Für alle, die nicht wissen, was es mit Kärnten und der slowenischen Minderheit auf sich hat, hier die Kurzfassung: Nach dem Ende des ersten Weltkrieges versuchte das Königreich Jugoslawien die slowenischen Gebiete in Kärnten zu besetzen. Diese Auseinandersetzung endete mit einer Volksabstimmung 1920, bei der die Kärntner über den Verbleib bei Österreich abstimmten. Damals stimmte fast jeder zweite wahlberechtigte Kärntner mit slowenischer Muttersprache für den Verbleib bei Kärnten. Die Kärntner Slowenen werden seit dem Österreichischen Staatsvertrag von 1955 offiziell als Minderheit anerkannt.
Trotz offizieller Anerkennung, sah es in Realität nicht ganz so harmonisch aus. Generell kann man sagen, dass die Zeit nach 1920 für die Kärntner Slowenen eine schwierige war – dieser Artikel vom Kurier fasst das ziemlich gut zusammen. Die Krönung war der Ortstafelstreit – ein Streit, der länger dauerte als der erste und zweite Weltkrieg zusammen und erst 2011 gelöst wurde. Die Konflikte sind aber noch lange nicht vorüber. Erst letztes Jahr noch wollte die ÖVP die Kärntner Slowenen aus dem Entwurf der neuen Landesverfassung streichen.
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Wenn man wie ich in Kärnten aufwächst, bemerkt man, dass dieser Konflikt, aber nicht nur in den oberen Etagen ausgeführt wird, sondern dass auch bestimmte Personen aus der Nachbarschaft ein Problem mit den “Windischen” haben. Umso mehr verwirrt es mich also, dass genau dieselben Personen anscheinend nichts gegen slowenische Volksmusik haben. Als ich zum Beispiel einmal auf einem Dorffest war, hat ein FPÖler, der jährlich Haiders Todestag in Form eines Facebook-Posts gedenkt, begeistert ein slowenisches Lied namens “Ti Moja Rožica” mitgröhlt. Gibt es in der Volksmusik einfach keine politischen Barrieren und ist Volksmusik überhaupt politisch? Ich habe mich mit Manfred Riedl, einem Musiker und Experten der Geschichte der Volksmusik, darüber unterhalten.
Noisey: Auf Volkskultur-Kärnten schreiben Sie, dass eine Besonderheit an Kärnten zweifellos die kulturelle Verbindung zum Nachbarn Slowenien sei, die sich in der Musik deutlich auswirke. Wie ist es zu dieser musikalischen Verbindung gekommen?
Manfred Riedl: Kärnten war immer schon gegen den Süden ausgerichtet und befindet sich im Schnittpunkt dreier Kulturen – das spiegelt sich in in der Kultur und auch in der Volksmusik wieder. Die Verbindung zu Slowenien hängt natürlich auch stark mit der Donaumonarchie zusammen – Österreich, Slowenien, und so weiter – das war alles eins. Es hat ein starker kultureller Austausch stattgefunden, der sich bis heute auswirkt.
Ähnelt die slowenische Volksmusik unserer?
Man weiß heute sehr wenig über die traditionelle slowenische Volksmusik, aber die instrumentalen Voraussetzungen waren die gleichen, deshalb ist sie auch ähnlich unserer. Man hat auch in Slowenien, wie bei uns in Kärnten oder der Steiermark, hauptsächlich Saiteninstrumente (Geige, Hackbrett) und später die Harmonika zur Verfügung gehabt. Die musikalische Verbindung, die Kärnten mit Slowenien hat, zeigt sich aber besonders durch die Oberkrainer Musik, die 1955 durch Slavko Avsenik entstanden ist. Das ist aber eigentlich gar keine traditionell slowenische Volksmusik. Die Oberkrainer Musik – das war ein komplett neuer Stil mit einer neuen Besetzung und hat mehr mit dem amerikanischen Swing zu tun als mit der slowenischen Volksmusik. Allein schon die Begleitung mit der Gitarre war etwas völlig Neues.
Wie kam die Oberkrainer Musik dann nach Kärnten?
Warum sich das auf Kärnten so ausgewirkt hat, hängt damit zusammen, dass das “Trompetenecho”, mit dem sie bekannt geworden sind, 1955 in Klagenfurt tontechnisch gefestigt wurde. Man hat dazu einen Hallraum gebraucht und den gab es nur beim Klagenfurter Sender. Da hat man in Kärnten zum ersten Mal im Radio die Oberkrainer gehört und es kam bei den Leuten sehr gut an. Das hat irrsinnig viel bewirkt – es hat dann sehr viele Gruppen gegeben, die das nachgeahmt haben. Man kann sagen, dass der Siegeszug der Oberkrainermusik in Klagenfurt begonnen hat.
Warum wird gerade in Kärnten, wo es immer schon Konflikte bezüglich der slowenischen Minderheit gab, die slowenische Musik doch so akzeptiert?
