Politik

Wie die CDU in Sachsen-Anhalt nach rechts kippt, geht uns alle an

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Für viele war es damals ein rechter Haken in den Magen. Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt kam die AfD fast auf ein Viertel aller Stimmen. Die CDU holte zwar noch fünf Prozent mehr, musste anschließend aber mit SPD und Grünen koalieren. Ein Experiment und ein hoher Preis für alle drei Parteien – nur um die AfD von der Macht fernzuhalten und die Demokratie zu wahren.

Drei Jahre ist das her. Nun wackelt die Koalition im Versuchslabor Sachsen-Anhalt. Nicht zum ersten Mal. Wie sich die CDU jetzt verhält, könnte darüber entscheiden, wie viel Macht die AfD in ganz Deutschland tatsächlich bekommt. Ob schwarz-rot-grüne Regierungen, wie sich derzeit auch in Brandenburg und Sachsen bilden, Streit und Nerven wert sind. Oder ob sie am Ende doch nur der AfD helfen. Dabei wäre die eigentlich ganz gut mit sich selbst beschäftigt, gäbe es eben nicht die CDU.

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Auslöser ist der Fall Robert Möritz. Möritz, seit 2018 in der CDU, ist Kommunalpolitiker in einem 230-Seelen-Dorf und Mitglied im Vorstand seines CDU-Kreisverbands. Geht es nach der CDU bleibt er das. Obwohl Möritz zugegeben hat, 2011 als Ordner an einer Neonazidemo teilgenommen zu haben.

Der damals 21-jährige Möritz trug dabei Merch einer rechten Skinhead-Band. Bis heute prangt das Tattoo einer Schwarzen Sonne auf seinem rechten Ellbogen. Die Schwarze Sonne ist ein rechtsextremistischer Code und wurde schon von der SS verwendet. Nicht von ungefähr erinnert das Symbol an mehrere übereinandergelegte Hakenkreuze oder Siegrunen.

Für Möritz gehört das alles zu einer Vergangenheit, mit der er längst abgeschlossen haben will. Er spricht von “Verirrungen”.

Bei der CDU Sachsen-Anhalt glaubt man ihm das und denkt offen über einen Bruch der Koalition nach. Nicht, weil man im Stillen über das eigene Verhältnis zu aktuellen und ehemaligen Rechtsextremisten workshoppen will. Sondern weil man sich nach teils harter Kritik von Grünen und Sozen ungerecht behandelt fühlt.

Im Fall Möritz fordern der Landesvorsitzende Holger Stahlknecht und der Generalsekretär Sven Schulze eine Entschuldigung von den Grünen. Ohne diese sei eine Fortsetzung der Koalition kaum denkbar, schreibt Schulze auf Twitter.

Sollte die Koalition zerbrechen, bliebe der CDU nur eine Zusammenarbeit mit der AfD.

Einigen käme das nicht ungelegen. Schon im Sommer hatten die CDU-Politiker Ulrich Thomas und Lars-Jörn Zimmer, beide stellvertretende Vorsitzende der Landtagsfraktion, eine Koalition mit der AfD angeregt. Wie weit sie dabei gedanklich waren, ist in einer Denkschrift nachzulesen, in der sie forderten, die CDU müsse “das Soziale und das Nationale” versöhnen.

Doch eine solche Koalition hat die Landes-CDU gerade erst wieder ausgeschlossen.

Bleibt also nur eine Alleinregierung der CDU, die ihre Vorhaben mithilfe der AfD durch den Landtag von Magdeburg bringt. Andersherum hat man darin bereits Übung.

Minderheitsregierung nennt sich sowas, was im Falle einer Kooperation von CDU und AfD ein denkbar unpassender Name wäre. Eine Politik, die sich (auch) für Minderheiten wie nicht-Weiße Menschen und Trans*, Schwule und Lesben einsetzt, also eben für Minderheiten, ist nicht zu erwarten.

Die AfD bekäme zwar keine Ministerposten, ohne vorherige Abstimmung ist es aber unwahrscheinlich, dass die CDU für ihre Anträge die Unterstützung von rechtsaußen bekäme.

