Herbst 1982: Seit zwei Monaten lebt Kenji Fujimoto in Nordkorea – zwei Monate, die sich wie eine Ewigkeit anfühlen. Der japanische Sushi-Meister wartet darauf, dass das Karaoke-Restaurant in Pjöngjang eröffnet, für das ihn die japanisch-nordkoreanische Handelskammer hergebracht hat. Die Tage kriechen schleppend vorüber.
Dann bekommt er einen panischen Anruf vom Restaurantchef. Er müsse alles besorgen, was er braucht, um Sushi für 20 Personen zuzubereiten. Schnell! Kurz darauf fahren drei Mercedes-Limousinen vor. Fujimoto steigt ein. Zwei Stunden lang sieht er aus dem Autofenster die undurchdringliche nordkoreanische Landschaft vorbeiziehen. Das Ziel ist ein opulentes Anwesen an der Küste.
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Es ist 2 Uhr nachts, als der Koch schließlich aufgefordert wird, den Bankettgästen Sushi zu servieren. Alles läuft ohne Probleme. Fujimoto erinnert sich an einen Mann, der wissen möchte, welchen Fisch er serviert bekommt. Es ist Toro, Thunfischbauch. Der Mann möchte einen Nachschlag.
Als Fujimoto zwei Tage später wieder in Pjöngjang ist, erstarrt er plötzlich. Der Mann, der noch mehr Thunfischbauch wollte, nimmt die komplette Titelseite der Tageszeitung ein, die eine Restaurantmitarbeiterin liest. Fujimoto wird klar, dass er den Abend mit dem Sohn von Nordkoreas Machthaber Kim Il-sung verbracht hat: dem zukünftigen Diktator Kim Jong-il.
Es dauert nicht lange und der Mercedes fährt wieder vor: Kim Jong-il hat Hunger. Fujimoto wird in den Festsaal Nr. 8 geschickt, irgendwo tief im Herzen der nordkoreanischen Hauptstadt. Diese kleine Routine wiederholt sich alle zehn Tage, ohne dass Fujimoto irgendjemandem erzählt, dass er rohen Fisch für den angehenden Führer zubereitet. Der Diktator ist so begeistert von Fujimotos Kochkünsten, dass er ihm einen Mercedes 450 und einen nordkoreanischen Führerschein schenkt.
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Über seine Freundschaft mit dem Diktator schrieb Kenji Fujimoto in seinen Memoiren, die bisher nur auf Japanisch und Französisch erschienen sind. Er sprach außerdem mit der Journalistin Anna Fifield für ihre unautorisierte Biografie von Kim Jong-un, The Great Successor, die diesen Sommer erschienen ist. Während Fujimoto an der Seite von Nordkoreas Elite ein gutes Leben führt, geht das Land durch eine seiner dunkelsten Phasen: Anschläge und Attentatsversuche bestimmen das politische Leben, während die Bevölkerung verhungert. Mindestens eine Million Menschen sterben während der Hungersnot Mitte der 1990er Jahre.
Aber Nordkoreas Elite lebt in einer Blase und Koch Fujimoto darf mit hinein. 1988 macht Kim Jong-il den Sushi-Meister zu seinem Privatkoch. Fujimoto wird Teil des engsten Kreises des Diktators und mit Geschenken überhäuft. So gibt es bei einem Kartenspiel ein Klavier, einen Sony Camcorder und einen beheizten Toilettensitz zu gewinnen.
Kim Jong-il spielt sogar Kuppler zwischen Fujimoto und Om Jong-nyo, einer jungen Sängerin und preisgekrönten Boxerin. Sie heiraten. Kim Jong-il persönlich organisiert nicht nur die Hochzeit, sondern lässt auch Fujimotos Pass konfiszieren – sicher ist sicher.
Während des Hochzeitsessens erwacht Fujimoto irgendwann aus einem Cognac-induzierten Schlaf und stellt fest, dass jemand seine Schamhaare abrasiert hat. Er hatte davor eine komplette Flasche Hennessy XO geleert. Heftige Saufgelage seien ein wesentlicher Bestandteil des Lebens in Kim Jong-ils engstem Kreis gewesen, berichtet Fujimoto.
