Manche Menschen schütteln mehr Statistiken aus dem Ärmel als das Dschungelcamp Z-Promis. Die Glaubwürdigkeit so einer Behauptung wird nur selten in Frage gestellt. Erst recht nicht, wenn sie von einem Mann kommt, dessen oberster Chef die Zehn Gebote (und gerüchteweise auch die komplette Welt) erfunden hat: Kardinal Walter Brandmüller.
In einem Gespräch mit der Deutschen Presse Agentur behauptet der 89-jährige ganz keck, dass ein Zusammenhang zwischen Homosexualität und Missbrauch “statistisch erwiesen” sei.
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Da die Kirche Zugriff auf Statistiken zu haben scheint, die Normalsterblichen verwehrt bleiben, habe ich bei der Pressesprecherin der Deutschen Bischofskonferenz angerufen und sie freundlich gebeten, mir diese Statistik zukommen zu lassen. Es wäre schließlich ein Skandal, sollten diese Zusammenhänge wirklich wahr sein.
Da der Kardinal sein Abendmahl derzeit jedoch in Rom genießt, kann mir die Sprecherin keine Auskunft geben. Sie bietet jedoch an, meine Anfrage weiterzuleiten und verspricht, sich innerhalb von einer Stunde zurückzumelden. Nach einer Stunde die große Ernüchterung: Ich muss mich an den Heiligen Stuhl im Vatikan wenden.
Eines kann mir die Sprecherin allerdings sagen: “Wir von der Deutschen Bischofskonferenz wissen nicht, auf welche empirische Grundlage der Kardinal sich da bezieht”. Wie bitte? Hat der Kardinal diese Statistik etwa bloß erfunden, um seine kruden Gedankenstränge seriöser erscheinen zu lassen?
Ich versuche es bei der Apostolischen Nuntiatur, der diplomatischen Vertretung des Papstes in Deutschland. Dort scheint Personalmangel zu herrschen. Oder alle sind noch zu gerädert von Weihnachten, Jesu Geburt. Der einzige Pressesprecher kommt erst nächste Woche wieder.
Zum Glück bekomme ich eine Büroangestellte ans Telefon, die mir zumindest erklärt, dass die Nuntiatur keinen Kontakt zu dem pensionierten Kardinal habe. Der lebe irgendwo in Rom, sie habe nicht einmal seine Adresse. Da ein voreingenommener Teil von mir davon ausgeht, dass sich so eine Statistik unter Katholiken schneller verbreiten müsste als der Relotius-Skandal unter Journalisten, frage ich sie einfach ganz direkt: “Haben Sie persönlich jemals von einer Statistik gehört, die einen Zusammenhang zwischen Homosexualität und Missbrauch belegt?” Ihre Antwort lautet Nein.
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Da die Kirche mir scheinbar nicht weiterhelfen kann, google ich. Ich finde die “MHG-Studie“, die sich mit “sexuellem Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz” befasst. In Auftrag gegeben hat sie die katholische Kirche selbst.
Ich finde den Kardinal nicht – und seine Daten auch nicht in der Missbrauchsstudie der Kirche
Laut Studie könne die Verpflichtung zu einem Leben im Zölibat homosexuellen Menschen, die ihre Homosexualität bekämpfen, zwar als Lösung für ihre “innerpsychischen Probleme” erscheinen, trotzdem sei Homosexualität nicht die Ursache für den Missbrauch an Kindern (PDF der Zusammenfassung). Sollte ich also einen Zusammenhang zwischen katholischen Priestern und unterdrückter Homosexualität als “statistisch erwiesen” betrachten?
Leider konnte ich den Kardinal in Rente nicht erreichen und auch sonst niemanden finden, der mir diese Statistik, von der er da redet, schicken wollte. Also, falls Sie das hier lesen, Herr Brandmüller: Die Statistik hätte ich immer noch gerne. Melden Sie sich!
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