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Kaffee

Milchkunst und andere Freuden: was ich in der Kaffeeschule lernte

Kaffee ist das Motoröl von Geistesgröße und gibt uns das Gefühl, Wikinger zu sein. Guter Kaffee ist den Aufwand und ein bisschen auch die Großtuerei wert. Deshalb bin ich in die Kaffeeschule gegangen, um dort zu lernen, wie man eine perfekte Tasse...

Ich trinke so viel Kaffee, dass ich davon Blutarmut bekommen habe.

Kein Scherz. Die letzten zehn Jahre habe ich so viel von diesem pechschwarzen Gesöff runtergekippt, dass ich mir ein ernsthaftes Blutleiden verpasste. Und das war es wert. Weil Kaffee das Motoröl von Geistesgröße ist und uns das Gefühl gibt, Wikinger zu sein.

Der British Coffee Association zufolge werden in Großbritannien jeden Tag ungefähr 70 Millionen Tassen Kaffee getrunken. Ich stell mir vor, dass mindestens die Hälfte davon wie das dreckige, nasse Ende eines Staubsaugersacks schmeckt—verbrannte Bohnen, abgestandene gemahlene Bohnen, zu viel Milch und alles zur idealen Temperatur serviert, um frisch ausgehusteten Schleim zu imitieren. Deshalb wollen Unternehmen wie Harris + Hoole, die sich Kaffeespezialitäten verschrieben haben, der britischen kaffeeschlürfenden Öffentlichkeit das eine oder andere darüber beibringen, wie man eine gute Kanne Java macht.

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Ich verbrachte den Tag im Harris + Hoole Training Centre, das hinter den Kränen und Lagerhallen in Südostlondon versteckt ist, um dort—unter anderem—richtiges Cupping, Schnüffeln, Schlürfen und wie man einen richtig schönen Penis aus Milchschaum macht.

Klar, ich mag gerne eine Tasse leckeren Kaffee. Und der ist auch einen gewissen Aufwand wert. Als ich aber meinen Blick auf den glänzenden 1959 Cadillac Eldorado unter den Kaffeemaschinen und auf die Säcke frischer Bohnen, die Waagen und digitalen Thermometer à la Breaking Bad richtete, fragte ich mich dennoch, ob sie es hier vielleicht nicht alle ein bisschen übertreiben? Aber heute war ich ein Kaffeeschüler. Ich war hier, um zu lernen.

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Kaffeeschule. Alle Bilder von der Autorin.

An Bohnen schnüffeln „Qualitativ hochwertiger Kaffee kann nur von Baristas serviert werden, die sorgfältig ausgebildet wurden, hochwertiges Equipment und Specialty Grade, also ausgelesene Bohnen, verwenden", sagt Andrew Tolley, Mitgründer von Harris + Hoole und oberstes Jurymitglied bei den UK Barista Championships. Das bedeutete, dass es jetzt Zeit für uns war, uns um drei Tassen Kaffeebohnen aufzustellen, die sich in ihrer Farbe und Stärke unterschieden. Wir hielten uns jede Tasse unter unsere Nasen und inhalierten wie Jugendliche an einer Bushaltestelle, um die Gerüche zu vergleichen.

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Cupping Ich war sehr enttäuscht, als ich erfuhr, dass Cupping im Grunde bedeutet, eine kleine Menge schwarzen Kaffee von einem runden Löffel zu schlürfen und zu beschreiben, wie er schmeckte. Weil ich aber vor sechs Monaten mit einem harten Schlag auf den Kopf meinen Geschmacksinn mehr oder wenig ausgelöscht hatte, war ich bei diesem Teil nicht besonders hilfreich. Außer als ich meinte, eine der Tassen (mit den frischesten und hochwertigsten Bohnen drin, wie sich herausstellte) würde wie Fleisch schmecken. Der billige Kaffee aus dem Supermarkt schmeckte wie Kreide. Und der mittlere—ein durchschnittlicher Americano einer Cafékette—schmeckte ein bisschen nach Kaffee und ein bisschen nach zu spät sein.