Dabei steht es um den rechten Rand von Sachsen-Anhalt alles andere als gut. In Halle zerfällt das rechtsextreme Hausprojekt der Identitären Bewegung. Eine Demo im Sommer endete als Fiasko. Und seitdem die AfD im Magdeburger Landtag sitzt, interessiert sich auch die heute show für das oft unscheinbare Ost-Bundesland.

Immer wieder gibt es Streit in der Führung, mehrere AfD-Abgeordnete verließen die Fraktion. Höcke-Freund und Flügel-Mann André Poggenburg provozierte als Fraktions- und Parteichef mehrfach mit rassistischen Ausfällen. Die von ihm ins Leben gerufene Enquete-Kommission gegen “Linksextremismus” ist bislang ein Reinfall.

Poggenburg selbst hat die AfD schließlich verlassen, sie war ihm zu links. Als fraktionsloser Abgeordneter ist er in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Für die AfD Sachsen-Anhalt war das allerdings kein Grund, die Reihen nun zu schließen. Mitunter sollen sich die Rechtsausleger sogar geprügelt haben.

Damit erinnert die AfD an die DVU, jene rechtsextreme Partei, die 1998 schon einmal mit fast 13 Prozent in den Landtag von Sachsen-Anhalt einzog. Es war ein einmaliger Triumph, die Neonazis zerlegten sich in den nächsten Jahren selbst, heute ist die DVU Geschichte – wie ihre großen Vorbilder auch.

Das Beispiel Thüringen zeigt, warum sich die CDU nicht auf die AfD einlassen sollte

Bei der Europawahl im Frühjahr lag die AfD bereits deutlich unter dem Ergebnis von 2016. CDU, SPD und Grüne mögen in dieser Zeit keine großen gemeinsamen Projekte angeschoben haben, den Erfolg der AfD haben sie allerdings vorerst eingedämmt. Und die Frühaufsteher aus Sachsen-Anhalt pendeln morgens weiterhin munter nach Wolfsburg, Berlin und Leipzig.

Zumindest was die AfD angeht, funktioniert Schwarz-Rot-Grün. Ohne Not würde ausgerechnet die CDU die Blau-Braunen jetzt wieder stark machen.

Ein Abstecher nach Thüringen könnte bei der Entscheidungsfindung helfen.

Nach der Landtagswahl im Oktober hatte Björn Höcke dort CDU und FDP ein Angebot gemacht. Statt der Linken sollte künftig eine “konstruktive bürgerliche Kooperation” die Politik bestimmen: eine Regierung von CDU und FDP, mit dem Segen der AfD. Letztere wäre laut Höcke bereit, “grundsätzlich den Inhalt über personelle Ansprüche zu stellen”. Einige hochrangige CDUler hatten diese Option ebenfalls offen diskutiert.

Die Führungen von CDU und FDP lehnten dennoch ab. Eine gute Entscheidung, wenn man liest, was Höcke selbst später bei einem nichtöffentlichen Flügel-Treffen gesagt haben soll: “Wir haben die Union gelockt und wir haben dort zu einem Gärungsprozess beigetragen.” Nichts anderes als “taktische Spiele” seien das gewesen. Die AfD ist gar nicht an einer Zusammenarbeit interessiert. Sie will die CDU nur vor sich hertreiben und letztendlich als Steigbügelhalter benutzen.

Wie das in Sachsen-Anhalt schon jetzt funktioniert, zeigt der Umgang mit dem Verein “Miteinander”. Als der sich Anfang 2018 aus der sogenannten Meile der Demokratie zurückzog, fiel ihm die CDU in den Rücken. Generalsekretär Schulze drohte Miteinander offen damit, ihnen die Gelder zu entziehen.

Die Meile in Magdeburg wurde ursprünglich als Gegenveranstaltung zu großen Neonazi-Demos gegründet, die regelmäßig durch die Stadt zogen. 2018 hatte die AfD dort erstmals ihren eigenen Stand. Für Miteinander war das untragbar. Die AfD hatte zuvor mehrfach die Rechtmäßigkeit der Arbeit von Miteinander angezweifelt. Fast zwei Jahre später ist Miteinander nicht die einzige Organisation im Kampf gegen rechts geblieben, die von der AfD angegriffen wurde.

