Mathematiker versuchen sich an der Lösung des größten Rätsels ihres Fachs

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Mathematiker versuchen sich an der Lösung des größten Rätsels ihres Fachs

Die ABC-Vermutung: Wenn Mathematiker die Mathematik nicht verstehen.

Bild: Shutterstock

Im August 2012 stellte der japanische Mathematiker Shin'ichi Mochizukis einen Lösungsversuch der berüchtigten ABC-Vermutung ins Netz. Leider fand sich bis dato niemand, der seine 500-Seiten schwere Lösung des „heiligen Grals" der arithmetischen Geometrie verstehen oder gar bestätigen wollte. Das brachte den Japaner schließlich so auf die Palme, dass er vor knapp einem Jahr wütend noch ein weiteres Paper hinterherschob, in dem er seine Kollegen aufforderte, endlich seinen genialen Beweis anzuerkennen.

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Die Gebete des kauzigen Japaners, der schon öfter in Richtung der Mathe-Community ausfällig geworden ist („einfach nicht talentiert") scheinen nun erhört worden zu sein: Anfang Dezember trafen sich 60 Mathematiker in Oxford, um fünf Tage lang über die berüchtigte ABC-Vermutung zu brüten. In konzentrierter Runde versuchte man den auf der Inter-Universellen Teichmüller-Theorie aufbauenden Beweis des kauzigen Genies endlich nachzuvollziehen.

Die ABC-Vermutung steht auf der Liste der spektakulärsten Fälle in der Geschichte der Mathematik ganz oben und stellt die besten Rechenmeister vor ein Rätsel. Nur der japanische Professor Shin'ichi Mochizuki ist sich sicher, den endgültigen Beweis für diese Gleichung erbracht zu haben.

Das exzentrische Mathematikgenie Shin'ichi Mochizuki. Bild: Imago/ Kyodo News

Mochizukis Kollege Minhyong Kim, Professor für arithmetische algebraische Geometrie an der Universität Oxford, versucht sich an einer Erklärung dafür, warum sich noch keiner wirklich an die Materie heran getraut hat: „Mochizuki versucht, ein relativ unkonventionelles Verständnis von Zahlen zu entwickeln. Addieren und Multiplizieren—das, was wir normalerweise mit Zahlen machen—überträgt er auf eine viel abstraktere Struktur. Vereinfacht ausgedrückt geht es darum, mit Zahlen viel flexibler umzugehen als bisher."

„Das Ergebnis wäre eine große Angelegenheit."

Und so wird der Lösungsversuch zu einem Kasus-Knaxus: Shin'ichi Mochizukis 500 Seiten langer Versuch baut auf weiteren Arbeiten von ihm auf, so dass es insgesamt sogar gilt, rund 2.000 Seiten neuartigen Mathematikverständnisses zu durchkämmen und sich anzueignen. Sein mathematisches Manifest ist das Ergebnis jahrelanger Forschung, das zudem in einer hoch komplexen Sprache verfasst wurde.

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Der preisgekrönte Professor hat eine unkonventionelle Art bisher nicht verwendeter Mathematik mit neuen Bezeichnungen geschaffen, die seine Kollegen erst einmal in die gängigen Begrifflichkeiten zurückübersetzen müssen. So wollen sie die Materie anhand konventioneller Mathematik verdaulich machen, um sich anschließend auch dem Inhalt zuwenden zu können.

Mathegenie wütet, weil niemand seinen 500-Seiten-Beweis der ABC-Vermutung liest

Doch Shin'ichi Mochizuki ist kein Spinner, der seine Lösungsversuche absichtlich kryptisch verschlüsselt, um sich als besonders wichtig hervorzutun. Mochizuki ist ein hoch angesehener Mathematiker, der im Kreise der Zahlentheoretiker großen Respekt genießt. Aufgewachsen in New York spricht er perfektes Englisch (an Sprachbarrieren kann es also auch nicht liegen), studierte an der Princeton Universität, bis er später in Harvard als Professor lehrte. Unnötig an dieser Stelle zu erwähnen, dass er natürlich immer Klassenbester war und sämtliche Preise für seine herausragenden Noten erhielt.

„Den Beweis überprüfen zu können—das wäre ein immenser Fortschritt für die Mathematik."

