Kollegahs und Farid Bangs ‘JBG3’ wird hart gefeiert, ist aber vor allem problematisch

Dies ist ein Boykottaufruf. Ein Boykottaufruf ohne Aussicht auf Erfolg und im vollen Bewusstsein darüber, dass Boykotte zwar ein alltägliches politisches Mittel sind, aber immer auch einen totalitären Zug haben. Es geht allerdings in diesem Fall nicht um Plutonium aus dem Iran oder Obst aus Israel, sondern um Jung Brutal Gutaussehend 3, kurz JBG 3, das an diesem Freitag erscheinende Album von Kollegah und Farid Bang. Das Album hatte Goldstatus, noch bevor es releast wurde, über 50.000 Boxen haben sie laut eigener Aussage bereits verkauft. Ein Boykottaufruf ist also jetzt schon hoffnungslos, die eigene Niederlage bereits einkalkuliert. Nichtsdestotrotz ist dieser Aufruf nötig.

Im sagenumwobenen Internet herrschte zwei Tage vor Veröffentlichung am 01. Dezember helle Aufregung, als Songs des Albums verfrüht auf YouTube landeten und man die Texte nach wenigen Minuten bei Genius und anderen Plattformen lesen konnte. Dass der angebliche Leak nicht Teil der Promo war – schwer zu glauben. Und die Rapwelt tut, was im Hause Banger und Boss wahrscheinlich von ihnen erwartet wurde: Einen Tag vor der Veröffentlichung treten sie alle die “skandalösen” Lines in den Sozialen Medien freudig erregt breit. Der Verkaufsmotor wird erneut geschmiert und läuft weiter auf Hochtouren. Dabei ist ein Großteil der Lines nicht skandalös, sondern erwartungsgemäß stumpf, viel zu oft aber auch überraschend rassistisch und ekelhaft.

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Um eins von vornherein festzustellen: Ich möchte hier nicht die Antilopen Gang raushängen lassen. Als in Westberlin geborener und mit MOR, Bassboxxx und Orgi69 sozialisierter Rap-Fan habe ich keinerlei Probleme mit Texten unter der Gürtellinie, egal ob gegen Übergewichtige, jedwede Minderheiten, Männer, Frauen oder Transgenderfluide. Wenn sie witzig sind. Wenn sie eine doppelte Ebene haben. Wenn ich schmunzeln kann oder muss und sie mich irgendwie zum Nachdenken anregen. Es gibt – auch im Fall Kollegah und Farid Bang – keinen Grund, den Humor komplett abzuschalten. Bei JBG3 ist dies aber auch gar nicht nötig. Lyrisch ist JBG 3 meist einfach nur flach und dumm, selbst die von den Entertainment-Fans lang erwarteten Diss-Lines gegen Bushido versprühen den Charme und Witz einer Veronica Ferres auf Codein.

Natürlich, das ist es, was man von einem Jung Brutal Gutaussehend-Teil erwartet. Asozial bis zum Gehtnichtmehr, beleidigend, menschenverachtend. Alles schön und gut. Neben den relativ unspektakulären Angriffen auf Bushido, sind die Attacken gegen Laas (“Schreibt man Laas in die Suchfunktion / Dann fragt Google bloß Meinten Sie Hurensohn?”), MOK (“Also was guckst du so? MOK, geh mir deine Mutter hol’n / Dein Tape gibt’s nicht bei Amazon, sondern bei ArmerNuttensohn“) oder Ali Bumaye (“Ali du bist fett und Fette sind keine Menschen”) da schon viel amüsanter. Insgesamt fällt das Album aber vor allem durch Langeweile und Menschenhass auf.