Bei Partys befiehlt der Diktator seinen Gästen oft, einen Cognac-Shot nach dem anderen zu exen. Kim selbst trinkt auf Raten seiner Ärzte phasenweise gar keinen Alkohol. Aber wenn er trinkt, dann richtig. Während eines durchzechten Essens auf einer der Yachten des Diktators uriniert Kim in eine Plastiktüte, schleudert diese über seinem Kopf und schmeißt sie anschließend ins Meer.
Fujimoto erledigt seine Besorgungen nicht mit dem Auto, sondern mit dem Flugzeug. Für Früchte reist er nach Singapur, für Kaviar nach Russland oder in den Iran und für Fisch in seine Heimat Japan. “Essen ist zuallererst ein Fest für die Augen – seine Form und Farben sollen Freude bereiten”, sagt Kim Jong-il oft. In der Küche wird jedes einzelne Reiskorn inspiziert – nur, was als perfekt und makellos gilt, schafft es auf den Teller des Führers.
Als Freund kulinarischer Erlebnisse gefällt dem Diktator auch Ikizukuri, ein japanisches Gericht, bei dem ein Fisch lebend zerlegt und serviert wird. Fujimoto ist derjenige, der Kim Jong-il mit dem Gericht vertraut macht, das in Deutschland wegen Tierquälerei verboten ist. Aber der Diktator hat auch eine Schwäche für einfache Gerichte wie Instant Noodles – insbesondere die Rao Noodles von Nissin.
Fujimoto führt ein entspanntes Leben in der hermetisch abgeschlossenen Volksrepublik, Kim Jong-il vergisst allerdings nie, seinen Leuten zu zeigen, wer der Boss ist. Als Fujimoto zum Beispiel ein Jetski-Rennen auf dem Yalu gewinnt, dem Grenzfluss zwischen China und Nordkorea, glaubt der Koch, den Diktator beeindruckt zu haben. Einen Monat später jedoch gibt Kim Jong-il bekannt, dass er eine Revanche will. Er hat sich ein neues Modell mit einem stärkeren Motor besorgt. Dieses Mal lässt er Fujimoto alt aussehen.
Ein paar Jahre später bekommt Fujimoto allerdings eine etwas bessere Vorstellung davon, was es heißt, den Diktator zu verärgern. Weil er sein Zimmer in einem von Kim Jong-ils Anwesen nicht aufgeräumt hat, wird Fujimoto zu sechs Monaten Zwangsarbeit in einem Gymnasium von Pjöngjang verdonnert, wo er Sushi zubereiten muss.
Trotz einiger Vorfälle dieser Art denkt Fujimoto bis zur Jahrtausendwende nicht daran, das Land zu verlassen. Nach einem Besuch in Japan allerdings wird er verdächtigt, seiner alten Heimat loyal zu sein. Er wird zu knapp zwei Jahren Hausarrest verurteilt.
Weil er merkt, dass sich die Lage langsam gegen ihn wendet, plant Fujimoto seine Flucht. So wie Essen ihn in Kim Jong-ils Palast gebracht hatte, kann Essen ihn auch wieder nach draußen bringen, glaubt er.
Im März 2001 zeigt Fujimoto dem Diktator eine Folge der legendären japanischen Dotch Cooking Show, in der Uni-don zubereitet wird, ein Gericht aus Seeigeln und Reis. Als er Kims begeisterte Reaktion sieht, bietet der Koch ihm an, Japans beste Seeigel aus Hokkaido zu besorgen. Kim Jong-il willigt ein. Einen Monat später steigt Fujimoto in ein Flugzeug. Sein Koffer ist etwas größer als sonst. Er lässt das abgeriegelte Land und seinen Freund, den Diktator, hinter sich.
Knapp 20 Jahre später ist alles vergessen. 2013 wird Fujimoto von Kim Jong-ils Sohn und Nachfolger Kim Jong-un wieder in Nordkorea Willkommen geheißen. 2017 zieht er nach Pjöngjang zurück, wo er ein Sushi-Restaurant und eine kleine Ramen-Bar eröffnet.