Popkultur

‘EMMA’s Islamfeindlichkeit ist genauso ekelhaft wie Kollegahs Sexismus

Kollegah vor einem EMMA-Logo

In Kollegahs Texten Sexismus zu identifizieren, ist einfacher, als einen Elfmeter ohne Torwart zu schießen. Es ist, wie einem Torwart dabei zuzusehen, wie er sich 90 Minuten die Bälle ins eigene Netz wirft und dazu breit grinst. Die Redaktion der EMMA hat es trotzdem vermasselt.

Zum ersten Mal kürt das feministische Magazin in diesem Jahr den “Sexist Man Alive”. Und tatsächlich gibt es wenige Personen, die härter für diese Auszeichnung gearbeitet hätten. Deren Verdienste für den deutschsprachigen Sexismus so bedeutungsvoll sind. Doch anstatt sich auf Kollegahs Alben, Videos und Interviews zu stürzen, beleidigt die EMMA in ihrer Laudatio nicht Kollegah – sondern alle Muslime. Die Autorinnen offenbaren ein Islam-Verständnis, das so veraltet ist, wie eine EMMA-Redaktion, die “Punchlines” als “steile Lines” bezeichnet.

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In der Urteilsbegründung heißt es: “So mancher meint, das mit dem Antisemitismus wäre ein Ausrutscher. Von wegen, Alter! Das hat System. Denn nach deiner katholischen Kindheit im Hunsrück bist du mit 15 zum Islam konvertiert. Wie das? Dein neuer Stiefvater ist Algerier ‘und da lag der Koran bei uns zuhaus rum’. Folge: Erleuchtung!”

Was ist für EMMA ein antisemitischer “Ausrutscher”?

Das System, das hinter Antisemitismus steckt, ist also der Islam als Religion. Und Kollegahs Glaubenswandel reicht der EMMA schon als Beleg, dass sein Antisemitismus eben kein “Ausrutscher” ist. Was würde das Magazin zu irgendeinem Eckkneipen-Norbert sagen, der morgens um vier Uhr an der Theke rumhitlert, dafür aber immer brav in der Weihnachtsmesse sitzt?


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Dabei hätte es völlig ausgereicht, bei Genius mal in seinen Lyrics die Begriffe “Huren” und “Frauenrechte” zu suchen. Schon auf dem “Boss der Bosse”-Tape 2006 rappte Kollegah: “Homos sagen, dass sie Rhythmus im Blut haben. Ich auch, ich schlag sie im Rhythmus zu Blutlachen.” Drei Jahre später drohte er der Rapperin Kitty Kat im Song “Fanpost”: “Du Kanisterkopffrau – und wieg dich hier mal nicht in Sicherheit, denn ich box’ auch Frauen wie dieser Christopher Brown”.

Rückblickend betrachtet wirkt es fast so, als wäre Kollegahs gesamte Diskografie ein einziger Bewerbungsbogen für den “Sexist Man Alive”. Auch Kollegahs Interview mit Leon Lovelock hätten die Redakteurinnen in die Laudatio einfließen lassen können. Auf die Frage, wie er die Rollenverteilung bei der Frau sehe, antwortet Kollegah feixend: “Möglichst wenige Speckrollen.” Am Ende des Videos zweifelt niemand mehr daran, dass die EMMA die richtige Wahl getroffen hat.

Doch die Redaktion will mehr, als einen Rapper des Sexismus zu überführen. Der EMMA geht es darum, eine ganze Religion unter Antisemitismus-Verdacht zu stellen. Für sie ist Kollegah die testosterongeladene Verkörperung eines scheinbar logischen Dreisatzes: Frauenfeind, Antisemit, Muslim.

