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Foodfestival

Stadt Land Food—ein distanzlos gutes Festival

Für den erstaunlich guten Kimchi Burger stehen Berliner Hipster Schlange–obwohl man ihn nicht essen kann. MUNCHIES hat das Stadt Land Food Festival unter die Lupe genommen.

Für den erstaunlich guten Kimchi Burger stehen Berliner Hipster Schlange—obwohl man ihn nicht essen kann. Kochbuchautorin Bianca Gusenbauer war für MUNCHIES auf dem Berliner Stadt Land Food Festival und zieht Bilanz.

In Berlin fand vom 2.-5. Oktober 2014 erstmals, rund um die hippe Markthalle IX in Kreuzberg das „Festival für gutes Essen und gute Landwirtschaft" statt. Ein durchaus provokativ normativ geratener Untertitel für den verspielten Festivalnamen „Stadt Land Food". Was ist denn nun „gutes" Essen und was „gute" Landwirtschaft? Und wer bestimmt das? Die Antworten darauf galt es während der Festivaldauer für sich selbst herauszufinden.

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Das mächtige Festivalprogramm, das innerhalb von wenigen Monaten von vielen engagierten Freiwilligen auf die Beine gestellt wurde, umfasste neben Impulsgesprächen, Präsentation, Filmvorführungen und Kochkursen auch verschiedene Workshops zur Lebensmittelerzeugung. Gemeinsames Ziel aller Veranstaltungen und Beteiligten war jedoch eines: das Durchbrechen bzw. Hinterfragen der aktuellen Lebensmittelsituation sowie die Reduktion der Distanz zwischen Produzenten und Konsumenten.

Kein großer Hokuspokus, sondern Alltägliches wurde an diesen Tagen geboten. Denn die Hauptrollen spielten Lebensmittel wie das täglich Brot, Wurst und Käse. Dass Käse nicht immer in Scheiben und analog produziert wird, sondern tatsächlich aus Milch bestehen und am ganzen Stück reifen kann, war dem Zielpublikum wohl auch schon vorher bekannt gewesen, da das Festival an allen Käse-Scheibletten-Fans mit Sicherheit spurlos vorbei gegangen ist. Ein gewisses Vorwissen und auch eine geistige, aber auch monetäre Bereitschaft bzw. Möglichkeit, für „gute" Lebensmittel durchschnittlich mehr Geld auf den Tisch zu legen, war die Voraussetzung. Denn im näheren Umkreis der Markthalle IX wussten viele Bewohner nicht einmal über deren Existenz und ja, die Zielgruppe waren nicht die Normalos in Kreuzberg, sondern wir: die Bobos.

Das Festival stimulierte alle Sinne und selbst Nicht-Hungrige ohne Einkaufsabsichten mussten beim üppigen Angebot zuschlagen. Das Auge wurde mit schönen Lebensmitteln von kleinen und engagierten Lebensmittelproduzenten belohnt, die in den Straßen rund um die Markthalle ihre Zelte aufgeschlagen hatten. Duftendes Brot, beeindruckend große Käselaibe, Würste frisch in den Darm gefüllt, schöne Kuchen und Torten, geschmacksintensive Öle, aromatisches Bier sowie eine feine Selektion an Wein wurden zur Schau gestellt. Aber ist immer alles gut, nur weil es schön aussieht und in kleinen Mengen produziert wird? Nein, das ist es nicht, aber Authentizität, die Nähe des Produzenten zu seinen Rohstoffen und eine große Leidenschaft für die eigenen Produkte überzeugen im Gespräch meist vor der guten Qualität der dargebotenen Ware.

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Auch unser Geruchsorgan wurde bei Stadt Land Food durch viele aromatische Duftströmungen ordentlich gefordert. Gerade präsentierte der Metzgermeister noch in der mit durchsichtigem Plastik verhangenen Wurstwerkstätte über Mikrofon für die interessierten Zuhörer die Zutaten und Gewürze für seine Bratwurst, schon wurden die frischen Würste vor der Markthalle auf den Grill geworfen. Strategisch gut beim Eingang positioniert, entkam keiner der von Grillaromen geschwängerten Luft, sondern man reihte sich aufgeregt und in Vorfreude in die lange Warteschlange der Wurstliebhaber ein.

Nur wie es in Berlin hipp sein kann, wurde am Festival Pulled Meat in mehreren Varianten angeboten. Optisch an ein im Schnellkochtopf übergartes Fleisch erinnernd, wurde es zerfranst und in Saft triefend beispielsweise auf getoastetem Brot oder auch mit Kimchi in frittierten Nudelbuns serviert. Für den sauberen und optimalen Genuss wird jedoch entweder ein Latz benötigt oder aber muss auf die gute Kinderstube vergessen werden: denn das Essen darf nicht zum Mund, sondern der Mund muss zum Essen geführt werden. Auch wenn das Brot innerhalb kürzester Zeit völlig durchweicht ist und der Nudelbun aufgrund seiner Höhe einem ein Kiefer-Stretching abverlangt, können beide Pulled Meat-Varianten zwar hinsichtlich Esskomfort und Optik nicht punkten, aber schmeckten summa summarum doch erstaunlich gut.

Eine große Genussfreude machte hingegen das feine Weinangebot in der Sonne und auch die Weinverkostungen in der Markthalle, die allesamt in eleganten Weingläsern serviert wurden. Lediglich beim Craft Beer verstand man die deutsche Pfand- und Recycling-Welt nicht mehr. Das Bier so frisch fruchtig hopfig, dass man fast in Aufregung geriet, wurde lapidar in billigen Einweg-Plastikbechern serviert. Auch dem Bier sein Glas, fordern wir, da sowohl das Auge als auch die grüne Seele mittrinkt.

In den Esspausen standen engagierte kulinarische Menschen auf der Bühne und begeisterten sich für alte Sorten oder diskutierten kritisch Entwicklungen in der Lebensmittelproduktion. Mehrere Tage wurde man am Stadt Land Food gut unterhalten. Gut und distanzlos war es, genauso wie ein kritisches Genuss-Festival sein soll. Denn nur mit mehr Genuss im Alltag und nicht nur mit erhobenem Zeigefinger kann die Lebensmittelwelt auch wieder gut werden.

Fotoquelle: Bianca Gusenbauer