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fan(g)fragen

Wie kann man immer noch Fan von 1860 München sein?

1860 München hat alles dafür getan, um zum Gespött des deutschen Fußballs zu werden. Unser Autor ist Sechziger, mittlerweile weiß er, was Schmerz bedeutet. Wir schickten ihn los, um sich und andere 1860-Fans ernsthaft zu hinterfragen.
Alle Fotos: Lukas Krombholz

Eines vorweg: Ich bin Löwen-Fan. In München aufgewachsen und nach Berlin ausgewandert, habe ich trotz hipper Partys, neuer Hobbys und zahlreicher Vernetzungen zu Hertha BSC und Union Berlin nie vergessen, wo ich herkomme. Aus München. Und München ist blau.

Im preußischen Pendant zur bayerischen „Boazn" (Kneipe) muss ich mich für diesen altehrwürdigen Klub trotzdem regelmäßig rechtfertigen. „Was? 1860-Fan? Warum das denn?" Aber eigentlich kann ich die lokalen Fußball-Patrioten ja verstehen. Wer sympathisiert schon freiwillig mit einem Verein, der jährlich arrogant vom Aufstieg redet, aber regelmäßig gegen den Abstieg spielt? Der mit dem Titel „Traditionsverein" hausieren geht, aber eben jegliche Tradition mit dem Einstieg eines Investors mit Füßen trat? Der innerhalb von 12 Zweitliga-Spielzeiten 20 Trainer verheizte? Ich, eben. Und mit mir noch tausende andere Verrückte. Es war mir ein persönliches Anliegen, vor dem Auswärtsspiel der Gisinger bei Union Berlin einige Leidensgenossen zu fragen, was sie nach zahlreichen rabenschwarzen Jahren immer noch bei den Löwen hält. Egal, mit wem ich sprach, uns Löwen eint der Hang zum Sarkasmus, Masochismus und Größenwahn. Und wo wir gerade dabei sind: „Nächstes Jahr steigen wir auf".

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Alle Fotos: Lukas Krombholz

Chato, 28, aus München (links im Bild). Sein Kumpel hat Chatos Aussagen glücklicherweise allesamt abgesegnet.

VICE Sports: Macht es einem der TSV nicht verdammt schwer, sein Fan zu sein?
Chato: Gerade in den letzten Wochen – obwohl es nach wie vor chaotisch bis zum Gehtnichtmehr ist – macht mir 1860 wieder Hoffnung. Weil jetzt endlich der Investor, der seit sechs Jahren drin hängt, das Sagen hat und seine Entscheidungen durchsetzen kann. Es gibt niemanden mehr, dem er Fehlentscheidungen in die Schuhe schieben kann. Das heißt, jetzt muss er wirklich abliefern. Das sehe ich als Chance. Der sportliche Misserfolg wird mich niemals vom Verein wegbringen. Nicht einmal die ganzen inkompetenten Verantwortlichen haben mich vertrieben.

Was war denn dein Negativ-Highlight in jüngster Zeit?
Die Entlassung von Oliver Kreuzer. Das habe ich einfach null nachvollziehen können. In meinen Augen hat der letzten Winter gut gearbeitet. Eigentlich hat da vieles gestimmt. Er wurde dann durch Thomas Eichin ersetzt, der in meinen Augen wenig kompetent ist. Dieses ständige Neuanfangen-Müssen, auf Dauer kann das nicht gut gehen.

Passend dazu: Mein bitteres Leben als Löwen-Fan

Wird das was mit Vitor Pereira als Trainer? Einem Mann, der das verrückte Löwen-Umfeld nicht kennt und kein Wort Deutsch spricht?
Ich hab Bock auf den Typen! Dass er nur Portugiesisch spricht, wird auch in den Münchner Medien immer thematisiert. Ich finde nicht, dass Sechzig dadurch seine Identität verliert. Ich glaube, junge Kicker haben überhaupt kein Problem damit, englische Anweisungen umzusetzen. Wir haben einen kompetenten Typen gefunden, der endlich mal einen Plan hat, wie er spielen will.

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Das heißt, das Ziel für nächstes Jahr lautet ganz klar Aufstieg.
Immer! Allein schon aus Tradition. Das war doch jedes Jahr das Ziel. Für alles andere müssen wir doch gar nicht antreten.

Naomi, 28, aus München (wurde zum Löwen-Fan erzogen)

VICE Sports: Du kannst niemals mehr ohne den TSV. Warum?
Naomi: Die Löwen gehen bei mir unter die Haut. Ich trage ein blaues Herz, nicht nur in meiner Brust, sondern auch als Tattoo auf meinem Rücken. An meinem 18. Geburtstag war ich mit meinem Papa in der Arena. Natürlich haben wir 0:3 verloren. Ich habe meinen Vater damals gefragt: „Warum hast du mir das angetan?" Seine Antwort war nur: „Kind, das stärkt den Charakter." Unser Stadionsprecher Stefan Schneider meinte einmal, „die einen gehen zur Domina, die anderen gehen zu Sechzig."

Wann hören wir Löwen-Fans endlich auf, vom Aufstieg zu reden?
Ich wünsche mir das schon seit Längerem. Immer wenn besonders laut vom Aufstieg gesprochen wird, passieren dann so Sachen, wie dass ich zur Relegation nach Kiel fahren muss. Oder dass ich am letzten Spieltag beten muss, dass die Anderen für uns spielen. Das obere Tabellenmittelfeld wäre realistisch. Wenn das zwei Jahre erreicht wird, kann man vielleicht, aber wirklich nur vielleicht, darüber reden, ob man den Aufstieg in Angriff nimmt.

