So trollt dieser Berliner Künstler Straßenwerbung
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So trollt dieser Berliner Künstler Straßenwerbung

Alles, was du brauchst, ist ein Kunstwerk, eine Warnweste und ein Pokerface.

Normalerweise haben Rentner feinste Radare, um Ordnungswidrigkeiten in der Stadt zu erspähen. Sie sehen aus drei Kilometern Entfernung, wenn jemand eine grüne Flasche in die Recyclingtonne für braunes Glas schmeißt. Sie hören im Tiefschlaf, dass man um vier Uhr morgens auf dem Bürgersteig Fahrrad fährt. Aber wenn ein Mann mit Warnweste mitten am Tag die Vitrine an der Bushaltestelle aufsperrt, die Werbung rausnimmt und sie durch ein Kunstposter ersetzt, guckt der Rentner nur zu – und sagt nichts. Warnweste heißt: alles in Ordnung.

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Dabei macht er gerade etwas ziemlich Illegales – er zerstört Werbung und ersetzt sie durch Kunst. Durchschnittlich 28 Euro am Tag zahlen Firmen für so eine Werbefläche in Berlin, sagt Frauke Bank, Pressesprecherin von Wall, dem größten Außenwerbung-Betreiber in Berlin. Bank schätzt, dass es in der Stadt etwa 30.000 Werbeflächen gibt, Wall vermarktete etwa ein Drittel davon, zum Beispiel Plakatsäulen oder Vitrinen an Bushaltestellen. Und Berlin ist nicht einmal die Stadt mit der meisten Werbung: Ein New-Yorker, schätzen Marketingexperten, sieht in der Stadt 5.000 Werbebotschaften am Tag.

Adbusting-Aktivisten kämpfen seit Jahren dagegen. Adbusting heißt so etwas wie das Zerstören von Werbung und bedeutet, dass man sie überklebt, übermalt, mit Botschaften oder Kunst ersetzt – oder sie so verändert, bis sie wie die Parodie ihrer selbst scheint. (Wie zum Beispiel diese Künstler, die ein Capri-Sonne-Poster gekapert und darauf aufmerksam gemacht haben, wie viel Müll das Getränk produziert.)

Bank verurteilt das. "Es ist ein Unterschied, ob man dagegen protestiert, was ein urdemokratisches Recht ist und jedem offen steht – oder zur Beschädigung und Diebstahl von fremdem Eigentum übergeht", sagt sie. "Wir zeigen jeden solcher Vorfälle an."

Adbusting-Aktivisten machen trotzdem weiter. Weltweit haben sich in dem losen Netzwerk Subvertisers International organisiert. Zwischen dem 22. und 25. März haben sie Werbung in über 25 Städten gebustet – unter anderem in New York, Paris, Berlin und Madrid. Was dabei rausgekommen ist, kann man auf Twitter und Facebook sehen.

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Wir haben mit dem Aktivisten und Künstler Vermibus gesprochen, der in Berlin lebt.

Alle Fotos: Ivan G.

VICE: Wie bekommst du die Vitrinen auf?
Vermibus: Die Schlüssel zu den Vitrinen nachzumachen ist nicht teuer und auch nicht besonders kompliziert. Den billigsten Schlüssel kann man schon für einen Euro nachmachen. Aktivisten von Public Ad Campaign verschicken außerdem gegen eine Spende fertige Schlüssel und stellen Dateien für 3D-Drucker ins Netz, mit denen man die Schlüssel ausdrucken kann.

Und keiner hält dich auf?
Meine Aktionen mache ich meistens tagsüber, dann fällt man weniger auf. Es ist unglaublich, was für eine Wirkung eine Warnweste hat. Menschen vertrauen Uniformen. Solange ich selbstbewusst auftrete, kann ich alles tun.

Welche Werbeposter knüpfst du dir vor?
In meiner persönlichen Arbeit beschäftige ich mich mit dem Thema Schönheit. Ich reiße Mode- und Kosmetikposter ab, weil ich finde, dass sie lügen und unsere Vorstellung von Schönheit verzerren. Dann bearbeite ich sie und installiere sie neu. Außerdem habe ich vor drei Jahren mit dem Projekt No-Ad-Day angefangen, bei dem jeder mitmachen kann. Dort nehmen wir die Werbung einfach aus den Vitrinen und lassen sie leer, damit sich das Auge inmitten von einer kommerziell zugepflasterten Landschaft ausruhen kann. Bei der Subvert-The-City-Aktion zwischen dem 22. und dem 25. März ging es uns nicht um den Inhalt der Werbung. Wir wollten zeigen, wie eine Stadt aussehen könnte, in der nicht nur der Kommerz eine Stimme hat. Wir übermalten die Werbung, ersetzen sie mit Kunstwerken oder Aufrufen, über Alternativen nachzudenken.

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Die Betreiber von Außenwerbung werfen Adbusting-Aktivisten Vandalismus vor und sagen, ihr sollt euch stattdessen in Bürgerinitiativen engagieren oder Demos veranstalten.
Unsere Aktionen sind doch eine Demonstration! Das ist ziviler Ungehorsam. Wir machen ja keine Vitrinen kaputt – sondern ersetzen nur die Poster. Ja, die Unternehmen haben für die Werbung bezahlt. Aber ich habe auch das Recht, sie nicht zu sehen. Wenn ich privates Fernsehen gucke, zahle ich dadurch, dass ich die Werbung anschaue, für das Programm – und kann auch den Kanal wechseln, wenn ich keine Lust darauf habe. Im Internet kannst du einen Adblocker schalten. Aber auf der Straße bist du der Werbung ausgeliefert – es sei denn, du wehrst dich.

Wall, der größte Anbieter von Außenwerbung in Berlin, finanziert mit einem Teil der Einnahmen auch 5.000 Wartehäuschen und 275 Toiletten.
Soweit ich weiß, muss man in Berlin für die meisten öffentlichen Toiletten bezahlen – oder sie sind dreckig. Außerdem sollten öffentliche Klos eine Selbstverständlichkeit sein – genauso wie überdachte Bushaltestellen. In Berlin regnet es einen großen Teil des Jahres. Sie sind kein Luxus, sondern etwas, worum sich die Stadt kümmern sollte.

Die Pressesprecherin von Wall, dem größten Außenwerbung-Anbieter, sagte mir, dass die Adbusting-Plakate so gut wie immer am nächsten Tag entfernt werden. Bringen eure Aktionen überhaupt etwas?
Ja, auf jeden Fall. Unsere Plakate mögen schnell weg sein, aber wir halten die Aktionen auch immer in sozialen Netzwerken fest. Für uns ist es ein Weg zu zeigen, wie es anders gehen könnte, und die Menschen zu mobilisieren. 2013 wurde in Frankreich eine Gruppe Adbusting-Aktivisten angeklagt, Werbetafeln verunstaltet zu haben. Sie argumentierten, dass ihre Rechte verletzt wurden, weil sie gezwungen wurden, sich kommerzieller Werbung im öffentlichen Raum auszusetzen. Und wurden freigesprochen.

Ist eine Stadt ganz ohne Werbung nicht eine Utopie?
São Paulo, eine Stadt mit etwa zwölf Millionen Einwohnern, hat es vorgemacht. Sie war unglaublich voll von Werbung, bis die Stadtregierung beschlossen hat, die ganzen Werbetafel abzuschaffen. Das ist über zehn Jahre her – und alle Seiten sind so damit zufrieden, dass die Stadt bis heute werbefrei geblieben ist.

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