Miteinander berät in Sachsen-Anhalt unter anderem Gemeinden, wenn Neonazis im Dorf Rechtsrockkonzerte abhalten wollen, und erklärt Sozialarbeitern und Lehrkräften, wie sie mit Rechtsextremen unter den Schülern umgehen können.

Bei Miteinander kann man zudem lernen, wie man neonazistische Tätowierungen erkennt, etwa Schwarze Sonnen.

Offensichtlich hat in der CDU Sachsen-Anhalt lange niemand mehr eine Miteinander-Veranstaltung besucht. Beinahe genauso schwer wie ein möglicher Koalitionsbruch wirkt dabei der Umgang der CDU mit Robert Möritz’ Tattoo.

So ließ der Kreisvorsitzende der CDU Anhalt-Bitterfeld, Matthias Egert, wissen, Möritz habe nach eigenen Angaben nicht gewusst, was er sich da stechen ließ: “Er trägt das Symbol aus Interesse an der keltischen Mythologie.”

Natürlich kann es sein, dass Möritz die genaue Bedeutung und Geschichte des Symbols nicht kannte. Dass jemand, der bei Neonazi-Demos in Szenekleidung erschien, allerdings nicht gewusst haben will, zu welchem Gesamtpaket das Tattoo-Motiv gehört, wirkt wenig glaubhaft.

Bis zum Bekanntwerden seiner Vergangenheit war Möritz außerdem Mitglied bei “Uniter”. Der Verein für Menschen, die für Spezialeinheiten aus Polizei und Armee arbeiten, gilt als wesentliche Schnittstelle für ein rechtsextremes Netzwerk, das von Journalisten aufgedeckt wurde.

Ein Foto zeigt Möritz, wie er noch Anfang Dezember öffentlich für Uniter warb. Mittlerweile will er dort ausgetreten sein, so seine Partei.

Selbst wenn Möritz tatsächlich mit seinem alten Umfeld gebrochen haben sollte (weitere Postings aus seinen ehemaligen Social-Media-Profilen lassen den Schluss nur bedingt zu): Die CDU hat im Umgang mit ihm einmal mehr die Chance vertan, klar zu benennen, was ist, was nicht geht, was nicht sein darf. Stattdessen wird weiter gewurschtelt, nur um Wähler nicht zu verprellen.

So diskutieren viele in der Partei lieber, ob man Leute, die AfD wählen, “Nazis” nennen darf, als dass man sich proaktiv mit rechtsextremen Strömungen in der Bevölkerung auseinandersetzt. In dieser Denke kann man auch nicht den Rechtsextremismus verurteilen, ohne zwanghaft auf angebliche und echte Linksextremisten zu verweisen. So wie man jahrelang, wenn Neonazis mal wieder Menschen über Volksfeste gejagt hatten, öffentlich verkündete, dass Sachsen/Sachsen-Anhalt/Thüringen etc. doch “weltoffen” sei. Rassismus und Neonazismus werden so verharmlost.

In letzter Zeit ist ein weiterer Reflex hinzugekommen.

Als die AfD bei der letzten Bundestagswahl 13 Prozent der Stimmen holte, trendete auf Twitter #87Prozent. Nach dem rassistischen Unruhen in Chemnitz formierte sich die Bewegung “Wir sind mehr”. Auch die CDU möchte da gerne mitmachen.

Ein Jahr nach Chemnitz sagte Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer, das “freundliche Sachsen” habe die Landtagswahlen in Sachsen gewonnen. Obwohl die AfD mit fast 28 Prozent einen neuen Rekord aufgestellt hatte.

Wieder und wieder zu betonen, dass es ja eine demokratische Mehrheit jenseits der AfD gebe, funktioniert aber nur, wenn man sich auf die CDU verlassen kann. Wenn die mächtigste Partei des Landes nicht umfällt.

In Sachsen-Anhalt kann man sich da derzeit nicht so sicher sein.

Update vom 18. Dezember, 13 Uhr: In einer frühen Version schrieben wir, Möritz sei 19 Jahre alt gewesen, als er Ordner auf einer Neonazidemo war. So hatte er es selbst angegeben. Laut seinem Profil auf der Seite der CDU Anhalt-Bitterfeld muss er damals allerdings bereits 21 gewesen sein. Wir haben das korrigiert.

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