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Der Außenseiter Glaubst du, du könntest den Unterschied zwischen koffeinhaltigen und koffeinfreien Kaffee riechen? Ich dachte, ich könnte das. Seit meine Mutter mit 40 in die Wechseljahre kam und anfing koffeinfreien Tee, der nach Fisch schmeckte, zu trinken, war ich immer stolz der Meinung, dass ich das richtige Zeug schon aus 100m Entfernung riechen könnte. Als die Kaffeeschüler sich also um die Kaffeetassen aufstellten—zwei mit Koffein, einer koffeinfrei—und wir den Unterschied merken sollten, war ich insgeheim sehr zuversichtlich. Das wandelte sich ganz schnell in offensichtliche Enttäuschung. Und dann in stille Wut, nachdem ich so gut wie jeden falsch erriet.

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Unglaublich zuversichtlich.

Ride the machine Ich habe noch nie in einem Café gearbeitet. Als Studentin verdiente ich mein Geld mit XL-Touristen-T-Shirts, die ich Marlboro rauchenden französischen Jugendlichen und schwitzenden amerikanischen Touristen verkaufte. Ich bin für den Einzelhandel gemacht; Kleidung zusammenlegen, keine Becher. Das einzige Mal, dass ich mich mit einer richtigen Espressomaschine abgemüht habe, war, als ich im Haus meiner Tante vergessen hatte, das Wasser aufzufüllen und es so schaffte, eine fast 800 Euro teure Kaffeemaschine kaputt zu machen, beim Versuch, dem Bürgermeister von Rotorua einen Caffè Latte zu servieren. Ich kann nicht gerade sagen, dass ich zuversichtlich war.

Gemahlene Bohnen „Macht einen schönen Hügel in der Mitte eures Korbs", sagte der Workshopleiter mit seinen immer größer werdenden Nasenlöchern und seiner elastischen, am Knie zerknitterten Jeans. Anscheinend muss es schön gleichmäßig und glatt sein, ansonsten rinnt das Wasser am Rand durch und dein Kaffee wird nach dünnem, wässrigen Hundeatem schmecken.

Die Schmerzgrenze Um die Milch bei richtiger Temperatur aufzuschäumen, musst du zuerst herausfinden, wie heiß du ein Metallgefäß machen kannst, bevor du dir die Hand verbrennst. Ich schaffte ungefähr 37°C, was ziemlich schlecht ist und auch ein bisschen überraschend, wenn ich daran denke, dass mein Vater früher meine wackligen Zähne mit einer Beißzange ausriss. Einmal habe ich auch versucht, meinen eigenen Fuß wieder zusammenzunähen, nachdem ich auf einen rostigen Nagel gesprungen war. Nichtsdestotrotz, warme, schaumige Milch ist warme, schaumige Milch—und ich werde einen guten Milchschaum sicher nicht von meinen Nervenendungen versauen lassen.

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Latte Art Ich habe immer geglaubt, jeder der die Zeit hat, deine Tasse Kaffee zu einer Trompe l'Oeil-Interpretation eines Ahornblatts zu machen, hätte keine Ahnung von Endlichkeit. Solche Leute mussten wohl noch nie einen Bagel essen, während sie in den nächsten Gang schalteten. Sie müssen sich wahrscheinlich auch nie zwischen pinkeln und Zug erwischen entscheiden. Die nehmen am Morgen erst einmal ein Bad. Und trotzdem stand ich hier und goss einen dünnen Schwall dicke, warme Milch in eine Tasse Kaffee und versuchte verzweifelt ein Herz zu formen, als eine Frau mit Kurven wie Venus von Willendorf zu mir sagte, ich solle den Boden mehr kippen. Ich kann nicht unbedingt sagen, dass es das erste Mal wäre, dass mein Herz gemeiner, kleiner, weniger beeindruckend und ein weniger einladender Anblick, als die der anderen war. Und es wird auch sicherlich nicht das letzte Mal sein.

Aber gut, wenigstens hat mir jemand gezeigt, wie man einen Schwanz aus Milchschaum macht.