Das passiert, wenn das beste Restaurant der Welt nach Australien zieht

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Das passiert, wenn das beste Restaurant der Welt nach Australien zieht

Wir geben euch einen kleinen visuell-anekdotischen Einblick in die erste Verkostung vom noma in Australien, beginnend mit phallusartigen grünen Früchten und endend mit Eis aus Erdnussmilch.

Noch ein paar Stunden vor der Eröffnung seines Pop-up-Restaurants in Sydney hat der wohl einflussreichste Koch der Welt wie wild mit einem grünen Phallus umhergewedelt. OK, es war kein Penis, sondern eine einheimische australische Frucht namens monstera deliciosa—wie passend—, die, bevor man sie essen kann, noch in Zeitungspapier eingewickelt reifen muss. Ansonsten enthält sie zu viel Oxalsäure, die zu Blasen und Verbrennungen im Mund führen könnte. Außerdem müssen die knallgrünen Schuppen in Kleinarbeit einzeln entfernt werden. René Redzepi wollte die penisförmigen Früchte des Köstlichen Fensterblatts, so der deutsche Name, unbedingt verwenden: „Komm schon!", meinte er zu Thomas Frebel, dem Spezialisten in seinem Team für neue Gerichte. „Wir sind nicht bis hierher gefahren, um dann nur mit Möhren zu kochen."

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Alle Fotos von Jason Loucas

Sicher nicht. Redzepi hat sein berühmtes Restaurant noma kurzerhand von Kopenhagen nach Sydney verfrachtet. Von den heimischen Wänden geht es für ihn und sein Team in ihr vorübergehendes Zuhause am anderen Ende der Welt und zwar aus mehreren Gründen: damit seine Crew enger zusammenwächst und sie etwas über andere Teile der Welt lernen und—nicht ganz unerheblich—damit sie lernen, wie es ist, ein neues Restaurant zu eröffnen. Dieses Wissen wird ihnen 2017 noch nützlich sein, wenn das noma sich neu erfindet: Eine Neueröffnung als ausschließlich saisonales Restaurant mit eigener urbaner Farm und ganz neuen Gerichten steht ins Haus. Vor allem aber sind sie bis hierher geflogen, um sich von einheimischen Zutaten inspirieren zu lassen, wie eben der monstera deliciosa, die einfach nur abgefahren, aber auch wunderschön sind.

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Und genau das alles haben sie geschafft. Wir geben euch einen kleinen visuell-anekdotischen Einblick in die erste Verkostung vom noma in Australien:

Macadamianüsse

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Fünfzehn Jungköche, 16 Kilo Macadamianüsse und zwei Stunden: Diese einfache Gleichung verrät ziemlich viel über das noma.

Wie viele der Gerichte auf der neuen australischen Karte besticht auch der erste Gang vor allem mit seiner Einfachheit: In einer kristallklaren Flüssigkeit schwimmen kleine, weiße Münzen. Die Flüssigkeit ist eigentlich eine abgekühlte Brühe aus Spannerkrabben, die so rein ist, dass sie kein Wässerchen trüben könnte. Und die Münzen sind weiße Macadamianüsse, also eigentlich grün-weiße, mit ganz eigenem Geschmack—am besten beschreibbar als grün-nussig. Der Nussbauer hat sich ganz schön geärgert, dass er nicht selbst auf diese Art der Zubereitung gekommen ist.

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Weil das Gericht mit so wenig Schnickschnack auskommt, muss die Textur perfekt sein, damit es seine volle Wirkung entfalten kann. Deshalb sind am Eröffnungstag auch ganze neun Leute damit beschäftigt, alles frisch zuzubereiten—Nüsse schneiden à la minute. Redzepi beobachtet seine Zöglinge sorgfältig und wird schnell verärgert.„Hast du das gemacht?", fragt er einen der Köche, der sein Vergehen wie ein elendes Häufchen zugibt. „Die sind zu dünn. Genau das solltet ihr doch nicht machen." Er blickt seine Crew wütend an: „Ihr sollt doch nur Nüsse schneiden. Aber das hier ist eine Katastrophe."