Zeilen wie “Denn du wachst auf in ‘ner Garage in Derendorf / Und als erstes nimmt dich ein Schwarzer aus Kenia durch”, “Ich mach den Drecksjob und pfleg mein’ Benz mit Lackpolitur / Und Joy Denelanes Afrofrisur” oder “Mein Körper definierter als Auschwitzinsassen” sind nichts anderes als offener und plumper Rassismus unter dem Deckmantel eines YouTube-Pranksters. Kein Witz, kein doppelter Boden und ohne jegliche Metapher oder versteckten Gedanken. “Danach fick ich deine Ma, die Flüchtlingsschlampe” oder “Der Germane fickt deine Mafiaclanclique / Und du denkst Game of Thrones, weil der Arier stark ist” könnten wunderbar als Soundtrack für die kartofflige Pegida-Dorf-Jugend herhalten.

Die Verteidiger solcher Lines bewegen sich meist auf dem gleichen Niveau wie in der Vergangenheit hängengebliebene AfD-Opas, die krampfhaft darauf bestehen “N****küsse” und “Zigeunersauce” sagen zu dürfen, “weil das schon immer so war”. Wahrscheinlich wird man vergeblich auf “Wer nennt hier wen N****r“-Ansagen” von Manuellsen warten, schließlich ist man befreundet. Vor allem aber fragt man sich bei all diesen Bars: Wo ist jetzt der Witz, ich peil es nicht mal? (KoolSavasVoice).


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Und ja, du spitzfindiger Facebook-Kommentator, auch wir haben Farid oder Kollegah in der Vergangenheit auf die ein oder andere Weise gepusht, so etwas nennt man Meinungsvielfalt, man kann unterschiedliche Ansichten innerhalb eines Mediums vertreten und man kann seine Meinung ändern oder zwischen verschiedenen Werken differenzieren, all der ganzen hohlen “Lügenpresse”-Rufe zum Trotz.

Bleibt nur noch die Frage zu klären: Warum das alles? Bei genauerer Betrachtung wird man das Gefühl nicht los, dass die beiden hier von ihrem seit Jahren gen Null schrumpfenden Impact auf die deutsche Rap-Szene mit aller Macht ablenken wollen. Natürlich haben sie immer noch eine enorme Käuferschaft, natürlich haben sie das Promo-Game (nicht gerade zum Positiven) revolutioniert und ja, mal wieder spricht halb Deutschland über sie. Auch wir. Musikalisch sind beide (besonders Kollegah) allerdings seit Ewigkeiten weit entfernt von der früheren Form, etwa eines Zuhältertapes oder der ersten asozialen Farid-Parts. Musikalische Trends und / oder andere Künstler prägen sie schon lange nicht mehr. Fast jeder wirklich bedeutende Straßenrapper hatte eine Zeit, in der er den Rest der Szene beeinflusste, in der der Nachwuchs klingen wollte wie das Idol, der Sound der Konkurrenten sich anpasste. Ob Azad, Bushido oder Haftbefehl: All diese Künstler entfachten Flächenbrände. Im Fall von Kollegah blieb es bis auf wenige Nachahmer, wie beispielsweise einen kostümierten Schwamm, stets bei einem Strohfeuer.

JBG3 offenbart dies in erschreckender Form, all der öden Doubletime-Parts zum Trotz, die nur noch Springer-Journalisten begeistern. Der Einfluss auf deutschen Rap als Musikform ist gering bis kaum vorhanden, längst haben andere Künstler den Weg in die Zukunft aufgezeigt oder dem klassischen Straßenrap ihren Stempel aufgedrückt. Also konzentriert man sich auf das reine Entertainment, auf Pranks und YouTube, Namedropping und Rassismus, in den Vordergrund geschobene Technik, die das fehlende Bauchgefühl, den komplett abstinenten Flow und vor allem den längst gesättigten Hunger verbergen sollen. Kollegah und Farid wirken dabei immer mehr wie zwei meckernde Power-Rentner, die sich mit allen verfügbaren Mitteln um ihre Altersvorsorge kümmern, obwohl die Urne längst in Sichtweite und mehrfach abbezahlt ist.

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