Kriegsveteranen in der Ukraine: Mit Pizza zurück in den Alltag

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Ukraine-Konflikt

Kriegsveteranen in der Ukraine: Mit Pizza zurück in den Alltag

Sie sind Kriegsveteranen. Ein ehemaliger Marinesoldat, Infanteriesoldaten, Mitglieder der Nationalgarde, ein Ex-Mitglied der ukrainischen Spezialeinheiten. Alle haben sie es erlebt: den Krieg im Osten der Republik.

Der Ofen wird angeheizt. Daneben stehen Behälter voll mit Wurst. Aus einer anderen Ecke schwebt ein leichter Zwiebelgeruch herüber. Ein Mann reibt ein großes Stück Käse. Typische Bilder aus einer jeden Pizzeria kurz vor der Mittagszeit. Nur dass bei Veterano Pizza in einer Einkaufspassage im Stadtzentrum von Kiew kleine Details anders sind. Hier trägt der Koch eine Schürze mit Camouflage-Muster. In einer Ecke hängt eine Camouflage-Jacke. Für viele Angestellte hier sind das Erinnerungen an eine vergangene Zeit.

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Veterano Pizza befindet sich in einer Einkaufspassage im Stadtzentrum von Kiew. Alle Fotos vom Autor

Acht von ihnen sind Kriegsveteranen. Einige arbeiten in der Küche, andere im Service: ein ehemaliger Marinesoldat, Infanteriesoldaten, Mitglieder der Nationalgarde, ein Ex-Mitglied der ukrainischen Spezialeinheiten. Alle haben sie es erlebt: den Krieg im Osten der Republik, die Kämpfe gegen die prorussischen Separatisten, die Demobilisierung, die Rückkehr in die ukrainische Hauptstadt, die meist erfolglose Suche nach neuer Arbeit. „Manchmal kamen auch Drogen und Alkohol dazu", fügt Inhaber Leonid Ostaltsev hinzu. Er sitzt auf einem der Barhocker im hellenGastraum der Pizzeria. Der Ex-Soldat hat Veterano Pizza im Dezember eröffnet. Er stellte die Soldaten ein, die von der Front zurückkehrten, um so mit dem italienischen Klassiker einen Teufelskreis zu durchbrechen.

Im Krieg denkt man nicht an Pizza.

Leonid hat einen dunklen Bart und trägt ein enges Shirt, das seine Muskeln erahnen lässt. Vor drei Monaten hat er seinen Alltag umgekrempelt, sich dem Kampf mit den Bilanzen gestellt und mit 28 ein neues Leben begonnen: Im Juni 2014 war Leonid Pizzabäcker noch in Kiew. Im Osten des Landes toben die Kämpfe. Er kommt an einem Rekrutierungsbüro der Armee vorbei und meldet sich freiwillig, um in „den Osten" zu ziehen, erzählt er bei einer Tasse Milchkaffee.An die Front. Ein Jahr lang dient er bei der Infanterie. Über diese Zeit seines Lebens spricht er nicht viel. Ganz nebenbei erwähnt er einen Unfall mit einem Truppentransportfahrzeug, durch den er drei Monate an ein Krankenbett gefesselt war.

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Leonid Ostaltsev hat vier Jahre seines Lebens Pizza gebacken und ein Jahr an der Front gekämpft. Ihm kam die Idee zu dem Restaurant

Man könnte denken, dass er die Idee, ein Restaurant zu eröffnen, bei den Gefechten oder im Krankenhaus hatte. Eher nicht. „Im Krieg denkt man nicht an Pizza", meint er mit ruhiger Stimme und macht eine Handbewegung, als würde er etwas beiseite wischen. Als er im Juni 2015 aus dem Osten zurückkehrte, wurde Pizza wieder Teil seines Lebens.

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Beim Blick durch das Restaurant fallen einem viele kleine Unterschiede zu normalen Pizzerien auf, zum Beispiel dass der Koch eine Camouflage-Schürze trägt

Er hört kurz auf zu sprechen, blickt nach oben und scheint nach Worten zu suchen. Für einige Sekunden geht sein Blick ins Leere. Dann fährt er fort: „Wie sagt man das, wenn einem etwas Gutes passiert? Ah, genau. Glück." Sein Glücksmoment war ein Telefonanruf: Ein anderer Veteran, der sich irgendwie seine Nummer besorgt hatte, schlug ihm vor, Projekte für andere zurückgekehrte Soldaten zu starten. Die Idee, eine Pizzeria mit Ex-Soldaten als Angestellten zu eröffnen, kam da sofort. Leonid träumte schon immer von seinem eigenen Restaurant. Nur musste er nach einigen Ausflügen in die örtlichen Behörden feststellen, dass es ziemlich kompliziert ist, ein Geschäft zu eröffnen. „Ich bin Pizzabäcker, ich hatte keine Business-Erfahrung", erinnert sich Leonid. Also drückt er noch mal die Schulbank, um die Grundlagen zu lernen.Dann brauchte er noch Investoren: „Mehr als 20 habe ich kontaktiert." Ohne Erfolg.

