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uncanny valley

„Man ist in Dresden prinzipiell skeptisch gegenüber allem Neuen.“

Cuthead von unser aller Dresdner Lieblingslabel, Uncanny Valley, lässt sich so schnell nicht verarschen.
Foto: David Pinzer

Bevor es das Internet gab, fiel Cuthead als jungem Schüler eine Demo-CD von Fruity Loops in die Hände—der Startschuss für seine Beatproduktionen. Mit der Zeit wurde er experimenteller und wandte sich dem House zu. Als sich 2010 das Dresdener Label Uncanny Valley gründete, fanden sich verschiedene Stilrichtungen zusammen. Während Conrad Kaden der Disco-Boy und Jacob Korn der Techno-Head unter den Gründern ist, gilt Cuthead als der HipHopper. Heute sorgt man gemeinsam für beständig gute Nachrichten aus dem tiefsten Osten. Cuthead ist dabei dem HipHop ebenso treugeblieben wie dem House, wie seine EP „Everlasting Sunday" von 2013 zeigt. Auf der einen Seite fand man elektronische Musik, auf der anderen HipHop. Wir sprachen mit ihm über diesen Spagat, den Sinn von Live-Sets und die Situation in Dresden rund um Pegida und die elektronische Szene.

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Robert, bis heute bist du sowohl House als auch HipHop zugeneigt. Haben beide Genres Gemeinsamkeiten für dich?
Definitiv. Das Sampling ist ja eine elektronische Technik. Ob man Wave-Formen oder Samples als Grundlage für die Produktionen benutzt, ist am Ende eigentlich egal. House und HipHop bauen auf Sequencing auf, also dem Kreieren einzelner Abschnitte, die dann zusammengefügt werden. Es gab ja schon vor der Annäherung von House und HipHop durch Max Graef und Co. mit samplebasierter House-Musik in den 90er Jahren.

Die Quellen für die Samples sind häufig auch die gleichen.
Genau. Und im House wurden nicht nur Drum Machines benutzt, sondern auch Breaks gesampelt. Und das ist eigentlich eine klassische HipHop-Methode. Beziehungsweise klassisch House, je nachdem. Da gab es schon immer Annäherungsmöglichkeiten. Letztlich unterscheidet man sich hauptsächlich durch die Geschwindigkeit, die man einstellt.

Momentan scheint es ja mit den angesprochenem Max Graef, sowie Glenn Astro und der restlichen Money Sex Records Crew eine neue Generation von Produzenten zu entwickeln, die HipHop mit House versöhnen.
Auf jeden Fall. Das war viele Jahre lang ein rotes Tuch, besonders im HipHop. Ein grader Beat war da inakzeptabel. Wobei ich selbst auch mal so war. (Lacht)

Bist du ausgebildeter Musiker?
Ich würde sagen, ich hab Lagerfeuer-Skills. Also ein bisschen Gitarre und Klavier kann ich spielen. Beim Produzieren mache ich die Sequenzen einzeln, ich kann mich nicht an die Keys ransetzen und eine groovy Line spielen. Ich nehm' zum Beispiel einen Clap auf oder einen Ton auf dem Klavier und setze das dann zusammen.

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Du spielst meistens live im Club. Ein Redakteur von Thump UK hat letzte Woche einen Artikel geschrieben, in dem er Live-Sets im Techno- oder House-Bereich als prinzipiell langweilig bezeichnet. Wie siehst du das?
Ich gebe ihm insofern Recht, dass in 90 % der Fälle die Live-Show dem Club-Konzept widerspricht. Eine Live-Show ist durch Fehler gekennzeichnet. Oder dadurch, dass jemand spricht oder ein Solo macht. Das geht schwer zusammen mit einem Abend, an dem getanzt wird und ein kontinuierlicher Sturm der Musik fließen soll, aus dem man nicht rausgebracht wird. Das meiste was ich bisher an Live-Sets gesehen habe, ist relativ lame. Da steht halt jemand und dreht ein paar Knöpfe. Es gibt aber Ausnahmen und man kann das cool machen wie KiNK zum Beispiel, der eine gute Show aufzieht und die Leute ins Tanzen bringt.