Beeren

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Diese Beeren sind schon irgendwie wundersam: Muntries sehen aus kleine grüne Basketbälle und Riberries strahlen in kräftigem Rubinrot. Sie sind so dickfleischig und schmecken fast schon herzhaft, dass man seine Vorstellung von Beeren gar hinterfragen muss. Aber das Buschpflaumenpulver, eine wilde Pflaumenart so groß wie eine Olive, setzt dem wirklich die Krone auf. Die Buschpflaume, auch Gubinge genannt, wird zuerst püriert, dann getrocknet, sodass eine Art Puder entsteht, das geschmacklich an weiße Schokolade erinnert. „Bau bloß keinen Scheiß damit!", meint Redzepi zu einem Koch, der das Puder gerade über ein paar Beeren gibt. „Das kostet 500 Dollar pro Kilo." Just in diesem Moment geht die Lüftung an und die Küche verwandelt sich in diese eine Szene aus Die Stadtneurotiker, in der Alvy Singer bei einer Party niesen muss, und dabei einfach so Kokain im Wert von ein paar Tausend Dollar wegpustet. Überall liegt das weiße Zeug.

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Akaziensamen

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Akaziensamen sind ein bisschen wie die australische Buschvariante der Mohnsamen wie auf dem Brötchen. Sowas verwendet man nicht schüsselweise—es sei denn, man heißt René Redzepi. Sobald er hörte, dass Aborigines aus Akaziensamen Brot machten, dachte er, man könnte sie doch wie ganz normale Körner behandeln und sie ordentlich durchgaren. Vielleicht würde es zwar acht Stunden im Schnellkochtopf dauern, bis sie irgendwie essbar werden und selbst dann würden einige immer noch nicht richtig kaubar sein. Aber damit hätte man zumindest eine Art Haferbrei, den man in irgendwas einwickeln könnte. Saftige Meldenblätter zum Beispiel, das sieht das aus wie fruchtig-grüne Gnocchi. „Dieses Essen schmeckt richtig nach Wildnis, ganz anders als die Zutaten zu Hause", meint Redzepi. „Ganz große Kunst."

Meeresfrüchte

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Dieses Gericht ist ein Tribut an den Køkkenmødding, einen Muschelhaufen, der durch die Muschelreste der Aborigines entstanden ist und der sich vor der Tür zum noma im Barangaroo Harbour befindet. Eine Einführung in die australische Muschelkunde. Auf jeder Muschel, und zwar einmal Pipi-Muschel und einmal Pferdehufmuschel, liegt ein hauchdünnes Blättchen.

Dieses Blättchen ist einmal fröhlich-feixend um den Todeskäfig, den Cage of Death im Crocosaurus Cove in Darwin, herumgeschwommen.

Hier werden unglaublich viele Freizeitaktivitäten angeboten: Kinder können junge Krokos füttern oder es gibt auch eine VIP-Fütterung mit ausgewachsenen Krokodilen. Aber die wahre Attraktion ist der Cage of Death, bei dem man sich in einem zylinderförmigen Behälter zu den schwimmenden Reptilien ins Wasser herablassen kann. Aber hier gibt es nicht nur Spiel, Spaß und Spannung: Gleichzeitig ist Crocosaurus Cove auch eine Tierzucht, die Krokodilhaut an Louis Vuitton liefert und nun eben auch Fett an ein bekanntes Restaurant aus Nordeuropa. Als das noma-Team den Betrieb besucht hatte, war der Besitzer gerade dabei zu schlachten. „Wir haben das Fett probiert und es hat fantastisch geschmeckt", erinnert sich Beau Clugston. Er war sofort begeistert, denn er liebt Krokodile einfach. Aber mittlerweile bereut er es, glaube ich, weil es unglaublich schwierig ist, das ganze Fett herauszubekommen.

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Aus diesem Fett macht das noma-Team einen durchsichtigen Kristallsplitter, der dann auf die fünf Muscheln des Meeresfrüchte-Gangs gelegt wird. Wie schmeckt Krokodilfett? Ein bisschen wie Hühnchen, und nein, nicht weil alles irgendwie nach Hühnchen schmeckt, sondern weil die Krokodile bei Crocosaurus Cove genau das den ganzen Tag essen.