Liefert einem ein Verein wie Union nicht unfassbar viele Gründe, neidisch zu sein?
Äh ja. Allein schon wegen ihrer Fan-Kneipe „Abseitsfalle". Hammergeil, sowas möchte ich auch haben. Und natürlich das Stadion mitten in der Stadt – mitten im Herzen der Fan-Szene.

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Moritz, 24, Berlin (hat sich im Stadion eine dicke Erkältung eingefangen, Sechzig „nur" zwei Gegentore)

VICE Sports: Wie schwer macht es einem der TSV 1860, sein Fan zu sein?
Moritz: Verdammt schwer. So ganz hat er es auch noch nicht geschafft. Ich hatte mit den Löwen nicht wahnsinnig viel am Hut, aber mein Mitbewohner. Wir kommen beide aus München. Und aus der Ferne betrachtet ist mir klar geworden. München, das ist Sechzig. Sechzig, das ist München. Wenn es darum geht, einen Klub zu lieben, dann darf doch nie der sportliche Erfolg im Vordergrund stehen, sondern das Menschliche. Was für Typen stehen da auf dem Platz und daneben? Kann ich mich mit denen identifizieren? Außer du bist natürlich Bayern-Fan, dann zählt nur gewinnen.

Was war dein persönlicher Löwen-Tiefpunkt?
Das ganze Heckmeck mit der Münchner Presse. Sich darüber zu beschweren, dass zu kritisch berichtet wird. Ob ich die Zeitungen lese oder nicht, bleibt mir selbst überlassen, aber das sind doch keine Methoden. Renommierten Münchner Medien die Akkreditierung bei Heimspielen zu entziehen, wo kommen wir da hin? Von Machtspielen dieser Kategorie hört man sonst ja nur aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Der Verein hat ein gehöriges Problem mit seiner Außendarstellung. Wir liefern genügend Gründe, um zur Lachnummer des deutschen Fußballs zu werden. Da hab ich keinen Bock drauf.

Neidisch auf Vereine wie den 1. FC Union Berlin?
Ja und nein. Ich stehe zum TSV, mit allen Macken, die der Klub auch hat. Daran soll und wird sich auch nichts ändern. Aber klar ist es schon ein wenig bitter, hier vorgelebt zu bekommen, wie es hätte laufen können. Mit einem eigenen Stadion, das dem Verein gehört. Die wirtschaftliche Unabhängigkeit, das ist schon toll. Nur die Farben. Mit Rot-Weiß werde ich mich einfach nicht mehr anfreunden können …

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Felix, 26, Berlin (war sehr erleichtert, als ich ihm erklärte, dass Fußballschals gerade modisch tragbar sind)

VICE Sports: Du bist Löwen-Fan?
Felix: Ja wieder, irgendwie …

Wieder? Der Verein hat in den letzten Jahren nicht viel dafür getan, sich erneut in ihn zu verlieben.
Ja, dafür hat mein restliches Leben viel dafür getan, indem es gesagt hat, dass ich Bezug zu etwas brauche, das Bestand hat.

1860 und Beständigkeit … Warum nicht lieber Union Berlin?
Ganz einfach, weil es nichts mit meiner Kindheit zu tun hat. Ich bin irgendwie in Berlin gestrandet und es ist alles gut und geil, aber ich habe trotzdem das Bedürfnis, wieder zu meinen Wurzeln zurückzukehren.

Was ist dein Löwen-Tiefpunkt der jüngeren Vergangenheit?
Das 0:2 in Lotte war schon urpeinlich. Und sonst? Boah, mir ist es halt generell peinlich, Fußball-Fan zu sein. Das ist irgendwie komisch, mit seinem sonstigen Leben zu vereinbaren. Wenn man dann beichten muss, dass man jetzt ins Stadion geht. Man trinkt jetzt halt viel zu früh Bier und pöbelt irgendwelche Leute an. Das ist eigentlich ganz schön ekelhaft.

Angelika, 56, Hamburg (War in männlicher Begleitung unterwegs. Und der hat es ebenfalls nicht einfach. Sein Verein: RW Essen)

VICE Sports: Wie kann man sich nach dem Chaos der letzten Jahre immer noch mit dem Verein identifizieren?
Angelika: Das ist eine Herzensangelegenheit, glaube ich. Mein Sohn sagt immer: „Jeder sucht seinen Klub, aber wenn du ihn hast, dann weißt du es. Und dann bleibst du dem Verein treu." Mein Sohn ist seit seinem zweiten Lebensjahr Fan und inzwischen 23.

Und du?
Ich war früher HSV-Fan. Das Gemeinschaftsgefühl unter den Fans hat mich zu den Löwen gebracht. Nicht der Hang zum Chaos. Wobei das mit den Fans inzwischen so eine Sache ist. In den letzten Spielen gab es sogar unter den Fans Ausschreitungen. Die Jung- und die Alt-Löwen harmonieren noch nicht. Aber da wird irgendwann schon wieder Ruhe einkehren. Das denke ich schon.

Leider gibt es ja mehr Negativ- als Positiv-Highlights. Was war in der jüngsten Vergangenheit dein schlimmster Löwen-Moment?
In Lotte (lacht – bis zum Ende des Gesprächs). Echt, in Lotte. Es war das reinste Chaos. Am Einlass gab es Chaos, auf den Rängen gab es Chaos und dass wir dann auch noch verloren haben, war der Oberhammer. Wir Fans standen da und hatten das Gefühl, dass die Mannschaft nicht gewinnen wollte.

Wann hört man auf, vom Aufstieg zu träumen?
Gar nicht. Ne … wirklich nicht. Irgendwann stehen wir da oben und denken dann: „Mensch, fühlt sich das geil an."