Mein Freund, der Wettautomat
Alle Fotos: Johannes Kuczera

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quoten

Mein Freund, der Wettautomat

Ein normaler Bundesliga-Samstag? Ja, nur mit mehr Raki und viel zu wenig Geld in den Taschen. Willkommen in der Parallelwelt Wettbüro.

Drei Minuten rührt Erkan in seinem Tee. Er tunkt ein weiteres Stück Zucker ein, bevor er austrinkt. Sofort wird ihm ein neues Glas hingestellt. Seine Hände zittern, er bedankt sich lächelnd. „Mein zweites Zuhause", erklärt er mir. Mich beschleicht ein mulmiges Gefühl.

Jeden Tag sitzt der junge Mann in dem viel zu kleinen, verräucherten Wettbüro auf St. Pauli. Im Viertel aufgewachsen, von Fußball und Überlebenskampf geprägt. Sein Leben spielte sich auf der Straße ab. Gerne erzählt Erkan, dass er jetzt Profi beim FC St. Pauli wäre, wenn er nicht „so viel Scheiße gebaut hätte". Am Nebentisch lachen drei Männer. Sie hören die Geschichte jeden Tag.

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Er hätte nicht mit dem Kiffen und Wetten anfangen sollen, ruft einer rüber.

Erkan bestellt einen Raki.

König Fußball, wir haben dich vermisst

Mir kam die Winterpause unfassbar lang vor. Darts und Skispringen können einfach nicht ersetzen, was die Bundesliga mit einem macht. Was tut man also am ersten Spielwochenende der Rückrunde? Logo, ins Wettbüro gehen, sich betrinken und die Liga-Konferenz in HD gucken. Zugegeben, das sind Klischees, die ich eigentlich nicht bedienen möchte. Und doch tue ich es heute.

Als Frau wird man ausgiebig gemustert, wenn man den schlauchförmigen Raum betritt. Jeder der fünf Tische ist besetzt, es wird getrunken, erzählt, viel geraucht. Alle paar Minuten steht jemand auf, um an einen der vier Automaten zu gehen. Ich steuere direkt auf einen zu, um mein gefährliches Halbwissen über Quoten und Wahrscheinlichkeiten an den Mann zu bringen.

Klar, ich liebe den Sport. Der Fußball regiert mein halbes Leben, ist Teil meines Berufs. Ich weiß natürlich, dass Paderborn in der Hinrunde nur drei Spiele für sich entscheiden konnte. Und Mainz auch. Doch dafür hat Mainz die bessere Torbilanz, spielt an diesem Samstag zuhause und gilt dementsprechend als Favorit. Das bestätigt auch die niedrigere Quote. Aber das Wetten macht keinen Spaß, wenn man nur Sicherheitstipps abgibt. Also Kombiwette, 2x Risiko, 2x Sicherheit nach Tendenz.

Der zerknitterte Bärtige neben mir guckt unbeeindruckt auf meinen Bildschirm. „„Mach' doch Übertore bei Stuttgart - Gladbach!" Was will er von mir? Achso, also wenn mehr als 2,5 Tore in dem Spiel fallen, egal von welcher Mannschaft. „„Das ist sicher. Es fallen meistens mehr als 3 Tore." Leider hat er damit nicht Recht. Tatsächlich liegt die Wahrscheinlichkeit hier bei 50%. Schnell nochmal in die Premier League gucken, was da zu holen ist. Spurs und Liverpool gewinnen sicher. Queens Park eher nicht, aber mein Einsatz muss sich lohnen, also Sieg auf die Rangers. Sollte sich als nicht sehr klug herausstellen.

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Einer geht noch

Tor für Schalke! 20 von 30 Männer springen auf. Ich bleibe ernüchtert sitzen, habe auf Hannover getippt. In 60 Minuten kann noch viel passieren. Auf drei großen Bildschirmen läuft die Bundesliga-Konferenz. Man stellt mir Raki hin. Ich werde hier unterschätzt. Okay, runter damit. Ist schließlich schon 16 Uhr. Überlege, noch einen Schein auszustellen, zwei meiner Tipps sind bereits dahin. Und da ist er, der Spielteufel. Zu leichtfertig steckt man nochmal zwei Euro in den Automaten. Oder gleich fünf, muss sich schließlich lohnen.

Erkan diskutiert mit dem halben Laden. Mit mehreren Spielscheinen kommt er zurück an den Tisch. Und einer neuen Runde Schnaps. Jeder der hier anwesenden Männer raucht. Um die Spiele auf den Fernsehern verfolgen zu können, muss man doch sehr nah dran sitzen. Nach nur wenigen Stunden weißt du, dass sich hier alle kennen. Täglich dieselben Gesichter. Auch der Shopleiter, der mich immer mit misstrauischer Miene abstraft, bestätigt das. Über ihr Spielverhalten möchte hier niemand sprechen. Es sei immer alles „im Rahmen. Vielleicht doch noch eine Runde Schnaps.

