„Ey du, du bist nichts als ein dreckiger Nigger.”
Der Puck war noch nicht mal im Spiel, da wurde Valmore „Val” James schon von jemandem aus dem Publikum beschimpft.
Videos by VICE
„Du Nigger! Wer hat dir gesagt, dass es OK ist, wenn ein Nigger Eishockey spielt?”
Mit diesen Worten eines weißen Zuschauers fand James’ Vorfreude ein jähes Ende. Er war gerade mal 14 Jahre alt, ein Kind, das für das Team der Long Island Ducklings Bantam All-Star spielte—ein Teenager, der endlich die Chance auf Auswärtsspiele bekam. Die Chance auf richtiges Eishockey mit langen Busreisen und Mehrbettzimmern zusammen mit seinen Freunden. Es hätte für den Sohn eines Nachwächters, der erst ein Jahr zuvor zum ersten Mal auf Schlittschuhen gestanden hatte, eigentlich nicht besser laufen können.
Und nun stand James mit seinem Team im Turnierfinale und bereitete sich innerlich auf das große Spiel vor, als er genau diese Worte hören musste. Er konnte sie nicht aus dem Kopf bekommen. Er hat diese und die unzähligen späteren Beleidigungen nie begreifen können, hatte er doch niemandem etwas getan. „Warum hassen mich all diese Menschen?”
Später wurde Val James zum ersten schwarzen US-Amerikaner in der National Hockey League, als er 1982 für die Buffalo Sabres aufs Eis durfte. Doch auch in der höchsten amerikanischen Eishockey-Spielklasse hat er eine Sache schnell begriffen: Egal was er macht, wohin er geht und wie er spielt, für die johlenden Zuschauer würde er immer der „Nigger” bleiben. Er erinnert sich noch ganz genau an seinen Weg als NHL-Profi und all die rassistischen Beschimpfungen, denen er in den Hallen des Landes schutzlos ausgeliefert war und über die er in seinem in Kürze erscheinenden Buch Black Ice berichten wird.
„Stell dir die schlimmste und schmerzhafteste Beleidigung vor, die man dir an den Kopf werfen könnte”, sagt James, der mittlerweile 59 Jahre alt ist. „Und dann stell dir vor, dass du sie während des Spiels alle drei Sekunden hören musst. In jedem Spiel. Und das zehn Jahre lang. Genau so hat sich das für mich angefühlt.”
1960, als James drei war, sind seine Eltern aus Florida nach Long Island gezogen, in der Hoffnung, dass ihr Sohn nicht dieselbe Diskriminierung durchmachen muss, die sie selber im Süden der USA erleiden mussten. „Florida war damals noch echt Deep South, so war auch noch Jim Crow am Leben“, sagt er. „Man wurde dort einfach nicht wie ein Mensch behandelt.” Seine Eltern hofften, dass sich ihr Sohn im Norden nicht auch wie ein Stück Eigentum fühlen müsse.
Sie bezogen in Long Island eine Einzimmerwohnung in einer weißen Nachbarschaft. James bekam schon bald fünf kleine Geschwister. Doch bis er zehn war, hatte die Familie weder Strom noch fließend Wasser. Dann bekam sein Vater—der jahrelang als Erntehelfer gearbeitet und Gelegenheitsjobs angenommen hatte—eine Stelle als Nachtwächter in der Long Island Arena.
James verbrachte ein paar seiner schönsten Kindheitstage in dieser Arena. Er musste zwar auch hier und da hart anpacken—zum Beispiel mit der Schaufel hinter der von seinem Vater gefahrenen Eismaschine—doch dafür bekam er immer Karten für die besten Plätze bei Heimspielen der mittlerweile aufgelösten Long Island Ducks. Und er hatte etwas, was fast kein anderes schwarzes Kind in den 60ern (fast) sein Eigen nennen konnte—eine Eisbahn zum Schlittschuhfahren.
James perfektionierte sein Eislaufgeschick in den späten Abendstunden, wenn die Halle leer war. Am liebsten versuchte er, Timber, dem Dobermann der Familie, mit schnellen Finten auszuweichen. Er dachte sich, wenn er es mit einem hungrigen Hund aufnehmen könne, dann müsse er sich auch nicht vor den stärksten Typen auf dem Eis fürchten.
