleisch der Kaffeekirschen einfach weggeworfen wurde. Da waren Berge von verrottendem Fruchtfleisch und ich dachte mir, es müsste doch eine bessere Verwendung dafür geben.”

Heute, zwei Jahre später, werden die verwesenden Haufen auf Farmen in Nicaragua, Mexiko und Vietnam zu CoffeeFlour umgewandelt. Wenn es nach Belliveau ginge, würden wir 2015 alle anfangen, Roggencrackers und Brownies aus CoffeeFlour zu essen.

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„Als wir auf diese Technik stießen, mit der man richtiges Mehl herstellen kann, wussten wir gleich, dass das was Großes werden könnte. Und für die Bauern ist es gar nicht so viel Mehrarbeit”, sagt er. „Anstatt die Früchte wegzuschmeißen, machen sie etwas daraus, das sie dann auch noch verkaufen können.”

Belliveaus erste Versuche, das Nebenprodukt unserer Kaffeesucht zu etwas Brauchbarem zu verwandeln, schienen ziemlich aussichtslos. Erst als er und sein Team eine Methode fanden, die Kirschen zu trocknen und zu Mehl zu mahlen (mit einem „geheimen” Schritt dazwischen, den Belliveau uns nicht verraten konnte), wurden Investoren wie der riesige Kaffeehändler Mercon Coffee Corp auf das Start-up aufmerksam.

„Wir hoffen, dass die Gemeinschaften, die Kaffee ernten, den wirtschaftlichen Vorteil sehen. Die Kaffeekirschen rotten tonnenweise vor sich hin”, erklärt Belliveau. „Die Mehrarbeit hält sich im Rahmen und somit bedeutet das einen Gewinn für die Bauern.”

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Eine Schüssel CoffeeFlour in seiner ursprünglichsten Form. Foto vom Autor.

Überraschenderweise schmeckt das Mehl nicht nach Kaffee und somit eignet es sich für die verschiedensten Produkte wie Brot, Kuchen oder Nudeln. Das Start-up sagt außerdem, ihr Produkt habe „84 Prozent weniger Fett und 42 Prozent weniger Ballaststoffe als Kokosnussmehl” sowie mehr Eiweiß pro Gramm als Grünkohl. Mit diesen Gesundheitsvorteilen und einer ethischen Geschichte im Hintergrund könnte das Mehl schon bald als das nächste Superfood gehandelt werden. Belliveau liegt aber besonders viel daran, auf die soziale Wirkung von CoffeeFlour aufmerksam zu machen.

„In Indien haben wir beispielsweise Versuche gestartet, Naan aus unserem Mehl herzustellen”, erzählt er. „Es ist ein ethisches, nachhaltiges neues Produkt, mit dem man Leute ernähren kann.”

So weit, so gut, aber von Ethik und Nachhaltigkeit hat man nichts, wenn CoffeeFlour nicht als Zutat verwendet werden kann. Ich traf mich mit dem Küchenchef des Londoner Restaurants Bistrò by Shot und ehemaligen Konditor Fabrice Meier an, um nachzufragen, ob sich CoffeeFlour in kommerziellen Küchen durchsetzen könnte.

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Der Küchenchef des Bistrò by Shot Fabrice Meier arbeitete mit CoffeeFlour. Foto vom Autor.

„Es bindet stark”, bemerkt Meier, als er das Mehl zu seinem Keksteig mischt. „Und es ist recht körnig und rau. Aber es hat auch eine Süße und Tiefe.”

Zuerst verwendeten wir das Mehl in seiner natürlichsten Form. Die Kekse waren bitter und ein bisschen trocken, aber es ist Potential vorhanden, CoffeeFlour mit Erfolg einzusetzen—wenn man weiß, was man macht. Wenn man es beispielsweise mit Buchweizen in einem Verhältnis von 40 zu 60 vermischt, ist schon nachvollziehbar, wieso Belliveau fest daran glaubt, dass man aus Kaffee nicht nur einen Americano, sondern auch den passenden Keks machen kann.

„Es passt gut zu Rosinen und Haferfocken”, sagt Meier, als wir CoffeeFlour für unseren nächsten Versuch mit glutenfreiem Mehl vermischen. „Ich mag es. Ich finde es gut, wie fest es ist. Wir haben hier einen ganz neuen, sehr speziellen Geschmack. Es ist nicht Kaffee. Etwas komplett anderes.”

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Meier macht einen Keks aus CoffeeFlour. Foto vom Autor.

Neben dem Einsatz in kommerziellen Küchen arbeitet CoffeeFlour derzeit auch daran, Mehl für abgepackte Waren wie Granola, Cookies oder Brownies zu produzieren.

„Besonders aufregend finde ich, dass Kaffee aus verschiedenen Teilen der Welt unterschiedlich schmeckt. Kaffee aus Indien ist etwas komplett anderes, als Kaffee aus Teilen Afrikas”, erklärt Belliveau. „Manche sind trockener und funktionieren besser für Brot, fruchtigere Sorten eignen sich besser für Brownies.”

Belliveau erweckte mit seinem Produkt das Interesse von einigen großen Playern, nicht nur aus der Kaffeewelt, was er wohl teilweise seiner Vergangenheit bei Starbucks zu verdanken hat. Caffe Nero hat bereits Interesse an CoffeeFlour bekundet und in Nicaragua—wo der Betrieb bereits reibungslos läuft—bietet die Kaffeekette Casa del Café Muffins und Cookies aus dem Mehl an. Belliveau erzählt, dass auch Google in seiner Kantine mit CoffeeFlour experimentierte.

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Quenelles aus Rhabarberkompott, Aprikosenmarmelade, Crème fraîche und CoffeeFlour-„Erde”. Foto vom Autor.

„Wir sind ungefähr ein Jahr weiter, als wir geplant hatten, aber trotzdem liegt noch viel Arbeit vor uns”, sagt er. „Wir arbeiten bereits in einer Handvoll Länder, in denen Kaffee produziert wird, aber es gibt noch hunderte unerschlossene. Wir wollen, dass eine globale Sache wird.”

Egal, wie ethisch eine Idee ist, ein Unternehmen wie CoffeeFlour ist profitabel. Belliveau konnte keinen genauen Zahlen nennen (sie steigen wahrscheinlich ständig), aber angesichts der Milliardenumsätze, die Kaffeebohnen einbringen, dürften die Früchte, in denen sie gedeihen, bald auch eine Blüte erleben.