Wir haben die Nackt-Dating-Show 'Naked Attraction' gesehen, damit du es nicht tun musst
Foto: RTL II

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Wir haben die Nackt-Dating-Show 'Naked Attraction' gesehen, damit du es nicht tun musst

"Eine Hand reicht da wahrscheinlich nicht", sagt die Moderatorin. "Na, dann muss man zwei Hände nehmen."

Ich stelle mir Dating in der Steinzeit in etwa so vor: Ein Höhlenmann läuft bei der Jagd einer nackten Brombeeren pflückenden Steinzeitfrau über den Weg. Beide bleiben stumm voreinander stehen. Er schaut ihre Muschi an, ihren Hintern und ihre Brüste. Wenn ihm alles ganz gut gefällt, nimmt er die Steinzeitfrau auf ein Stück Wildschwein mit in seine Höhle – um sie dort näher kennenzulernen.

Heute lenkt uns viel von dieser äußerst simplen und erfolgsversprechenden Art der Partnerwahl ab: mehrere Schichten von Kleidung, unser Stil, Bildungsstand, Geld, Job, Gefühle und der lästige Charakter, im Volksmund auch "die inneren Werte" genannt. Wer soll in diesem Dschungel der Persönlichkeiten bloß den Blick für das Wesentliche bewahren? Die gute Nachricht aber, ja die Rettung, für alle überforderten Singles heißt Naked Attraction und läuft auf RTL II. Dank der neuen Dating-Show darf jetzt endlich wieder steinzeitlich gedatet werden.

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Alle Screenshots: RTL II

Das Ganze läuft so: Sechs nackte Männer oder Frauen stehen jeweils in einer farbig-beleuchteten Kiste, ihr Körper ist verdeckt von einer Milchglasscheibe. Die Moderatorin Milka Loff Fernandes (bekannt aus der goldenen VIVA-Generation) steht mit einer partnersuchenden Frau oder einem Mann auf dem shiny floor des Studios. Jede Runde fährt die Milchglasscheibe ein Stück weiter hoch und enthüllt mehr vom Körper der Kandidaten. Nach jeder Runde muss der Mann oder die Frau einen Kandidaten rauswerfen, bis am Ende nur noch einer übrig bleibt, der mit zum Date in eine Kreuzberger Bar kommen darf.

Seit sich in den 90ern bei Tutti Frutti die ersten Nachbarn, Kollegen und Familienangehörigen bereitwillig und schamlos vor der ganzen Nation nackt gemacht haben, finden die unermüdlichen RTL-Fernseh-Genies immer wieder neue Formate, um Arsch, Titten, Pimmel und Muschis im TV zeigen zu können. Was früher die Nackt-Spiel-Show war, ist heute die Nackt-Dating-Show ( Adam sucht Eva ) oder ein "TV-Experiment" ( Das nackte Überleben ). Dating-Apps und -Websites haben uns quasi darauf gedrillt, in Sekunden nach dem Aussehen zu entscheiden. Naked Attraction ist nur die logische Konsequenz dieser Entwicklung. Sie treibt sie auf die Spitze.

Die erste Höhlenfrau heißt Jennifer, ist 24 Jahre alt, sehr sportlich und Erzieherin aus Gummersbach. "Dating finde ich super schwer, weil man so viele Möglichkeiten hat", klagt sie im Einspieler. Im Studio kann sie sich dann über die sechs Kens in ihren bunten Schachteln freuen. Dann geht es los. Für die erste Runde fährt die Scheibe bis zum Bauchnabel hoch und entblößt Füße, Beine, Hände und – natürlich – sechs Penisse. "Wow, das ist ja eine Riesenauswahl", sagt die blonde Jennifer. "Machen wir Windowshopping?", fragt Milka und die zwei Frauen treten näher an die Penis-Auslage.

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Die Penis-Schau

Da stehen also zwei Frauen und unterhalten sich über die schlaffen Schwänze der potentiellen Dates. Vor einem eher kleinen Schniepel verweilen die Frauen und überlegen, ob das ein Ausscheidekriterium ist. "Wenn es dazu kommt, dass er erregt wird, sieht das ja nochmal ganz anders aus", weiß Jennifer. "Hattest du mal so einen Überraschungskandidaten?", fragt Milka. "Ja, dieses Erlebnis hat mich geprägt", gibt die 24-Jährige zu. Der Kandidat mit dem kleinen Schniepel kann aufatmen: Jennifer glaubt an die Wachstumsrate seines Blutpenises. Auch ein anderer Kandidat fällt den zwei Frauen ins Auge: "Er ist nicht der größte Mann per se, aber er hat einen riesengroßen … Penis", sagt Milka, "eine Hand reicht da wahrscheinlich nicht." Auch das hilft Jennifer nicht, eine Entscheidung zwischen den Penissen zu machen, denn ein großer Penis schockt sie genauso wenig wie ein kleiner: "Na, dann muss man zwei Hände nehmen", sagt sie weise. Trotz Dirty Talks zuckt die lange Schlange des Kandidaten nicht. Das verwundert aber auch nicht. Naked Attraction ist ungefähr so erotisch wie der Sexualkundefilm, den du dir in der sechsten Klasse im Beisein deiner Biologielehrerin anschauen musstest.