Oder in deinem Boiler Room Set.
Okay. Im Club ist es aber was Anderes und schwieriger. Ich find das ursprüngliche Konzept von Techno gut, also dass die Musik im Vordergrund steht und nicht die Person, die dafür verantwortlich ist. Das war damals gegen den Personenkult gerichtet, den es zum Beispiel im Rock gab und gibt. House kommt da ja aus einer anderen Richtung, aus dem Disco. Und da stand der DJ schon mehr im Vordergrund. Es hat funktioniert, die Leute haben getanzt.

Wie unterschiedlich sind deine Erfahrungen als HipHop-DJ und als House-DJ?
Im HipHop geht es viel um den Drop-In. Ein Track hat ein cooles Intro, dann setzt der Beat ein, alle rasten aus und nach 20 Sekunden kommt der Cut und das nächste Element. Man hangelt sich von einem Drop zum nächsten. Im elektronischen Bereich hat man einen modulierenden Zugang, das heißt der Track baut sich langsam auf. Das hat mich früher immer sehr gestört, dass da gefühlt nichts passiert.

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Hodini meinte, er mag an seinen House-Sets, dass er mehr mixen und eine Stimmung aufbauen kann.
Das mag ich auch, aber ich seh' die Herangehensweise von DJs in der elektronischen Musik auch kritisch. Es gibt viele Sets, die sind so homogen und plätschern den ganzen Abend vor sich hin, man bemerkt keine Übergänge und keine Veränderungen. Darauf steht ich nicht so. Ich mag auch kürzere Tracks, so im Bereich von 4:30. Und auch etwas rougheres Cutten. Genres zu wechseln und das Tempo mal rauszudrehen ist ebenso wichtig. Da kann man auch mal auf einen Übergang scheissen und einfach 10 BPM runtergehen. Das kollidiert dann aber natürlich wieder mit dem Anspruch der Leute, durchtanzen zu wollen.

„Das meiste was ich bisher an Live-Sets gesehen habe, ist relativ lame."

Hattest du aufgrund deines doch sehr heterogenen Live-Sets schon Probleme mit dem Publikum?
Ich wurde noch nicht bedroht, wie das Max [Graef] schon passiert ist, aber am Anfang war es schwierig, als ich noch nicht so viele House-Tracks hatte. Da hab ich dann nicht reagieren können, wenn ich gemerkt habe, dass die Leute grad keinen HipHop hören wollen. Bei einem Live-Set ist es auch noch mal anders, da kann man meistens seinen Stiefel runterspielen. Wenn du aber DJ bist, beschweren sich die Leute dann schon eher.

Du lebst schon lange in Dresden, das ja nun aufgrund von Pegida oft im Fokus der Öffentlichkeit stand. Wie siehst du die Situation in der Stadt? Merkt man etwas davon?
Im Alltag betrifft es mich relativ wenig. Ich lebe in Neustadt, da ist alles noch cool. Es ist schon tragisch: Die Entwicklung von Dresden in den letzten zehn Jahren war positiv. Während der DDR-Zeit gab es keinen Austausch mit anderen Ländern. Die Leute sind 40 Jahre lang an einem Ort geblieben. Das aufzubrechen hat lange gedauert. Der Tourismus hat sich gut entwickelt und jedes Jahr gab es eine neuen Rutsch an Studenten. Viele neue Crews sind entstanden. Ich hoffe, das kann man bewahren. Andererseits war mir auch immer klar, dass so eine Bewegung in Dresden funktionieren könnte. Ich kann mich zwar nicht so gut in andere Städte reinversetzen, weil ich hier geboren wurde, aber ich war neulich in Regensburg und da hat man mir gesagt, dass an den Stammtischen wahrscheinlich genauso gesprochen wird. Die Frage ist allerdings, warum sich die Leute in Dresden im Gegensatz zu dort mobilisieren lassen.

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Welche Gründe könnten das sein?
Der fehlende Austausch ist sicherlich ein Faktor dabei, man ist hier prinzipiell skeptisch gegenüber allem, was neu ist. Das fängt schon bei den Smartphones an. Als ich mal aus Amsterdam wiederkam, wo alle das hatten, hat man mir hier erzählt, dass die einen nur verarschen und das Geld aus der Tasche ziehen wollen. Hier hat es auch keinen Ansturm auf den Apple Store gegeben, als der eröffnet wurde. Ich kenne vor allem ältere Leute, die sich immer prinzipiell verarscht fühlen. Vielleicht wegen negativer Erfahrungen nach der Wende. Es ist aber trotzdem schwer zu erklären. Besonders das Umland hatte schon immer dieses Potenzial. Der State of Mind ist eben so, wie er sich in den letzten Monaten herauskristallisiert hat. Das muss man leider so sagen.