Wann wird der Spaß zur Sucht?

Erkan hat sich ein finanzielles Wochenlimit gesetzt. Klingt erstmal gut, wenn man nicht wüsste, dass er vor Jahren seine halbe Existenz verspielt hat. Eigener Imbiss, Auto—weg. Familie hat er nicht. Ob er eine hatte, will er nicht sagen. Für viele hier ist das Büro die einzige Anlaufstelle am Tag. Er macht nicht selten die Nächte durch, schläft ein paar Stunden in der durchgesessenen Eckcouch, zwei Gläser Tee—weiter geht's. „„Hier läuft den ganzen Tag der Fernseher, ich bekomme was zu essen und treffe Freunde. Wo soll ich sonst hin?" Manchmal, gibt er zu, spielt er in Casinos. Poker, Blackjack, Roulette oder eben drei Stunden am Automaten. Aber nur, wenn es gerade gut läuft. Vereinzelt kommen Leute rein, grüßen kurz in die Runde, gehen an den Automaten und verschwinden wieder. Alles bekannte Gesichter, wie es scheint.

Es ist ein wenig anmaßend. Und doch erlaube ich mir, über die Menschen zu urteilen, mit denen ich diesen Tag verbringe. In meinem Freundeskreis wird häufig auf Fußballergebnisse gewettet, ich selbst gebe ein- bis zweimal im Monat einen Tippschein ab. Damit gebe ich mich zufrieden und werde nicht nervös, wenn ich völlig daneben liege. Es ist ein Spaß. Für die meisten Leute in meinem Umfeld ist es das.

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Tagtäglich sitzen aber Menschen in diesem und ca. 3400 weiteren Wettbüros in Deutschland und gehen einer Sucht nach. Der gesamtdeutsche Umsatz durch Sportwetten ist im vergangenen Jahr auf 4,5 Milliarden Euro gestiegen. Und da seit 2012 eine zusätzliche Steuerpflicht für Wettanbieter gilt, bedeutet das laut dem Deutschen Sportwettenverband auch 226 Mio. Euro Steuereinnahmen allein im Jahr 2014. Übrigens werden gut ein Drittel der Wetten nach wie vor in Büros abgeschlossen. Macht „in Gesellschaft sein das Glücksspiel also gesellschaftsfähig? Ist es mein Umfeld, vor dem ich mich nicht schämen muss, weil es dasselbe tut?

Einfacher, als sich mit Freunden zu treffen, etwas zu trinken und dann nebenbei mal auf das ein oder andere Spiel zu setzen, könnte es nicht sein. Wo die Grenze verläuft und wie sich beim Einzelnen die Sucht definiert, vermag ich nicht zu beurteilen. Fakt ist aber: Von den vielen Männern, mit denen ich heute spreche, möchte niemand über sein Spielverhalten sprechen. Keiner lässt sich fotografieren. Und wenn ich nach Geldbeträgen frage, wird es runtergespielt oder eben ignoriert. Ein Verhalten, das zeigt, wie problembehaftet die Wettbranche ist.

Abpfiff

Kurzer Blick auf meine zwei Spielscheine. „Jungs, ich hätt' gern noch ne Runde Raki." Aber vorher eben an die frische Luft, hier drin kannst du vor lauter Qualm keine Gesichter mehr erkennen.

Tür auf, Straßenlärm, buntes Treiben, die Sonne scheint. Ein ganz normaler Samstag in Hamburg. Nur dass ich mich fühle, als ob ich aus einer kneipesquen Parallelwelt geworfen wurde. Schnell wieder rein, bevor mich jemand erkennt und an mir riecht. Schnurstracks zum Tresen, wo sich zwei Männer ihren Gewinn auszahlen lassen. Kurz mal die Einnahmen mit den Ausgaben verglichen. Es wurden etwas über 50 Euro an Gewinn ausgezahlt. Die Einnahmen dürften mittlerweile weit über 400 liegen. Der mies gelaunte Shopleiter lächelt heute zum ersten Mal. Und es ist nicht mal 18 Uhr.

„„Geil, die übertragen jetzt die Süperlig?" Ich laufe Gefahr, mir es noch einmal gemütlich zu machen. Schnell noch den Raki an Erkan weitergegeben. „„Wir sehen uns!"

Das Verlangen nach einer Dusche und der gesunde Menschenverstand siegen.

Folgt Jenni bei Twitter: @callmeuschi