Doch nichts davon bereitete ihn auf das vor, was ihn in den Arenen erwarten würde. Eine schmerzhafte Lektion, die nicht nur James, sondern auch schon seine wenigen Vorgänger lernen mussten.
1958 stand der Kanadier Willie O’Ree als erster schwarzer Spieler in einem NHL-Spiel auf dem Eis, und zwar im Trikot der Boston Bruins, wo er aber nur für zwei Saisons bleiben durfte. O’Ree erzählte oft davon, wie er sich während der Spiele Anfeindungen wie „Geh zurück in den Süden” und „Warum pflückst du nicht Baumwolle?” anhören musste.
Nach O’Ree musste die NHL weitere 13 Jahre warten, bis erneut ein schwarzer Spieler das Eis betrat. Wieder war es ein Kanadier, Mike Marson, der 1974 für die Washington Capitals spielte. Marson erzählte Cecil Harris, dem Autor von Breaking the Ice: The Black Experience in Professional Hockey, dass ihn der ganze Müll, den er wegen seiner Hautfarbe über sich ergehen lassen musste, sehr zugesetzt habe. Schmähgesänge à la „Geh nach Hause, Nigger!” waren sogar noch in den späten 70ern keine Seltenheit. Er erzählte, dass er regelmäßig hasserfüllte Post von sogenannten Eishockeyfans bekam. An einen Brief konnte er sich noch ganz genau erinnern. Denn dessen Botschaft lautete: „Du bewegst dich auf ganz dünnem Eis, Schwarzer. Der Nigger wird sterben, wenn er weiterhin denkt, dass er etwas in einer Sportart von Weißen zu suchen hat.”
Marson spielte fünf Jahre für die Capitals, bis seine NHL-Karriere dort endete. Die Capitals hatten 1974 auch Bill Riley gedraftet. Er sollte der dritte schwarze Spieler in der Geschichte der NHL werden. Doch er bekam während der ganzen Saison nur einen einzigen Einsatz. Zwischen 1958 und 1988 haben gerade einmal 15 schwarze Spieler den Sprung in die NHL geschafft. Die meisten von ihnen hatten äußerst kurze Karrieren und wurden weitestgehend von der überwiegend weißen Medienlandschaft ignoriert.
Und genau das ist auch der Grund, warum James’ Leistung so hervorsticht—denn er war nicht nur schwarz, sondern auch ein schwarzer US-Amerikaner in einem kanadischen Sport. Als er nach Midland, einer kleinen Stadt zwei Stunden nördlich von Toronto, zog, um sich dort für Jugendligen zu empfehlen, wurde James schnell klar, dass er der einzige schwarze Amerikaner der Stadt war und dass er im Endeffekt fast nichts gegen die Stereotypen tun konnte, die man mit Schwarzen aus den USA verband.
„Ich kämpfte an zwei Fronten gleichzeitig”, erzählte er mir am Telefon. „Erstens war ich ein Amerikaner, der einen kanadischen Sport ausübte, was zu der Zeit vielen Kanadiern gegen den Strich ging. Und zweitens war ich schwarz.”
Trotz aller Hindernisse fiel es James nicht schwer, Freunde in seiner Mannschaft, dem Jugendteam Midland Flyers, zu finden, weil er bereit war, für seine Teamkameraden dahin zu gehen, wo es wehtut. Doch es erwies sich als deutlich schwieriger, die Fans dazu zu bringen, einen schwarzen Teenager zu mögen. „Für die war ich als Schwarzer automatisch eine Person, die eine Waffe mit sich rum trägt, ein Gangster, der mit Drogen dealt. Ich musste die Leute erst davon überzeugen, dass ich diesem Stereotyp nicht entsprach”, sagt er. Leider stieß er trotz bester Bemühungen oft auf taube Ohren.
Als er dann im Trikot der Remparts de Québec in einer kanadischen Jugendliga auf dem Eis stand, musste er die traurige Erkenntnis machen, dass man „in Französisch, der schönsten Sprache der Welt, für ‚Nigger’ noch immer ‚Nigger’ sagt.”
