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Interview

Warum die Pottoriginale nichts mit RTL-Charakteren zu tun haben

Wir haben uns mit Filmemacher Gerrit Starczewski darüber unterhalten, was seine Originale von durchschnittlichen RTL-Assis unterscheidet, und was Rockstar Pete Doherty in dem Dokumentarfilm verloren hat.
Alle Fotos: Gerrit Starczewski

Er hat es wieder getan: Fotograf, Filmemacher, Pott-Kind und Fußball-Enthusiast Gerrit Starczewski widmet den wahren Helden der Kurven erneut einen Film. Pottoriginale 2, der in Zusammenarbeit mit Cutter Patrick Rönsch entstand und am 17. März im UCI Ruhr Park in Bochum uraufgeführt wird, ist eine Liebeserklärung an die Menschen, die langsam, aber sicher aus den Stadien verschwinden. Doch nicht nur aus dem Fußball verschwinden, sondern auch aus dem Pott. Die Kutten, die Lederoutfits, die langen blonden Haare, die Schnauze. Das zeichnet sie aus, seine Originale. Wie den liebenswerten, dem Bier niemals abgeneigten Tankwart a.D.. Oder den VfL-Jesus, der mit 50 immer noch in der Bettwäsche seines Vereins schläft – und in ebenjenem Bett sogar eine Schalkerin vernascht. Oder den philosophierenden RWE-Sandy und wie sie noch alle heißen …

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Pottoriginale 2 lässt sie ausführlich zu Wort kommen und porträtiert feinfühlig seine emotionalen Charaktere. Wir haben uns mit Gerrit Starczewski unterhalten, um herauszufinden, was seine Originale von durchschnittlichen RTL-Protagonisten unterscheidet und was Rockstar Pete Doherty in diesem Film zu suchen hat.

VICE Sports: Auf der Geilheits-Skala von 1-10: Wie geil ist Pottoriginale 2?
Gerrit Starczewski: Ja… (lacht). Ich weiß natürlich genau, auf welche Szene du im Film anspielst und kann es dementsprechend nur mit den Worten des Tankwarts sagen: „Ja, 'ne 10." Stichwort Tankwart: Ich war heute morgen schon mit ihm unterwegs. Wir saßen zwei Stunden bei einem Radio-Interview. Das war schon wieder sehr lustig mit dem Gesellen.

Das glaube ich gerne. Ich finde es gut, dass du die Originale wirklich zu Wort kommen lässt.
Und genau darum geht es mir. Auf der DVD gibt es zum Beispiel das ganze Interview mit VfL-Legende Lothar Woelk. Anderthalb Stunden ungeschnitten. Das sind Typen. Ich hab auch noch so viel Material von RWE-Sandy. Auch ein geiler Typ, der so viel Wahres sagt. Dass Bayern-Fans oftmals charakterschwach sind zum Beispiel. Oder Renate die Flaschensammlerin. Das sind so schöne Geschichten. Das hat alles eine schöne Tiefe. Bei Pottoriginale geht es auch darum, Menschen Gehör zu schenken, die sonst nicht so häufig zu Wort kommen.

RWE-Sandy und sein Lieblingsbier: Stauder. Foto: Gerrit Starczewski

Wie werden denn deine Originale in Bochum wahrgenommen?
Nicht umsonst heißt ein Kapitel im Film „Der Popstar von Werne". Der Tankwart und der VfL-Jesus sind in Bochum Popstars. Und das meine ich vollkommen ernst. Die sind unglaublich bekannt. Wenn du mit denen im Stadion bist, wirst du alle zwei Meter angesprochen. Ich habe einmal knapp 100 Leute gezählt, die vom VfL-Jesus ein Autogramm oder Foto wollten. Das ist schon heftig. Die Leute können sich insofern auch mit ihnen identifizieren, als dass das ehrliche Oldschool-Jungs sind. Klar hast du auch welche, die sich über die stellen und darüber lachen. Ansonsten geht es eher darum, mit ihnen zu lachen.

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Mehr dazu: Die Bochumer Flaschensammlerin, die nach 30 Jahren wieder im Stadion stand

Gerade das finde ich schön. Du wanderst nämlich auf einem hauchdünnen Grat zischen niveauloser Assi-Bloßstellung im RTL-Style und viel Feingefühl und Verständnis für die Protagonisten.
Ich lache einfach saugerne mit denen. Man hört mich ja auch ziemlich oft im Hintergrund. Für mich ist Respekt extrem wichtig. Bei all meinen Projekten geht es ja immer sehr viel um Menschliches. Für mich zählt immer der Mensch.

Der Tankwart - noch einmal auf den Zaun. Foto: Gerrit Starczewski

Leute, die sagen, dass das asozial ist, sind oberflächlich. Neulich meinte einer, „Gerrit, dieser Tankwart trinkt mir immer ein bisschen zu viel". Und kurze Zeit später erzählt er mir „Boah, hör ma', war das letzte Woche geil, ich hab so gesoffen, dass die mich mit Klebeband im Zug festkleben mussten, damit ich nicht umkippe." Die Originale sind Typen, die sich an so vielen kleinen Dingen erfreuen können. Da steckt für mich echt mehr dahinter. Eigentlich sogar eine kleine Gesellschaftskritik, weil man sieht, dass das Leute sind, die sich mit so wenig glücklich schätzen.

