Können wir endlich aufhören, Schmerz mit Liebe zu verwechseln?

Es gab vor einigen Jahren einen Punkt in meinem Leben, an dem ich dachte, die ganz große Liebe gefunden zu haben. Was ich aber tatsächlich gefunden hatte, war eine äußerst effektive Art der Selbstverletzung. Ich hatte mich verliebt, verliebt in jemanden, der ebenso wie ich vor allem in das Verliebtsein verliebt war. Zusammengefasst kann man sagen, dass wir beide ziemlich dumm und grausam waren. Vor allem zu uns selbst.

Das Schlimmste an der Situation war aber nicht, dass wir uns ständig gegenseitig fertigmachten und zwischen cholerischem Wutanfall und tränenreichem Nervenzusammenbruch manchmal nur wenige Minuten lagen. Das Schlimmste war, dass wir damit nicht aufhören konnten. Denn nach all dem Schmerz, den durchheulten Nächten, den emotionalen Eruptionen und dem reuevollen Zurückrudern kam die Erkenntnis, dass das wohl Liebe sein müsste. Sonst würde man sich das ja nicht antun.

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Was früher vielleicht eine typische Teenie-Krankheit und auf das allgemeine Hormonchaos im pubertierenden Körper zurückzuführen war, scheint mittlerweile große Teile der Mittzwanziger ergriffen zu haben. Love is Pain, Wein an er Tankstelle ist gar nicht so teuer, wie man denken würde, und wenn man parallel zum nächtlichen Emotionsbesäufnis traurige Filmzitate auf Tumblr repostet, ist es noch nicht mal so, als würde man alleine trinken. Da draußen sind Abertausende andere Menschen, die nicht nur einsam, sondern auch hauptberuflich unglücklich sind. Man muss nur Begriffe wie „lonely”, „dark” oder „sad quote” in die Suchleiste eingeben.

Ist dieses fehlgeleitete Empfinden die Seuche einer ganzen Generation, die sich eigentlich sowieso nicht binden will, weil da draußen so viel anderes auf uns wartet? Sind unsere Eltern schuld, die sich immer häufiger scheiden lassen? Oder haben wir einfach einmal zu oft Grey’s Anatomygesehen und sind deshalb der festen Überzeugung, dass Liebe aufreibend, dramatisch, vor allem aber auch über alle Maßen schmerzhaft sein muss?

Im Fernsehen haftet selbst den unglücklichen Beziehungen immer irgendetwas Schönes an—und sei es nur der zum perfekten Moment einsetzende Song, den man noch während des Abspanns googlen muss. Im echten Leben musst du dich selbst um den Soundtrack kümmern. Wer keine tieftraurige Playlist irgendwo auf seinem Rechner versteckt hat oder tagelang dasselbe Lied auf Repeat hört, werfe den ersten Stein.

Auch gut: Weinend Liebesfilme mit Ryan Gosling ansehen.

„Hatte ich Big je wirklich geliebt, oder war ich nur süchtig nach dem Schmerz? Dem erlesenen Schmerz, jemanden haben zu wollen, der nicht zu haben war” sagt Carrie Bradshaw in Sex and the City. Ich komme nicht umhin, mich zu fragen, ob das nicht das zentrale Beziehungsproblem unserer Generation ist. Gleichzeitig sind es aber genau diese „Frauenserien”, die das Bild des schönen Leidens überhaupt erst kultivieren. Disney-Filme haben uns eine falsche Vorstellung von Liebe vermittelt? Immerhin hat Arielle ihrem Prinzen keine passiv-aggressiven Twitter-Nonmentions gewidmet, während sie das Adele-Album rauf und runter gehört hat.

Vielleicht sind wir aber auch gar nicht so medial brainwashed, wie es den Anschein hat. Vielleicht steckt dahinter auch eine ebenso einfache wie unsinnige Kausalkette: Wenn ich irgendeine starke Emotion zu einer Person habe, dann muss sie mir wichtig sein. Und wenn ich nicht in der Lage bin, exakt einzuordnen, was dahintersteckt, dann ist es wahrscheinlich dieses mysteriöse Ding namens Liebe. Und wenn ich dann auch noch genau diese Emotion nicht abstellen kann, auch wenn sie mir ausschließlich negative Gefühle bringt, muss es die ganz große Liebe sein, die es wert ist, darum zu kämpfen. Und wenn der Kampf gewonnen ist, werde ich belohnt—mit einer aufregenden, fantastischen Beziehung, die so viel tiefgehender und wertvoller ist als alles, was die Leute da draußen haben könnten, die sich nicht monatelang gequält haben.

„Die Mentalität dahinter lässt sich eigentlich mit unserem Verhältnis zu Arbeit vergleichen: Man denkt, dass man irgendwelche unsinnigen Anstrengungen vollbringen muss, weil man danach dafür belohnt wird”, erklärt Roland Michna, der als Beziehungs- und Sexualtherapeut in Berlin arbeitet. „Die Aussage ‚Ich brauche dich’ ist ein richtiger Angriff, das Gegenteil von Partnerschaft.” Womöglich ist dieses Leiden dann auch eine Handlung, die nicht selbstlos, sondern überaus egoistisch ist. Wir glauben, dass wir die ganz große, hollywoodreife Liebesgeschichte verdient haben. Genau so, wie wir fest davon überzeugt sind, dass die Welt an unseren YouTube-Videoblogs und Instagram-Selfies interessiert ist.

Es ist Zeit für uns, erwachsen zu werden und den Tatsachen ins Gesicht zu blicken. Wenn du alle traurigen Songs einmal zu oft gehört hast, und du zu müde bist, um bis spät in die Nacht hinein depressive Gedichtbände nach dem ultimativen Satz für deinen Tumblr-Blog zu durchforsten, dann setzt du dich irgendwann auf und fragst dich: Was zur Hölle ist eigentlich los mit mir? Wenn das Liebe ist, warum sollte das irgendjemand wollen und wieso glaube ich—unglücklich, einsam, und trotzdem irgendwie so sehr gebunden, dass es sich wie ein Gefängnis anfühlt—, dass ich und meine „Liebe” etwas Besseres sind als all die glücklichen Pärchen da draußen, die gemeinsam Brettspiele spielen und Fondue-Käse einkaufen?

Bei mir kam die große Erkenntnis mit einer Folge von Grey’s Anatomy. „Das war keine Liebe. Sie hatten nur Angst vorm Alleinsein, oder vielleicht war sie gut für Ihr Ego, oder vielleicht hat sie Ihr armseliges Leben ein bisschen verschönert. Aber Liebe war das nicht, weil keiner den zerstört, den er wirklich lieb hat”, brüllt eine der Hauptfiguren da in die Kamera. Und das ist bis heute eine der größten Wahrheiten über die Liebe und das Leben, die ich je gehört habe.

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