„Die Situation ist ziemlich pervers, wenn du dich fragen musst, ob es dir besser gehen würde, wenn du schon früher—also bevor du mit dem Eishockeyspielen begonnen hast—häufiger als ‚Nigger’ beschimpft worden wärst”, ergänzt er.
Auf dem Weg zu Auswärtsspielen—während sich seine Mitspieler mental auf den nächsten Gegner einstellten—musste sich James auf etwas ganz Anderes vorbereiten: den Hass, der ihm aufgrund seiner Hautfarbe von den Zuschauerrängen entgegenschlagen würde.
Die Situation veränderte sich auch dann nicht für James, als er 1978 in die USA zurückkehrte, um in der Northeastern Hockey League für die Erie Blades zu spielen. Die Zuschauer winkten mit Bananen, warfen Chicken Wings aufs Eis und provozierten ihn mit hochgehaltenen Wassermelonen. Bei einem Spiel in Johnstown, erinnert sich James, zeigte ein gegnerischer Fan ein lebensgroßes Poster mit einer affenähnlichen Figur, die einen Speer im Arm hielt.
Er beklagt, dass es unmöglich war, das Publikum zum Schweigen zu bringen. Aber er tat alles Mögliche, um zumindest seine Gegner auf dem Eis ruhig zu stellen. Er war bekannt für sein hartes (aber nicht überhartes) Spiel, und viele seiner Mitstreiter erinnern sich, dass James ein Spieler war, der als Enforcer keinen Zweikampf gescheut hat, aber dabei stets fair blieb. Der ehemalige Trainer der Erie Blades, Mike Caron, schrieb über James: „Es gab zu der Zeit viele harte und zähe Spieler in der Liga. Viele Schwergewichte. Doch Val James war der beste von ihnen. Keiner war stärker.”
Bei einem Auswärtsspiel der Buffalo Sabres in der Saison 1981-82 im Boston Garden ist besonders gut deutlich geworden, was Caron mit seiner Aussage über James gemeint hat. An jenem Tag im Jahr 1982 stand ihm der legendäre Bruins-Enforcer Terry O’Reilly gegenüber. O’Reilly trug den Spitznamen Bloody O’Reilly, weil er nicht nur besonders unfair in die Zweikämpfe ging, sondern außerdem eigentlich jede Schlägerei auf dem Eis zu seinen Gunsten entschied. An dem Abend hat ihn James gleich zweimal aufs Eis geschickt—mit seinen Fäusten.
Doch das Spiel im Boston Garden führte auch zu dem wohl traurigsten Moment in der Karriere von Val James. Denn nach Spielende blockierte ein wütender Mob den Teambus der Sabres. Dutzende von Menschen brüllten „Schickt den Nigger raus!”. Dann warf jemand eine Bierflasche gegen den Bus und zerstörte dabei die Frontscheibe. James, der sich seit fast einem Jahrzehnt darin geübt hatte, Vorfälle dieser Art nicht an sich rankommen zu lassen, konnte an jenem Tag seine Emotionen schließlich nicht mehr kontrollieren. Tränen liefen ihm über sein Gesicht.
Das nächste NHL-Spiel hat James erst wieder in der Saison 1986-87 bestritten, als ihn Trainer-Star John Brophy zu den Toronto Maple Leafs holte. Er kam aber ingesamt nur zu vier Einsätzen. Als er gegen Ende seines Vertrags Geschäftsführer Gerry McNamara mitteilte, dass er auch mal auf anderen Positionen eingesetzt werden wolle, soll der ihm laut James wie folgt geantwortet haben: „Solltest du auch nur versuchen, den Puck zu berühren, werde ich dafür sorgen, dass du für ein so unbedeutendes Team spielen wirst, dass alle denken, du seist komplett von der Eishockeybühne verschwunden.”
James schreibt in seinem Buch, dass an jenem Tag ein Großteil seiner persönlichen Ambitionen verloren gegangen sei.
Doch trotz der vielen Diskrimierungen und Bedrohungen, die seine Karriere überschattet haben, hat seine Liebe für den Sport nie aufgehört. Ganz im Gegenteil. Denn als ich von ihm wissen will, ob er bereit wäre, trotz aller Schikanen und Schmähungen denselben Weg noch einmal zu gehen, schießt es aus ihm raus: „Jederzeit”.