Kendrick Lamar hat gestern den ersten Track von seinem Nachfolger zu good kid, m.A.A.d city veröffentlicht. In Anbetracht der „Control“-Kontroverse und der Menge an Feature-Auftritten (wie diesem, diesem und diesem), die in der Zwischenzeit entstanden sind, sind zwei Dinge sicher: Absolut jeder, der den Track noch nicht gehört hat, wird komplett durchdrehen.
Die Veröffentlichung eines neuen Kendrick-Tracks kann man mit monumental beschreiben—so viel ist sicher. In nicht einmal 24 Stunden hat der Song schon weit über 2 Millionen Plays zu verzeichnen und innerhalb weniger Minuten nach Veröffentlichung hatten ihn schon alle namhaften Publikationen gepostet.
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Der Track ist anders als alles auf good kid, m.A.A.d city—er passt tatsächlich besser neben seinem neueren Feature in Eminems „Love Game“—und aus diesem Grund werden sich viele Menschen aufregen oder wenigstens enttäuscht sein. Aber was habt ihr auch erwartet? Kendrick ist ein Künstler, oder nicht? So steht es jedenfalls in den ganzen Titelstorys und Jahresendlisten, in denen er aufgetaucht ist. Es gibt also keinen Grund, rumzujammern, wenn er sich, wie ein Künstler das eben tut, weiterentwickelt. good kid, m.A.A.d city war anders als Section 80 und auch beim kommenden Album wird das nicht anders sein.
Das wirklich Besondere an „i“ ist allerdings die Thematik.
Jedes Album von Kendrick Lamar hat seinen ganz eigenen Vibe. Das Konzept von Section 80 dreht sich um Menschen, die in den 80ern großgeworden sind und es handelt von ihren problematischen Lebensumständen: von der Crackepidemie, von einer hohen Toleranz gegenüber Medikamenten, von Rassismus und von persönlichen Entbehrungen—alles erzählt durch die Geschichte zweier Mädchen namens Tammy und Keisha. good kid, m.A.A.d city setzte sich wiederum damit auseinander, welchen Einfluss seine Jugend in Compton auf Kendrick gehabt hat. Beiden Alben gingen Singles voraus, die schon einen Vorgeschmack auf die jeweiligen Themen gaben: „HiiiPoWeR“ (Section 80) setzte sich mit Rassismus und Armut auseinander (PoWeR steht für Poor We Are) und „The Recipe“ (GKMC) dreht sich um Kalifornien und das Bedürfnis „to be the one, to peak the chart“. Wenn man sich also anschaut, wie er die Sachen bislang immer angegangen ist, kann man mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass uns „i“ bereits ein paar Hinweise darauf gibt, was von dem neuen Album zu erwarten ist—nicht nur was den Sound, sondern auch was das Konzept angeht.
Das Intro—das von einem Pastor vorgetragen wird— ist ein direkter Bezug auf „Real“, dem Track, der die Narrative von good kid, m.A.A.d city abschließt und die Frage stellt „what’s love got to do with it, when you don’t love yourself“. Der Chorus in „i“ wiederholt immer wieder die Line „I love myself“—beinhaltet aber auch Referenzen an Waffen in der Hood, Polizistenmobs und dem Krieg auf der Straße—und suggeriert so, dass die Erzählung des neuen Albums an die von good kid, m.A.A.d city mit einem fröhlichen Trällern anschließen wird. Der Refrain lautet, „[the city] can do what it wants but I don’t mind”—wenn du mit dir selbst in Frieden lebst, kannst du nämlich auch mit der Welt um dich herum in Frieden leben.
Das ist ziemlich progressiv. Viel West-Coast-HipHop dreht sich darum, sich gut zu fühlen. Dieses Gefühl wird in der Regel aber mithilfe von externen Dingen erzeugt: Geld, Frauen, Drogen, Macht. Kendricks Song dagegen dreht sich einzig und allein um den Glauben an sich selbst. Es geht darum, dass es in einer von „guns“, „police“ und „war“ gebeutelten Stadt am wichtigsten ist, sich wohl zu fühlen und auf sich selbst achtzugeben. Er ist quasi ein wandelnder Selbsthilferatgeber.
Die religiöse Färbung mit der Einführung des Pastors—und den späteren Anspielungen auf „walking barefoot“—erweckt fast das Gefühl, als würde Kendrick eine Predigt halten. Er sagt, dass die Zeit dafür gekommen sei, dass mehr Menschen an sich selber glauben und versuchen, etwas Positives zu erschaffen. Er sagt seiner Gefolgschaft, dass es ihnen nicht an Selbstvertrauen fehlen soll, da die Stadt zum ersten Mal seit Ewigkeiten nicht mehr anonym ist.
Das—und die Tatsache, dass einer der größten HipHop-Künstler überhaupt, einen Track veröffentlicht hat, der sich auch nicht schlecht als musikalische Begleitung zu einem Werbefilm für die NBA machen würde—zeigt uns, dass im HipHop neue Zeiten anbrechen. Künstler können heutzutage tun, was auch immer sie wollen, sie müssen sich nicht weiter von Klischees, bestimmten Sounds und Stereotypen einschränken lassen. Das wird auch noch einmal dadurch hervorgehoben, dass der Pastor Kendrick sich mit den Worten „a writer, an author“ vorstellt—und eben nicht „a rapper“.
In einem Interview mit dem XXL-Mag, das er zwischen Section 80 und GKMC gab, sagte Kendrick Folgendes: „Ich kann nicht sagen, wo ich soundtechnisch oder anderweitig in fünf Jahren stehen werde, was meine Musik angeht.“ Und weiter: „Verglichen mit meinem letzten Projekt ist das Neue sehr anders.“
Vielen Menschen wird der neue Kendrick-Track nicht gefallen, wie aber auch bei allem anderen, was er bislang veröffentlicht hat, wird das Album und auch die, die danach kommen werden, die Zukunft des HipHop weiter maßgeblich mitbestimmen.
Jetzt noch einmal ganz deutlich: Das ist das Beste, was ich diese Woche gehört habe. Charlamagne hat Recht.
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