Allerdings ist Mochizuki auch sehr schüchtern und vermeidet es mittlerweile tunlichst, Japan zu verlassen. Diese gewisse Unflexibilität bringt seine Mathematiker-Kollegen noch zusätzlich zum Verzweifeln. Denn der Lösungsversuch ließe sich durch einen persönlichen und direkten Gedankenaustausch mit dem Schöpfer selbst wesentlich vereinfachen. Auch dem Workshop in Oxford verwehrte er seine reale Präsenz, ließ sich aber wenigstens gelegentlich über Skype blicken.

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Der 2012 von Mochizuki veröffentlichte Lösungsversuch. Bild: Imago/ Kyodo News

Die ABC-Vermutung wurde 1985 von den Zahlentheoretikern Joseph Oesterié und David Masser aufgestellt. Sie ist einer der bedeutendsten Vermutungen in der Zahlentheorie, und des Rätsels Lösung würde die Grundlagenforschung arithmetischer Geometrie deutlich vereinfachen.

Hier ein kleiner Einblick für alle, die bisher noch nicht allzu viel von dieser geheimnisvollen Gleichung gehört haben:

Die Formel besteht aus den natürlichen Zahlen a, b und c, wobei c die Summe aus a und b ist und alle drei Zahlen keine gemeinsamen Teiler besitzen: a + b = c

Ein Beispiel: 25 + 26 = 51

In dieser Rechnung sind alle Zahlen teilerfremd, denn sie enthalten keine gemeinsamen Primfaktoren: 25= 5 x 5; 26= 2 x 13; 51= 3 x 17

Jetzt bilden wir das „Radikal" dieser drei Zahlen. Wir multiplizieren alle Primzahlen, wobei mehrfach auftretende Zahlen nur einmal gerechnet werden:

Radikal (abc) = 5 x 2 x 13 x 3 x 17= 6.630

Die ABC-Vermutung besagt nun, dass das Radikal in der Regel immer größer ist als die Zahl c.

Diese scheinbar einfach zu erklärende Vermutung gilt es nun zu beweisen.

Laut Jakob Stix, Professor für Algebra und Zahlentheorie an der Goethe Universität in Frankfurt, ist dies für Mathematiker deswegen von besonders großem Interesse, da die Formel einen Zusammenhang zwischen der Multiplikation und der Addition von ganzen Zahlen darstellt.

„Den Beweis überprüfen zu können—und wenn er sich dann auch als richtig herausstellte—das wäre ein immenser Fortschritt für die Mathematik. Komplexe Rechnungen in der Arithmetischen Geometrie würden wesentlich einfacher werden", so Stix. „Das Ergebnis wäre eine große Angelegenheit."

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Wie der deutsche Mathematiker Motherboard am Telefon erzählte, hätten bereits viele Wissenschaftler versucht, die Formel zu beweisen. Aber nach jeder Prüfung kam die Ernüchterung, dass es schon wieder nicht geglückt sei. Dennoch zog jeder Versuch eine interessante Konsequenz nach sich und lieferte neue Erkenntnisse in der Zahlentheorie. Viele ungelöste Probleme, wie den Großen Fermatschen Satz, kann man nun besser verstehen und mögliche Lösungen herleiten. Immerhin.

Auch wenn der Aha-Effekt nach dem fünftägigem Workshop in Oxford nicht eingetroffen ist, zieht Jakob Stix dennoch eine positive Bilanz: „Die ganze Angelegenheit um den Lösungsversuch hat an Fahrt gewonnen. Bis jetzt hat keiner den Mut gehabt, so viel Mathematik anzufassen, aber wir haben uns langsam vorgearbeitet und wichtige Erkenntnisse gesammelt. Wir können Shin'ichi Mochizuki nun langsam besser verstehen, auch wenn wir noch ganz am Anfang stehen." Im Juli nächsten Jahres wird es wieder einen mehrtätigen Workshop geben, diesmal in Japan. Die Mathe-Elite wird sich wieder zu einem Gruppen-Brainstorming treffen und weiter an der Überprüfung der Lösung arbeiten. Diesmal wird dann auch der Mathe-Yedi höchstpersönlich vor Ort sein und das Seminar leiten.