Ich glaube, dass die Musik selbst unpolitisch und grenzüberschreitend ist – diese Konflikte spielen sich auf einer anderen Ebene ab. Aber Kärnten hat nunmal eine kulturelle Verbindung zu Slowenien. Das merkt man zum Beispiel auch an der Sprache, in der sich auch slawische Begriffe finden. Der politische Konflikt ist aus einem historischen Kontext entstanden, hat aber keinen Einfluss auf die kulturelle Verbindung. Auch Musiker, die ein gespaltenes Verhältnis zu den Slowenen, beziehungsweise zu den “Windischen” gehabt haben, haben teilweise mit Vorliebe diese slowenische Oberkrainer Musik gespielt und sind manchmal sogar in der Oberkrainer-Tracht aufgetreten. Die Musik hat ihnen gefallen und das war für sie viel wichtiger.
“Das bekannteste slowenische Volkslied, das in Kärnten gesungen wird, ist einfach umgedichtet worden und statt Slowenisch wird es auf Deutsch gesungen. Der Text wurde einfach zu “I bin a Kärntna Bua” geändert.”
Das heißt, in der Volksmusik gibt es keine politischen Barrieren?
Ja, in diesem Fall könnte man das so sagen.
Jetzt abgesehen von der politischen Orientierung: Sprachlich gesehen gibt es dann doch Barrieren. Warum wird in Kärnten dann trotzdem slowenische Volksmusik gehört?
Sprachlich gesehen gibt es natürlich Barrieren. Zum einen gibt es aber noch immer viele Leute, die zweisprachig aufgewachsen sind und Slowenisch verstehen. Auf der anderen Seite steht einfach das Musikalische im Vordergrund. Die Musik ist wie gesagt, ähnlich unserer und wird auch gerne gehört. Wenn zum Beispiel das Alpski Kvintet bei uns aufgetreten ist, war alles ausverkauft, aber natürlich haben die auf Slowenisch gesungen. Die Musik gefällt den Leuten und darum geht es.
Welchen Stellenwert hat dann der Text in der Volksmusik?
Der Text hat in der Volksmusik insofern keinen so großen Stellenwert, weil er sehr variabel und austauschbar ist – zumindest wenn man die Geschichte und Entwicklung der Volksmusik betrachtet. Die Tradierung der Volkslieder war mündlich und deshalb hat sich auch ständig etwas am Text verändert. Wenn man in unterschiedlichen Dialekten spricht entstehen oftmals unterschiedliche Reime und es ist sehr interessant wie viele Varianten es von bestimmten Liedern gibt. Ein Interessantes Beispiel ist das: Das bekannteste slowenische Volkslied, das in Kärnten gesungen wird, ist einfach umgedichtet worden und statt Slowenisch wird es auf Deutsch gesungen. Der Text wurde einfach zu “I bin a Kärntna Bua” geändert. Viele Texte sind auch spontan entstanden, wie wir es vom Stanzln singen kennen, wo man spontan spöttische Reime zu einer bekannten Melodie singt. Man kann also sagen, dass der Text einfach nicht so im Vordergrund steht wie die Musik.
Trotzdem steht Volksmusik auch immer wieder in Verbindung zur Politik. Finden Sie es ist berechtigt, dass diese Verbindung oft aufgezeigt wird?
Die Volksmusik ist im Grunde ein Lebensmittel, das die Menschen für sich selbst gemacht haben um bestimmte Situationen zu bewältigen. Das kulturelle Leben im Dorf hat sich innerhalb der Familie abgespielt und da ist natürlich schon der Heimatbegriff ein sehr wichtiger. Leider war in der NS-Zeit der Heimatbegriff auch ein sehr starker und wurde über die Volksmusik aufgegriffen und missbraucht. All diese Lieder hat man aber schon viel früher gesungen. Wenn man heute über die “Heimat” singt, wird man schnell in das rechte Eck gestellt. Ich glaube, dass die wenigsten, die aktiv Volksmusik praktizieren, das tun, weil sie sich mit dieser Ideologie identifizieren, sondern aus Freude an der Musik. Das Kulturelle selbst hat mit Politik nichts zu tun, aber es sind halt bestimmte Personen, die damit in Verbindung stehen, die dann Klischees und Vorurteile erzeugen. Volksmusik wird erst im Kontext politisch.
Welche Bedeutung hat Volksmusik heutzutage?
Im Moment versuche ich, die Volkskultur aus einem kultursoziologischen Hintergrund zu betrachten. Wie wirkt sich die Kultur aus auf den Menschen? Wir müssen nicht mehr Sätze sagen wie “Wir müssen die guten alten schönen Volkslieder wieder zum Leben erwecken.” Diese Lieder passen nicht mehr in unsere Zeit. Ich kann nicht mehr darüber singen, wie schön es ist, mit den Pferden aufs Feld zu gehen und zu pflügen. Was will man heutzutage damit bewegen, indem man der Jugend solche Lieder beibringt? Diese Lieder haben jedoch eine große Bedeutung für ältere Leute, die durch den Kontext der Lieder besser mit Krankheiten und Demenz umgehen könnten. Man muss sich mit der Frage beschäftigen “Was kann die Volkskultur heute den Menschen geben?” und das hängt stark mit der Gesellschaftskultur zusammen. Das wäre ein neuer Blickwinkel mit dem ich mich beschäftigen möchte.
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