Mir war immer klar, dass sowas wie Pegida in Dresden funktionieren könnte.

Menschen lassen sich ja auch nicht einfach so radikalisieren, sondern haben vorher eine psychische Disposition für derlei Agitation.
Auf jeden Fall. Hier wurde über 40 Jahre gepredigt, dass Russland der Verbündete und der Anker ist. Diese Radikalisierung fand ja auch zu einem Zeitpunkt statt, als grad viel gegen Russland berichtet wurde. Und da hat Pegida dann angeknüpft und gesagt: Nein, das ist alles Propaganda! Um dann selbst wieder ein bisschen in diese alte Ost-Propaganda zurückzufallen. Verschwörungstheorien spielen dabei auch eine große Rolle. Die Leute behaupten hier ständig, dass alle sich gegen sie verschworen haben. Vor allem die Amerikaner, die angeblich überall ihre Finger drin haben und die Deutschen verarschen wollen. Deshalb sind hier und in Deutschland allgemein viele offen für Russia Today. Das ziehen sich viele zu Hause rein und merken dann nicht, dass sie manipuliert werden.

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Und solche Menschen kritisieren dann ARD und ZDF, weil es Staatspropaganda sei und nehmen alles für bare Münze, was Russia Today berichtet. Das ist dann schon eine Doppel-Moral.
Ja eben, da stimme ich dir voll zu. Die Leute sind da momentan prinzipiell unkritischer. Medien-Kritik hat keine Tradition hier. Wobei das DDR-Fernsehen schon kritisch hinterfragt wurde. Allerdings auch in der Manier, dass die einen alle verarschen wollen, was bis heute geblieben ist als Haltung.

Es ist auch einfacher, zu sagen, dass irgendwelche Leute einen verarschen wollen, als die gedankliche Anstrengung zu unternehmen, eine komplexe Welt zu verstehen.
Ja, die Welt ist eben super komplex. Für viele Leute ist es in den letzten 25 Jahren viel komplexer geworden als es in ihrer Wahrnehmung vorher war. Die suchen sich dann den Anker, der die Komplexität runterbricht auf einen Feind.

Wie sieht die elektronische Szene in Dresden aus? Wie hat sie sich entwickelt? Welche Clubs gibt es? Wo liegen Probleme?
Dresden hat wahrscheinlich ähnliche Probleme wie viele andere Orte, die keine Metropolen aber trotzdem Städte sind. Für internationale Bookings ist das dann immer etwas riskant, weil die Veranstaltungsorte rar gesät sind und im Zweifel alle auf eine billigere Party gehen. Es gibt da relativ wenig Leute, die regelmäßig zu solchen Events gehen. Es ist daher alles eher regional geprägt als international. An Clubs ist da zum Beispiel das Sektor Evolution zu nennen. Das Wettbüro macht leider nichts mehr, das war ein cooler kleiner Laden. Dafür gibt es jetzt das TBA, das langsam in diese Position kommt. Aber die Szene ist eher gemütlich und man kennt sich. Wobei es da schon relativ viel Beef gab zwischen den Crews. Insgesamt ist aber alles besser geworden in den letzten Jahren, weil auch immer mehr Leute zuziehen und neue Gruppen entstehen.

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Was kommt bei dir in nächster Zeit an Tracks?
Es wird eine neue EP auf Uncanny Valley geben. Eine 12 inch, eine Hälfte HipHop, eine House. Da warte ich auf die Testpressung, das kann ja momentan etwas dauern … wahrscheinlich ein paar Monate.

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Wer Cuthead live bewundern will, kann bei uns 2x1 Ticket für die Party-Reihe Oscillate gewinnen, bei der er Samstag im //about:blank spielen wird. Schreibt dazu eine Mail mit dem Betreff Cuthead an gewinnspiel@thu.mp. Neben Cuthead spielen der Lo-Fi-Head Annanan und Reznik auf dem beliebten Event.

Wenn ihr einen Gratistrack von Cuthead haben wollt, müsst ihr euch lediglich im Newsletter von Oscillate anmelden.

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