Wie sich das lange Zeit verschollene Aphex Twin- / Caustic Window-Album tatsächlich anfühlt

Vorgestern Abend war es soweit: Das lange verschollene, dann auf Discogs aufgetauchte und auf Kickstarter gecrowdfundete Aphex Twin-Album Caustic Window ist auf YouTube gelandet. Of all places. Na gut: Wer sich ewig und drei Tage auf die Lossless-Version der Kickstarter-Kampagne gefreut hat, der sollte besser einen großen Bogen um diesen Stream machen—miese Kompression galore. Aber wahrscheinlich hast du eh schon längst reingehört. Und wahrscheinlich waren die folgenden genau jene Emotionen, die du auch verspürt hast—auch wenn du es wahrscheinlich nicht zugeben (oder dir selbst eingestehen) wirst.

Was? Wie? Neues, altes Aphex Twin-Album? Im Stream? I can haz? Wo? Bitte sofort, ich bin dabei!

Du hast es dir auf der Couch / am Schreibtisch / am Arbeitsplatz / im Park / ect gemütlich gemacht? Check.

Richard D. James' Diskografie hast du vorsichtshalber nochmal bis ins Jahr 1994 durchgehört? Check.

Du hast dir ein Paar geschlossene Kopfhörer angezogen? Check.

Du bist bereit für diese Orgie von einem Rerelease!

Kurzes Zögern. Bist du nach all der Wartezeit wirklich bereit? Oder etwa doch nicht? Wirklich auf YouTube streamen? Oder doch auf den Lossless-Download warten? Andererseits, die Diskussion in den sozialen Netzwerken und im Freundeskreis ist schon im vollen Gange, und wer möchte nachher schon durch Unwissenheit glänzen, wenn das pièce de résistance in der Pause angesprochen wird?!

Schon beim zweiten Stück „Stomper 101mod Detunekik" merkst du: Erwartung und Wirklichkeit bewegen sich in entgegengesetzter Richtung voneinander. Sind die Neunziger wirklich schon so lange her? Dachte man damals, so klänge die Zukunft? Ist das tatsächlich Aphex Twin bzw.

Caustic Window

, oder handelt es sich am Ende vielleicht doch nur um irgendein scheiß Demo, das bei Rephlex zufälligerweise ins Presswerk geraten war?

Ist es schon zu spät, um das Ganze abzubrechen? „Mumbly" und „Popeye" klingen … nunja, es gibt schlimmere Musik. Aber auch bessere. Erst einmal ein Bier holen.

Naja, jetzt sind wir mittendrin, da kann man auch die Zähne zusammenbeißen und sich weiter durcharbeiten.

Zwischendurch dann doch immer wieder Momente von Glückseligkeit. Das Klaviermotiv in „Squidge In The Fridge" meißelt dir ein mildes Lächeln ins bis dahin versteinerte Gesicht.

Also, wenn's so gut weitergeht wie in „Squidge …" und jetzt in „Fingry" interessiert mich mein Geschwätz von eben auch nicht mehr.

„Jazzphase" also. Jazz mit Synth-Blubbern, genauer gesagt. Ja, kann man machen, aber die schöne Stimmung ist jetzt natürlich schon wieder im Eimer. Ach, eigentlich ist

Caustic Window

generell auch eher Arbeit statt Vergnügen. „Nein nein, der Autor hat ja auch einfach keine Ahnung", sagst du jetzt, solltest du wirklich Freude an diesem Album finden. „Jahaaa, natürlich, aber du redest dir dieses Release zwanzig Jahre später und mangels neuen Aphex Twin-Materials auch einfach nur schön", möchte ich entgegnen.

Vielleicht interessierst du dich ja für die originale Testpressung? Kannste haben—auf eBay derzeit für 14.100 US-Dollar. ‚Schnäppchen'.

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