Schneekrabben

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Die Schneekrabben, die das noma im Überfluss serviert, sind eigentlich keine, die leben nämlich im Nordatlantik. Die hier kommen von der Westküste Australiens und leben in Tiefen, wo kein Lichtstrahl mehr hinkommt, sodass diese Meereskreatur kreidebleich bleibt. Für die meisten Restaurants wäre dieses geisterartige (und falschbenannte) Krustentier, das in einer finsteren Unendlichkeit lebt, schon abgefahren genug für ein Gericht. Das noma toppt das Ganze allerdings mit einem leicht gebeiztem Ei und fermentiertem Kängurusaft. Ja, sie haben ein Känguru entsaftet, fragt nicht wie, nehmt das Gericht einfach als die noma-Version eines Surf-n-Turf hin.

Pasteten

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„Ein Besuch in Australien geht nicht ohne Pasteten", meint Beau Clugston, der für das noma die einheimischen Zutaten ausgekundschaftet hat. Und das stimmt: fleischgefüllte Pasteten in schmieriger Sauce findet man in jedem Café, jeder Bäckerei und jedem ranzig Büdchen an der Bushaltestelle zwischen Sydney und Perth. Die Version des noma ist natürlich alles andere als ranzig. Wer aber nicht geschickt genug ist, sollte lieber die Finger davon lassen, das Zeug kann giftig sein. Während er kleine grünlich-braune Teigscheiben (mit Meeresalgen) in Tarte-Förmchen drückt erklärt Clugston: „Das Wandelröschen ist eine einheimische Buschart." Es wächst in jedem Vorgarten in Sydney. „Gleichzeitig ist es aber auch giftig, wenn auch nur die Blätter und nicht die Blüten." Das noma-Team streut diese kleinen Blüten (OK, sie nehmen in Wahrheit natürlich eine Pinzette) über eine kleine tarteletteförmige Pastete mit Füllung aus Jakobsmuschel-Karamell, das wunderbar schmeckt, aber eigentlich eher eine Zufallsentdeckung war. „Das Eiweiß der Jakobsmuscheln passte einfach am besten zu den Blüten", erklärt Clugston.

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Tomaten und Seeigel

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„Hier wollten wir einfach was mit Tomaten machen", meint Redzepi.

Marron

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Die wohl kniffeligste Zutat des Abends war der Marron, ein australisches Krustentier, das ein bisschen aussieht wie eine Languste. Serviert mit einem Löffel Ragout aus besonderem Gänsefleisch, einer der Lieblingsgänse der Aborigines, die sich hauptsächlich von Mangos ernährt, wird das Ganze in gegrillter Milchhaut eingerollt und mit einem geflochtenen Palmenblatt zusammengehalten. Bei diesem Gericht kann viel schiefgehen—und beim ersten Probeessen passierte genau das.

Die Gäste versammelten sich zunächst draußen vor dem JOSPER-Ofen, wo schon die Kohlen für die Wraps vorgeheizt werden. Doch weil die Lüftung ausgefallen war, verbreitete sich überall Rauch. Die Milchhaut war zu feucht und klebte am Grill fest. Kim Mikkola aus Finnland, der für dieses Gericht zuständig war, hat sich heftig verzettelt. Und als alles angerichtet werden sollte, wurde es noch schlimmer: Die Palmenblätter sahen aus, als hätten Vorschulkinder sie zusammengeflochten.

Allerdings ging das auf die Kappe des Service-Personals, das am nächsten Tag fleißig an den Tischen draußen saß und sich erneut daran versuchte. Kim Mikkola ging dieses Mal kein Risiko ein. Er hatte ursprünglich die Idee mit dem Flechten, sein Großvater hat das Gleiche mit Birkenrinde gemacht. Jetzt wachte er mit Argusaugen über die jungen Flechtkünstler. „Ich mache mir ständig Sorgen", meint er. „Wenn man das nicht tut, genau an den Tagen, an denen man meint, alles unter Kontrolle zu haben, ist die Kacke am Dampfen. Aber wenn man immer hinterher ist und teilweise auch richtig gestresst, dann fügt sich alles magisch zusammen."

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Abalone

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Das Gericht, das die Köche als „Hauptgericht" präsentierten, ist wieder mal eine Version eines australischen Grundnahrungsmittels: Schnitzel—ja, man mag es kaum glauben. Die Down-Under-Version, liebevoll schnitty genannt, wird aber nicht aus Kalb oder Schwein oder Huhn, sondern aus Abalone, Seeohren, gemacht, die in den Gewässern um Tasmanien gefischt werden. Die Seeohren bekommt das noma-Team von Red Claw Seafood und der Inhaber Richard Pinson war von der Idee begeistert: „Ich habe auch den Taucher heute Abend mitgebracht und er hat fast vor Freude geweint, als er das gegessen hat."