Was genau war deine Intention, solch einen Film zu machen?
Es ist eine Würdigung an Menschen, die ich total besonders und faszinierend finde. Jeden auf seine Art. Das sind Menschen, bei denen ich weiß, dass sie ehrlich sind. Die sind geradeaus. Das finde ich schön. Das haben wir doch in unserer Gesellschaft immer weniger. Aber die Vereine wollen solche Typen wie den Tankwart und den Jesus eigentlich gar nicht mehr. Die wollen eher diese aalglatten Tribünensitzer. Aber gerade Bochum war einfach immer rau, das gehörte dazu. Der Fußball darf diese Wurzeln nie vergessen. Gerade der VfL Bochum müsste das verstehen. Was diese beiden Typen für Sympathien unter den Fans haben …

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Wo ist denn die Identität? Immer in der Kurve. Die machen den Verein aus. Nicht die Spieler. Es geht um Typen, denen es egal ist, was andere von ihnen halten. Wer kann denn heute noch wirklich über sich selbst lachen? Die Wenigsten.

Die Popstars von Werne: Der VfL-Jesus (links) und der Tankwart (rechts). Foto: Gerrit Starczewski

Wie ist es eigentlich inzwischen: Hat der VfL Bochum auf Teil 2 reagiert? Beim ersten Teil kam ja nichts …
Bochum unterstützt das Projekt in keinster Weise. Anscheinend habe ich da eine andere Philosophie. Für mich macht den Verein etwas anderes aus. Das wiederum entspricht aber anscheinend nicht den Vorstellungen des VfL. Aber was stellen die sich denn vor? Ich finde, gerade weil man hier im Pott ist – zwischen Schalke und Dortmund – da muss man sich doch alternativ präsentieren. Und den Klub hat schon immer die Basis ausgemacht. Da findest du noch einige Typen. Und die darf man nie verraten. Union Berlin würde mit dem Thema ganz anders umgehen. Selbst St. Pauli. Vielleicht sogar Darmstadt 98. Das finde ich schon schade von Bochum.

Mehr von Gerrit Starczewski: Es gibt einfachere Dinge im Leben als VfL-Bochum Fan zu sein

War es eigentlich schwierig, das Vertrauen deiner Originale zu gewinnen? Schließlich zeigst du ihre intimsten Seiten.
Gar nicht. Überhaupt nicht. Ich bin selber jemand, der sehr, sehr offen ist und den Leuten immer Respekt schenkt. Und genau das bekomme ich von den Leuten wiederum zurück. Nochmal: Wer denkt, ich würde mich über diese Leute stellen: Das ist Schwachsinn. Der VfL-Jesus, zum Beispiel. Der hat 'ne tolle Tochter, ein Enkelkind und noch einen kleineren Sohn. Der hat seinen Job und ist glücklich. Und vor allem ist er klug. Aber alle meinen, nur weil er blonde, lange Haare hat und Kutte trägt, wäre er dumm. Sagen wir es so. Das Problem der Gesellschaft generell – und dafür ist der Film ein gutes Beispiel – ist Authentizität. Alles, was gezeigt wird, ist authentisch. Viele kennen das gar nicht mehr oder haben Angst zu sagen, was sie denken. Deswegen steht im Abspann auch „Natürlichkeit siegt". Und genauso meine ich es auch.

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Der VfL-Jesus im Sonderzug zur Auswärtsfahrt. Foto: Gerrit Starczewski

Identifizierst du dich mit den Originalen?
Mit allen. Ich trinke zwar kein Alkohol und nehme auch keine Drogen, trotzdem habe ich mit allen eine respektvolle, gute Ebene. Da ist so viel Inspiration für mich dabei. Die Leidenschaft, die die jeweils mitbringen. Für sie ist es der VfL, bei mir eben das Bildermachen. Leidenschaft verbindet.

Deine Helden identifizieren sich nicht nur mit VfL Bochum, sondern mit dem Pott an sich. Wie ist das bei der jüngeren Generation?
Da könnte ich so lange drüber philosophieren. Klar, was das Fußballerische anbelangt, legen die ganzen Ultragruppen der Vereine noch sehr viel Wert auf Pott-Kultur und das Kameradschaftliche. Aber die echten Pott-Typen, die sterben halt einfach aus. In den Generationen danach wirst du sowas nicht mehr haben. Das fängt ja allein damit an, wie man redet. Wenn der Tankwart sein „Ey, hör ma, ey" raushaut. So redet ja heute keiner mehr. Der gewisse Schlag geht nach und nach verloren.

Wie ist es dazu gekommen, dass zwischen dem Tankwart und dem VfL-Jesus plötzlich Rockstar Pete Doherty in deinem Film auftaucht?
Ich kenne Pete seit Längerem und habe ihn vor drei Jahren zum Ehrenmitglied von Bayer Uerdingen ernannt. Wir haben beide in unserer Kindheit ein Fanzine geschrieben, er in England für die Queens Park Rangers. Seine ersten Fußballspiele hat er aber in Deutschland gesehen. Das hat mich immer schon fasziniert. Dass er auch heute noch im Teletext nachschaut, wie hoch Uerdingen verloren hat. Ich habe ihm eine alte Bayer-Fahne geschenkt und als ein Bandmitglied fragte, wofür die Fünf auf der Flagge steht, sagte er: „Für das Gründungsjahr und die Anzahl der Fans". Diese Aussagen. So geil! Und was für ein Humor. Pete erinnert sich an so viele Details von früher, das ist faszinierend. Übrigens zieht er sich sehr gerne Hooligan-Videos rein. Die Oldschool, 70er-, 80er-Jahre-Sachen findet er ziemlich geil.

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Hier kannst du den Film im Kino sehen:

16. März WESEL - Vorpremiere - SCALA Kino
17. März BOCHUM - WELTPREMIERE - UCI Ruhr Park
20. März BERLIN - Babylon Kino
23. März KÖLN - Zum scheuen Reh
25. März BOCHUM - UCI Ruhr Park
28. März DÜSSELDORF - Metropol

Tickets via E-Mail pottoriginale@gmail.com - für mehr Infos besuche pottoriginale.de