David Foster Wallace hat mit seinem Text „Am Beispiel des Hummers“ das erste und wohl vehementeste Plädoyer gegen das lebendige Kochen der Krebstiere geschrieben. Schon länger konnten Wissenschaftler zeigen, dass Flusskrebse körperliche Schmerzen empfinden. Und nun haben Forscher auch nachgewiesen, dass sie auch Angst empfinden—und zwar in einer Art, die unserer menschlichen Furcht sehr ähnlich ist.
Die meisten Tiere zeigen irgendeine Form von Stressreaktion, wenn sie sich bedroht fühlen. Die in Science veröffentlichte Studie belegte nun, dass sogar die wirbellosen Flusskrebse echte Furcht empfinden. Entscheidend daran ist, dass es das erste mal ist, dass „sekundäre Emotionen”, die zu einer Körperempfindung hinzukommen, bei wirbellosen Tieren beobachtet wurden.
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Pascal Fossat, der Hauptautor der Studie, verdeutlicht die Unterschiede zwischen den emotionalen Zuständen:
„Stress- oder Gefahrenquellen provozieren Furcht (eine fundamentale, unmittelbare Emotion), und erzeugen eine sofortige Reaktion, wie Flucht oder Erstarren oder Aggression. Stress kann aber auch zu Angst führen. Angst ist ein komplexerer Zustand und wird als sekundäre Emotion verstanden. Und zwar weil Angst auch dann auftritt, wenn die Stressquelle abwesend und unklar ist.”
Die Folgen dieser Angstreaktion sind nur allzumenschlich: die Tiere suchen nach geschützten Orten und sind weniger unternehmungslustig, wenn sie Angst haben. Und genau wie bei Wirbeltieren wird Angst bei ihnen durch den Botenstoff Serotonin gesteuert, der zum Beispiel von Valium beeinflusst wird. Und wie behandelt man Angst bei Flusskrebsen? Richtig, mit Valium, wie beim Menschen.
Um diese Annahme zu testen musste Fossat auf ein paar zunächst weniger tierfreundliche Methoden zurückgreifen und setzte seine Flusskrebse in ein sogenannte T-Labyrinth, das ungleichmässig ausgeleuchtet war, mit dunklen, mittelhellen und hellen Zonen.
Zwar zögerten ungestresste Flusskrebse zunächst ein wenig, doch am Ende erforschten sie auch die hellen Zonen. Einigen der Tiere gab Fossat dann ein paar Elektroschocks, um den Tieren ein Stressgefühl zu vermitteln. Auch lange nach den Schocks hatten diese Tiere hohe Serotonin-Werte und verkrochen sich in einer dunklen Ecke. Doch nach einer kleinen Spritze Valium wurden sie wieder neugierig.
„Wir zeigen damit, dass gestresste Flusskrebse eine Angstreaktion haben, die man mit Serotonin fördern und Benzodiazepinen (Valium) auflösen kann.” schrieb Fossat. Sie konnten den Tieren sogar einfach mit einer Dosis Serotonin Angst machen (wenn diese gespritzt wurde).
Noch vor den wissenschaftlichen Nachweisen von Schmerzen oder Angst bei Krebstieren, schrieb mir Wallace, was er schlicht beobachtete: „Es bleibt ein Fakt, dass sie verzweifelt gegen den Deckel stossen, vergeblich versuchen sich am Topfrand festzuklammern. Am Herd stehend ist es hart abzustreiten, dass dies ein lebendiges Wesen voller Schmerz und Angst ist, das einfach nur fort will.”
Nein, Flusskrebse sind keine Hummer, aber sie gehören derselben taxonomischen Ordnung der Zehnfusskrebse an. Sie haben sehr ähnliche Nervensysteme und könnten uns Menschen genetisch sogar näher sein als bisher gedacht. Es ist also sehr unwahrscheinlich, dass gerade Hummer ganz anders drauf sind.
Foster Wallace jedenfalls fügte 2004 noch hinzu, dass „diese Kochgeschichte ein gewisses kulturelles Unbehagen mit sich trägt”. Vielleicht erfasst dieses Unbehagen nach den neuen nicht mehr zu leugnenden wissenschaftlichen Belegen nun endlich auch die Hummer-Genießer.