Und zu Recht: Dieses Gericht ist einfach nur köstlich. Das Team hat die Seeohren zunächst weichgeklopft und dann in Fett angebraten. Umhüllt wird das Ganze von australischen Wüstenlimetten und ein Mischung aus komisch anmutenden, leckeren Algen. „Die besten Fischstäbchen, die du jemals gegessen hast", meint Redzepi.

Obst

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In der Testküche in Kopenhagen stehen immer ein paar Äpfel auf der Anrichte, da bedient sich Redzepi regelmäßig. In Sydney wiederum steht eine Schüssel mit Wassermelonen, die gehen noch schneller weg, schließlich liebt Redzepi Wassermelonen. Zusammen mit Mango und Ananas wird daraus auch eine Art gaumenreinigender Zwischengang, der vor dem Dessert kommt. Die Farben sind so kräftig—kein Vergleich mit den Früchten zu Hause: Der knallpinke Würfel aus Wassermelone wird zudem mit dem Saft der Davidson-Pflaume mariniert. „So etwas Saures hast du bestimmt noch nicht gegessen", beschreibt Redzepi seine Kreation. „Aber es passt wunderbar zu Wassermelone—ein Traumpaar wie Tomate und Mozzarella."

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Lamington

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Natürlich hat sich das noma auch an Lamington gewagt, eine typisch australisches Konfekt. Mette Søberg tut alles, damit die kleinen Köstlichkeiten nicht dahinschmelzen, und das ist gar nicht mal so einfach. Ein Rührkuchenteig versetzt mit kleinen Luftbläschen, getränkt mit Tamarinden-Rum. Darüber werden eine Art Milchstreusel gestreut, die den sonst verwendeten Kokosraspeln ähneln. Deshalb müssen die kleinen Küchlein die ganze Zeit gekühlt werden, gefroren, aber nicht durchgefroren. „Diese Streusel sind sehr empfindlich. Um die Temperatur zu regulieren, könnte ich flüssigen Stickstoff nehmen", erklärt sie und zeigt auf einen Kanister. „Dadurch werden sie allerdings hart. Wenn man zu viel davon nimmt, bleibt nur noch ein Eisklumpen übrig." Nervös wischt sie sich mit der Hand über die Stirn. „Ja, man könnte sagen, ich pflege eine Hassliebe zu meinen Lamington."

Gaytime

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Die australische Version des bekannten Magnum-Eis heißt „Golden Gaytime" und auch hier hat das noma seine eigene Version kreiert, auch wenn sie den Namen ändern mussten, um nicht gegen das Urheberrecht zu verstoßen. „Thomas hatte diese grandiose Idee", erzählt Pâtissier Malcolm Livingston. „Er wollte unbedingt Eis am Stil haben." Also hat sich Livingston an die Arbeit gemacht und ein Eis aus Erdnussmilch kreiert, mit einem Kern aus Zitronenkaramell, und Freekeh, früh geerntetem und geröstetem Weizen. Dann wird alles in „Öl und geklärter Butter ertränkt", bis es eine erschreckend genaue Ähnlichkeit mit Schokolade hat. So lecker, dass selbst Redzepi, der eigentlich nichts Süßes mag, davon nicht genug bekommen kann. „Jeden Tag mache ich vier extra für ihn", meint Livingston, „zwei für jede Schicht."

Es gibt natürlich noch mehr. Typisch australische Getränke, zum Beispiel die noma-Version des Snakebite, eine Mischung aus Bier und Cider, die Böses ahnen lässt. Dann gibt es noch dieses fantastische Brot, an dem ein Koch wochenlang bis zur Perfektion gearbeitet hat. Eigentlich hoffte er, dass das Brot als eigenständiges Gericht mit selbst gemachtem Vegemite serviert werden würde, aber Redzepi meinte, dass es nicht auf die Karte passt, auch wenn es „das beste Brot in ganz Sydney ist". Und dann sind da noch Petit-Fours mit Kräutern aus dem Buschland.

Wenn man das alles isst, ist das, als würde man in einen Kaninchenbau fallen und in einer Welt landen, von der man nicht wusste, dass sie existiert. Eine Welt, so viel sei gesagt, ohne Möhren.