Es gibt Dinge, zu denen gibt es nur zwei Meinungen. Und das ist auch nur deshalb so, weil ein Teil der Menschheit die Augen vor der Wirklichkeit so fest zudrückt, dass er ständig gegen eine Wand rennt. Solche Menschen denken, dass die Erde eine Scheibe ist und keine Kugel. Dass Impfstoffe die Menschen vergiften und nicht heilen. Oder dass der Holocaust, also der beispiellose Völkermord der Deutschen am jüdischen Volk, nie stattgefunden hat, genauso wenig wie die Kriegsverbrechen des NS-Regimes. Zu diesen Menschen gehört Karl Münter.
Der 96-jährige ehemalige SS-Mann Münter gibt sich seit 70 Jahren große Mühe, die Augen geschlossen zu halten. Dem ARD-Magazin Panorama (Ausstrahlung am Donnerstag um 21:45) hat Münter ein Interview gegeben, für das das Adjektiv “skandalös” eine hübsche Untertreibung wäre.
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“Wenn ich die Männer arrestiere, dann habe ich die Verantwortung für sie. Und wenn sie weglaufen, habe ich das Recht, auf sie zu schießen”, rechtfertigt Münter gegenüber dem ARD-Team die Ermordung von Zivilisten. Er bezieht sich auf die Nacht vom 1. auf 2. April 1944: Münter war damals als Unterscharführer einer SS-Panzerdivision am sogenannten “Massaker von Ascq” beteiligt: Die Schutzstaffel stürmte damals die Häuser von Bewohnern der nordfranzösischen Stadt, karrte sie zum Bahnhof und erschoss insgesamt 86 Menschen.
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Münter erklärt das so: “Wenn [die Franzosen] ein reines Gewissen gehabt hätten, warum liefen sie dann weg?” Er selbst habe niemanden erschossen, lediglich Menschen festgenommen. Sein Verhalten sieht er als rechtmäßig an. Anhand der Unterlagen, die in einem Lastwagen der Panzerdivision gefunden wurden, konnten Münter und 16 weitere Verantwortliche trotzdem identifiziert werden. Neun von ihnen wurden nach dem Krieg angeklagt.
Acht von ihnen verurteilte das Gericht in Lille 1949 wegen “Kriegsverbrechen” zum Tode. Münter war einer von ihnen. Doch Münter wurde weder getötet, noch musste er je eine Strafe verbüßen. Weil Deutschland die Auslieferung verweigerte, wurde die Strafe nicht vollstreckt. Münter ging in der Nachkriegszeit einem Job bei der Post in Norddeutschland nach. In Frankreich hingegen verjährte das Kriegsverbrechen nach 20 Jahren. Und Deutschland konnte ihn nicht noch einmal vor Gericht bringen. Grund dafür ist die europäische Rechtsprechung: Da gemäß des Schengen-Abkommens niemand in der EU für eine Tat angeklagt werden darf, für die er in einem anderen EU-Staat bereits verurteilt wurde, konnte ihn die deutsche Justiz nicht belangen.
“Millionen Juden? Hat’s nicht gegeben”
Im Interview mit Panorama leugnet Münter außerdem, dass das Deutsche Reich die Schuld am Krieg trägt und im Holocaust Millionen Menschen ermordet hat. “[Millionen] Juden hat’s damals gar nicht gegeben. Das hat man jetzt schon widerlegt”, sagt Münter. “Ich habe letztens irgendwo gelesen, dass diese Zahl gar nicht stimmt, die da rausgegeben wird.”
Dass sich Holocaustleugnung bei Rechtsextremen großer Beliebtheit erfreut, ist in etwa so überraschend wie irgendeine Peinlichkeit von Erika Steinbach. Das sieht man nicht zuletzt an der Solidarität, die Neonazis der verurteilte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck entgegenbringen. Kein Wunder also, dass auch Münter eine Art Identifikationsfigur für die geworden ist: Anfang November lud ihn der Vizevorsitzende der NPD, Thorsten Heise, nach Fretterode in Thüringen zum “Zeitzeugengespräch” ein. Etwa 100 Neonazis aus ganz Deutschland kamen. “Die Bude war proppenvoll”, erinnert sich Münter.
Fanpost, Autogramme und Buchwidmungen
“Ich verstehe nicht, dass man solche Leute gut findet oder verteidigen kann”, sagt Rolande Bonte, die Tochter eines Bahnarbeiters aus Ascq, den die SS damals erschoss, im Bezug auf Münter. Panorama hat auch mit ihr gesprochen. “Der SS-Mann wird sich nicht mehr ändern. Aber man muss dafür sorgen, dass er keine anderen mit seinen Ideen ansteckt”, so Bonte.
Ob es Münter wirklich nicht gelingt, seine Ansichten weiterzuverbreiten, muss indes bezweifelt werden. Seit dem Vortrag auf Heises Privatgelände in Thüringen ist Münter eine Ikone: Nach eigenen Aussagen bekommt er Fanpost und Hausbesuche, er signiert Fotos und schreibt Buchwidmungen.
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