Nachdem Jennifer und Milka noch einen beschnitten Penis ("Also, der ist ja wirklich … ganz symmetrisch hängt der da … wie gemeißelt.") und die Ärsche der Kandidaten wie Obst im Supermarkt begutachtet haben ("Was sagst du dazu, dass der Popo so behaart ist?", "Ein schöner Apfel-Popo", usw.), muss Jennifer sich gegen einen der Kandidaten entscheiden. Sie wählt orange heraus, weil er "zu lang und schmal" sei. Sie meint seinen Körper. Die Scheibe fährt hoch und zeigt den zwei Meter großen André in seiner vollen Pracht. Er schüttelt zum Abschied artig die Hand, während sein Penis herumbaumelt.

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In den nächsten Runden werden erst Oberkörper, dann Gesicht entblößt und begutachtet. Zuletzt dürfen die Kandidaten sogar den Mund aufmachen und sagen, was sie an sich mögen ("Ich finde meine Augen sehr schön"), damit Jennifer ihre Stimme hören kann ("Sehr brummig, aber auch sehr erotisch"). Die zwei Kandidaten, die übrig bleiben, dürfen aus ihrer Box und Jennifer gegenübertreten, die sich in der Zwischenzeit ebenfalls nackig gemacht hat. "Ich finde die Figur hammer", sagt Manuel, während er auf Jennifers Brüste schaut. Dafür darf Manuel auf ein Date mit ihr – in eine Kreuzberger Bar, oder nennen wir es: in die Höhle.

Manuel und Jennifer

In der Höhle sind die beiden wieder angezogen. "Wie kam es genau, dass du mich gepickt hast, weil da waren ja auch welche mit Muskeln?", fragt Manuel. Und auch: "Was machst du in deiner Freizeit?" Und dann will er noch wissen: "Wie schaut's bei dir mit Familienplanung aus?" "Ich will Kinder haben, am liebsten zehn", sagt Jennifer. Manuel lächelt: "Perfekt." Die oberflächliche Penis-Schau wird in Windeseile durch deep talk wettgemacht. Liebe in Zeiten der Steinzeit.

Die Vagina-Schau

Weil RTL II alle ansprechen möchte, stehen in der zweiten Hälfte der einstündigen Show sechs Frauen in den Schachteln und Rob, 26-jähriger Gitarrenlehrer aus Berlin mit Pferdeschwanz (oben, nicht unten), darf auf Vaginen starren. Im Einspieler sieht man Rob mit seinen ziemlich ekligen Nacktkatzen kuscheln (ja, bei Naked Attraction sind sogar die Katzen nackt!) und hofft, dass die Frauen in den Kisten die Liebe zu den befremdlichen Biestern nicht zu sehen bekommen. Sonst würden sie wohl wegrennen. Rob sagt, es habe Vorteile, sich vor einem ersten Date schon völlig nackt gesehen zu haben: "Dann kann man sich halt wirklich auf das Gespräch mit der anderen Person konzentrieren" und müsse nicht die ganze Zeit heimlich auf den Körper schielen.

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Rob durchläuft als Höhlenmensch dieselben Stationen der Begutachtung wie Jennifer. Er kommentiert Muschi-Piercings und Beine ("Weibliche Schenkel, auch nicht zu zart gebaut im Genitalbereich … gefällt mir."), pralle Silikonbrüste (sowohl "Chantal" als auch "Kimberly" fliegen damit raus), kleinere Brüste ("Wenn eine kleine Brust zu knackig ist, dann sieht die halt so jugendlich aus. Aber das sieht nach fertiger Frau aus.") und Pos ("Seit meiner letzten Beziehung bin ich doch ziemlich hinternfixiert, sage ich mal.") Zwischenzeitlich sinniert er über die Körper und klingt dabei eher wie ein frühneuzeitlicher Sklavenhändler als ein Steinzeitmensch ("Hier sind wir bei "markant". Du hast ein breites Lächeln, oder?"). Am Ende steht er nackt, mit schlingerndem Pimmel, vor zwei brünetten Frauen. Sie sollen sagen, was sie aneinander gut finden. Sibel aus Berlin sagt: "Für mich ist das Aussehen allgemein nicht so wichtig." Ich frage mich schon, warum sie ihren Partner dann bei Naked Attraction sucht und nicht im Schachclub. Sibel fliegt daraufhin raus. "Darf ich dich mal umarmen?", fragt Rob aber noch. Weiter als Sibel kann man sein Becken nicht von einem Penis fernhalten, wenn man die Arme um einen anderen Körper schlingen muss.

In der Höhle zeigt Rob dann der hübschen Nina Smartphone-Videos von seinen fiesen Nacktkatzen. ROB, WARUM ZUR HÖLLE TUST DU DAS? Bei den beiden scheint es dann offensichtlich nicht so zu funken. Ich bete währenddessen nur, dass Robs Gitarrenschüler und -schülerinnen noch kein RTLII schauen dürfen.

Das steinzeitliche Liebes-Spektakel ist vorbei. Und ich bleibe zurück und überlege, ob Naked Attraction mir vielleicht doch eher das Dating der Zukunft gezeigt hat – sozusagen das futuristische Dating in der Post-Tinder-Ära, in der man nicht mehr wischt, sondern Regierungen uns dabei helfen, mit höchster Effizienz den geeigneten Partner aus der Masse an Menschen zu finden. Vielleicht stehen wir dann alle irgendwann einmal auf Einladung der Regierung in einem Raum mit sechs Schachteln und schauen auf Pimmel, Muschis und Ärsche und versuchen, die ersehnte Liebe aus ihnen herauszustarren. "It's a Match!" wird es dann plötzlich durch den Raum schallen und wir werden zu zweit davongehen, ein perfektes Match, und zu Hause neue Menschen für die Regierung produzieren … Fuck, warum schaue ich eigentlich noch Trash-TV und schreibe nicht Drehbücher für Black Mirror?

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