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Die letzten Vorbereitungen in der Küche vor dem Mittagsservice

Er nutzt seine Ersparnisse. Ein Bekannter leiht ihm Geld.Ein „Freund", ein „Geschäftsmann", stellt das wichtigste Startkapital zur Verfügung. Er besitzt einige Restaurants in Kiew, auch ein japanisches, dessen Räumlichkeiten nun zur Hälfte von Veterano Pizza umgewandelt genutzt werden. Hier hängen Fotos aus den Dreißigerjahren neben modernen Postern.Und die Karte hat überzeugt: Im ersten Monat hat das Restaurant 168 Euro Gewinn gemacht, im dritten waren es schon etwas mehr als 2.500 Euro. Jeden Tag kommen ungefähr 150 Gäste hierher—auch solche, die keine Soldaten waren.

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Sie kommen vor allem wegen der Pizza „Provence", eine der meistbestellten: eine sahnige Grundsauce, Mozzarella, Hähnchenfleisch, Gorgonzola und nachdem sie auf den Ofen kommt noch ein bisschen Senf drauf. So wollen die Ukrainer eine Pizza, meint Leonid: „Sie mögen viel Belag."

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Und genauso sind auch alle vierzehn Pizzen auf der Karte gemacht. Wie zum Beispiel die Diablo, die mit Scheiben spianata piccante, Mozzarella und Tomatensauce belegt ist. Oder eine mit Tomatensauce, Bacon, Schinken, Rindfleisch und verschiedenem Gemüse.

Der „Altar" beweist vor allem eines: Wer hier arbeitet, will nicht unbedingt jede Erinnerung an den Krieg auslöschen.

Er mag lieber Pizzen „mit weniger Zeug obendrauf". Aber als er mit seinem Geschäftspartner die Karten zusammengestellt hatte, musste er sich den ukrainischen Vorlieben fügen. Beim Teig ist er dafür keine Kompromisse eingegangen. Anders als in anderen Pizzerien ist er hier schön dünn. „Zwei Millimeter maximal. Wir machen ihn auf neapolitanische Art", wirft Leonid ein.

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Die Kinderzeichnungen erinnern auch an den Konflikt: „Alle Soldaten in der Ukraine tragen ein solches Bild unter ihrer Schutzweste."

Einige Gäste kommen mit ihren Kinder, die dann manchmalmit Zeichnungen wiederkommen, auf denen man viele ukrainische Flaggen sieht. Die Kinderbilder werden an einer besonderen Wand aufgehängt. Kein Zufall erklärt Leonid: „Alle Soldaten in der Ukraine tragen ein solches Bild unter ihrer Schutzweste." Daneben hängen etliche Abzeichen der verschiedenen Einheiten der ukrainischen Armee sowie gelb-blaue Armbänder und orthodoxe Kreuze.

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Dieser „Altar" beweist vor allem eines: Wer hier arbeitet, will nicht unbedingt jede Erinnerung an den Krieg auslöschen. „Ich fühle mich umgeben von Ex-Soldaten wohler", verrät er. „Wir haben das Gleich durchgemacht und können darüber reden. Meine Freunde oder meine Familie haben nicht gekämpft. Sie verstehen mich bis heute nicht."

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Die zahlreichen Abzeichen der Einheiten der ukrainischen Armee erinnern daran, dass viele Angestellte Kriegsveteranen sind

Über die Erfahrungen zu sprechen ist wichtig. Die Ex-Soldaten sind regelmäßig beim Psychologen. Das müssen sie tun, um hier arbeiten zu können. Leonid zwingt sich selbst auch dazu, erzählt er, während er sich vor der Einkaufspassage eine Camel Light ansteckt.

Genauso wie es hilft, mit einem Experten zu sprechen, hilft auch das Kochen. Es ist nicht nur eine Arbeit. Während man das Essen zubereitet, sind Geist und Hände beschäftigt. Und Leonid fügt noch hinzu: „Wenn man jemand anderem ein Essen zubereitet und ihm das schmeckt, macht dich das glücklich."

Das hat er ganz klar geschafft. Die ersten Gäste kommen, auf dem Gesicht ein breites Lächeln. Gleich öffnet die Pizzeria, in der Küche ist schon alles fertig. Käse, Wurst und Zwiebeln warten in ihren Behältern. Der Raum ist vom Geruch nach frischem Pizzateig erfüllt. Es wird wärmer, der Ofen ist angeheizt.