EMMA tut so, als sei es die Regel, dass Jugendliche, die zum Islam konvertieren, glühende Frauenfeinde werden oder gegen Juden hetzen oder beides – so wie Kollegah. Dabei müsste gerade die Chefredaktion von EMMA, namentlich Alice Schwarzer, wissen, dass die Gruppen nie für das Versagen einzelner zur Rechenschaft gezogen werden. Man kann ja auch keine 15-Jährige EMMA-Abonnentin dafür ankreiden, dass sie als erwachsene Frau in der Schweiz Steuern hinterzieht oder eine Kolumne in der BILD-Zeitung schreibt.

Als wäre es nicht befremdlich genug, allen Muslimen Antisemitismus zu unterstellen, pickt sich die EMMA-Redaktion Kollegahs angebliche Verlobte heraus und nimmt sie in Sippenhaft: “Wie sie wohl aussieht, deine Verlobte? Ist sie verschleiert? Darfst etwa nur du sie sehen? Entschuldige, wir wollen dir nicht zu nahe treten. Das sind nur Fragen, die uns so durch den Kopf gehen.”

Nein, das sind eigentlich die Fragen, die Besuchern eines Pegida-Stammtischs durch den Kopf gehen. Und warum spricht EMMA nicht einfach Kollegahs “angebliche Verlobte” direkt an, wenn Sie sich so für ihr Leben interessiert? Stattdessen mutmaßt EMMA erst herum, und fordert dann Kollegah zum Mansplaining auf.

Nach dem Motto: Warum sollte die arme Frau reden dürfen, wenn sie eh von ihrem Vormund verschleiert wird oder das Haus nicht verlassen darf, weil Kollegah sie beschützt wie das wertvolle Porzellan der Großeltern?

Gerade noch rechtzeitig kriegt EMMA die Kurve und entschuldigt sich spöttisch. Natürlich nicht bei der Frau, die die Redaktion gerade als hilfloses Lämmchen ohne eigenen Willen dargestellt hat. Nein, natürlich beim Chef persönlich, wie es sich gehört. EMMA wolle ihm nicht zu nahe treten. So als gehe die Redaktion davon aus, dass man bei Muslimen immer brav den Mann um Erlaubnis fragen muss, wenn du etwas von der Frau wissen willst. Und sie hält sich auch brav daran. Das ist immerhin konsequent.

Und selbst wenn die EMMA-Redaktion mit ihren islamophoben Vorurteilen gegenüber Kollegahs angeblicher Partnerin Recht hätte, warum drischt man, entschuldige mensch, dann auf sie ein? Ein merkwürdiges Verständnis von Frauensolidarität.

Aber eigentlich ist es ja auch egal, denn in Wirklichkeit geht es ja nicht um Kollegah oder seine “Verlobte”. Es geht um den bewährten EMMA-Dreisatz: Frauenfeind, Antisemit, Muslim. Damit ködert das Magazin nicht zum ersten Mal Menschen, die bei Gewalt gegen Frauen immer an die Domplatte denken, aber niemals an das Schützenfest.

Kollegah wird sich wieder als Opfer einer anti-muslimischen Hetzjagd sehen

In Wirklichkeit hat die EMMA-Redaktion gar kein Interesse daran, mit dem Award junge Rap-Fans für Sexismus zu sensibilisieren. Oder unvoreingenommene Jugendliche dazu anzuregen, ihre Spotify-Playlisten neu zu ordnen. Die Muslime unter ihnen sind in der Logik von EMMA ja schon aufgrund ihrer Religion ungeeignet, sich am Kampf für Frauenrechte zu beteiligen.

Kollegah wird sich in seinen Verschwörungstheorien bestätigt sehen: In (seiner) Wirklichkeit ist er das Opfer einer anti-muslimischen Hetzjagd. Er wird den Award wie eine Auszeichnung ans Revers seines Pelzkragens heften.

Bei Instagram postete er ein Foto mit schlangengemustertem Halstuch und goldener Uhr und der Bildunterschrift “Sexist Man Alive”. Ein irrelevanter und nicht weiter erwähnenswerter YouTuber kommentierte: “In Europa vielleicht. Weltweit gehört mir dieser Titel”. 319 Usern gefällt das.

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