Ganz ehrlich, Freunde, ich find’s ursuper, dass ihr euch alle so über die Wahlergebnisse freut. Gleichzeitig hat die FPÖ trotzdem massiv zugenommen, weswegen ich nicht denke, dass das irgendein großartiges Zeichen war. Es ist problematisch, dass jetzt einfach alle erleichtert sind und sich zurücklehnen und wir uns alle gegenseitig auf die Schultern klopfen. 31 Prozent sind ein Schlag in die Fresse.
Gemischte Gefühle empfinde ich, wenn ich über das vorläufige Wahlergebnis nachdenke. Einerseits wird mir warm ums Herz, wenn ich in meinem Newsfeed den ganzen Sonntag nur Sachen lese wie: „Im übrigen bin ich der Meinung, dass wer heut nicht wählen geht ur blöd ist und wahrscheinlich nach Seppelhose stinkt”, „nach der Wahl ist vor der Wahl, geh wählen”, „Ich hab fuck FPÖ auf die Wand der Wahlkabine geschrieben, eh OK oder?” oder ein einfaches „Auch, wenn du restfett bist, geh mit Hirn wählen”. In solchen Momenten habe ich dann das Gefühl, dass ich inmitten von Menschen lebe, die sich deutlich gegen Rassismus und Ausgrenzung und für einen menschengerechte Politik aussprechen.
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In den letzten Monaten haben uns ja täglich Meldungen erreicht—und tun es nach wie vor—, von denen eine schockierender ist als die andere. Zuerst kamen Hercules-Maschinen, katastrophale Zustände in Traiskirchen, geschlossene Grenzen und die Kriminalisierung von FluchthelferInnen. Doch dann gab es einen Zeitpunkt, an dem die Zivilgesellschaft endlich verstanden hat, dass es so nicht weitergehen kann.
Warme Suppen wurden gekocht und zum Hauptbahnhof gebracht, Bilder von vermissten Refugees wurden auf Social-Media-Kanälen geteilt und 70.000 Menschen gingen Anfang Oktober auf die Straße, um zu zeigen, dass wir vor einer Situation stehen, die nicht einfach mit Grenzschließungen gelöst werden darf. Wir haben endlich verstanden, worum es gerade geht: Das alles ist kein Event, es ist kein Gossip, sondern es sind Menschen, die ihr Zuhause hinter sich gelassen haben, wochenlang unter schlimmsten Bedingungen geflohen sind und sich nun ein besseres Leben erhoffen.
Andererseits trennen sich die Wege ab hier dann aber auch schon, denn 32 Prozent haben sich heute gegen ein gemeinsames Miteinander ausgesprochen. Diese Menschen propagieren Rassismus vielleicht (noch) nicht offensichtlich, sie tragen auch keine „Ausländer raus”-T-Shirts, sie sind aber der Nährboden und somit die Bestätigung für all jene, die das tun. Die SPÖ mit ihren 39 Prozent liegt da aber nicht sehr weit vorne. Gesiegt haben sie heute nicht, das muss an dieser Stelle gesagt werden.
Jetzt, nach der Wahl, lese ich ein Happy-Peppi-Posting nach dem anderen: „Danke Wien”, „Wien ist doch lebenswert”, „Jawohl!”. Ich frage mich, wofür sich meine Social-Media-Freunde heute bedanken. Ich erinnere mich an Zeiten, als ich schockierter war denn je, als die FPÖ 21 Prozent erreichte—und heute soll ich mich also gemütlich auf meiner Couch zurücklehnen und mich bei Wien bedanken, dass es „nur” 31 Prozent sind? Irgendwie schräg.
Seit wann geben wir uns damit zufrieden, dass die FPÖ so knapp unter der SPÖ liegt? Ich erinnere mich an Zeiten, als ich schockiert war, wenn die FPÖ 21 Prozent erreichte.
Seit wann geben wir uns damit zufrieden, dass die FPÖ knapp unter der SPÖ liegt? Wir können uns gegenseitig auf die Schultern klopfen soviel wie wir wollen, aber das aktuelle Wahlergebnis ist kein Erfolg, sondern einfach nur keine Katastrophe. Ob ich mit so einem Ergebnis zufrieden schlafen gehen kann? Ich glaube nicht, nein.
Christine Nöstlinger hat am 1. Mai dieses Jahres in ihrer Gedenkrede im Parlament von einer achten Hautschicht gesprochen: „Über den allgemein bekannten sieben Hautschichten hat der Mensch als achte Schicht: eine Zivilisationshaut. Mit der kommt er nicht zur Welt, die wächst ihm erst ab der Geburt. Dicker oder dünner, je nachdem wie sie gepflegt und gehegt wird. Versorgt man sie nicht gut, bleibt sie dünn und reißt schnell auf. Was aus den Rissen wuchert, könnte zu Folgen führen, von denen es dann wieder ein mal heißt: das hat doch niemand gewollt.”
Im diesem Sinne rate ich einfach nur, sich darüber Gedanken zu machen, ob die Zivilisationshaut ernährt, gepflegt und gestärkt ist, wenn man das Wahlergebnis am 11. Oktober großartig gefunden hat.