Wie geil wäre es, wenn man auf Tinder, Bumble oder Grindr nicht nur die große Liebe, sondern gleich dazu auch noch unendlichen Reichtum finden würde? Mega geil, das wissen alle, die auf der Suche nach einem warmen Körper schon mal ein bisschen rumgeswipet haben, während sie nicht wussten, wann sie endlich mal wieder etwas anderes essen können als Fertigpizza. Das macht sie anfällig für Scams.
Krypto-Romance-Scammer nutzen das aus. Sie versprechen Nähe, Treue und Krypto-Cash und investieren dafür selbst jede Menge Zeit. Sie überreden ihre Opfer zum Beispiel, Geld in Kryptowährungen zu stecken und ihnen dann Zugriff auf das Portfolio zu geben. Wenig später ist das Geld weg – ebenso wie der charmante Kontakt bei Tinder.
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Doch Louise Beltzung und Julia Krickl, zwei Forscherinnen vom Österreichischen Institut für angewandte Telekommunikation und Mitarbeiterinnen bei Watchlist Internet, sind ihnen auf den Fersen. Für die Watchlist Internet, eine Initiative, die Scammern das Scammen erschweren soll, erforschen sie derartige Maschen. Und gehen dafür selbst Onlinebeziehungen mit den Betrügern ein.
VICE: Warum ist gerade Onlinedating so ein fruchtbarer Boden für Scammer?
Julia Krickl: Dating ist oft mit Hoffnung und Sehnsucht verbunden, mit blumigen Vorstellungen, wie mein Leben sein könnte. Und auch mit dieser Vorstellung, dass ich etwas Besseres verdiene, Glück verdiene. Das ist schon so eine Art American-Dream-Denken.
Wie meinst du das?
Julia: Ich denke, dass viele Menschen dem romantischen Ideal der stereotypen “wahren Liebe” nachhängen und gerne glauben wollen, dass sie mehr Glück haben werden als der Rest. Und so ist es dann auch, wenn zum Versprechen auf Geld das Versprechen auf Liebe kommt. Die anderen geraten an Scammer, aber ich werde hier reich, dank des tollen Menschen, den ich da kennengelernt habe. Ich denke also, die zwei Sehnsüchte greifen ineinander und potenzieren sich gegenseitig.
Louise Beltzung: Hinzu kommt dieser Gedanke: “wir gegen die Welt”, das man in manchen Paarkonzepten erlebt. Ich bin die Ausnahme, du bist die Ausnahme, wir sind die Ausnahme zu der Regel, die wir um uns sehen. Die anderen trennen sich. Die anderen sind nur auf Sex oder Unverbindlichkeit aus, sie sind untreu. Das sind wir nicht. Wir sind ganz anders als die anderen.
Macht das Krypto-Romance-Scammer so gefährlich?
Louise: Menschen bauen schnell ein Vertrauensverhältnis zu den Scammern auf und es wird dadurch schwieriger, sie zu erreichen.
Warum?
Louise: Wenn man diese Menschen etwa vor den Maschen der Scammer warnt, werden sie zuerst die Scammer fragen, was es damit auf sich hat. Die wiederum werden sie beruhigen, ihnen sagen, dass alles OK ist oder noch perfider.
Noch perfider?
Louise: Ein Ansatz der Scammer ist es, selbst vor den Gefahren zu warnen. Sie sagen, es ist gut, dass du aufpasst! Man könne kaum jemandem trauen, überall lauerten Gefahren, und nur sie hätten den Durchblick und wären ehrlich.
Wie seid ihr vorgegangen bei eurer Recherche?
Louise: Wir haben uns zuerst durch eine KI ein Profilbild erstellen lassen von einer Person, die realistisch und angemessen attraktiv aussah. Als Hobbys haben wir dann generische Sachen genannt.
Zum Beispiel?
Julia: Fitness und Essen. Und Gin Tonic.
Louise: Die Anzahl der Männer, die Harry Potter als Hobby angegeben haben, ist wirklich faszinierend.
Julia: Wir haben aber auch Aktien, Handel, Investment, Unternehmertum angegeben. Wir wollen den Scammern einen Anhaltspunkt bieten.
Und wie seid ihr dann auf die Scammer gekommen?
Julia: Auf dem Tinder-Profil waren wir eine Frau, auf dem Grindr-Profil ein Mann, aber das hat nicht gut funktioniert. Auf Tinder hat es ein paar Wochen gedauert, bis wir gecheckt haben, wer echt ist und wer nicht. Es ist auch gar nicht so leicht, die Fake-Profile zu erkennen, aber es sind schon auffallend generisch attraktive Personen. Ich glaube, die Scammer verwenden Fotos, die sie entweder von OnlyFans-Models oder von unbekannteren Influencern gestohlen haben. Und meistens gibt es überhaupt keine Beschreibung über die Person, sondern nur diese Interessen.
Wenn ihr so lange gebraucht habt, um zu erkennen, wer echt ist, habt ihr auch echte Menschen gebaitet, oder?
Louise: Wir haben nach dem ersten “Hi” so schnell wie möglich versucht, die Person zu treffen. Sobald die Person sich treffen wollte, haben wir entmatcht.
Scammer wollen sich nicht treffen.
Julia: Sie sagen, sie hätten romantische Ideale, wären nicht nur auf Sex aus, sondern wollten eine langfristige, intime, tolle Beziehung. Das ist einfach kein normaler Opener auf Tinder, selbst wenn du wirklich nach einer langfristigen Beziehung suchst.
Und dann chattet ihr. Wie lang dauert es, bis sie das erste Mal versuchen, euch abzuziehen?
Louise: Das größte Learning war, dass die nicht sofort kommen und sagen “Hey, ich bin Investor, kann ich dir helfen?”, sondern mit ihrer vermeintlichen Suche nach etwas Ernstem. “Ich möchte dich gern schriftlich kennenlernen.”
Julia: Es ist wirklich sehr subtil. Auffällig ist nur, dass sie relativ schnell fragen, was man arbeitet. Ich glaube, damit checken sie auch ab, was die finanziellen Mittel sind. Aber sie fragen das auch, um sich abzusichern.
Wie meinst du das?
Julia: Als ich einmal schrieb, ich arbeite in der IT, wurde ich sofort geblockt. Außerdem benutzen die Scammer häufig Englisch.
Begründen sie das?
Louise: Sie geben sich halt als Weltbürger aus, die das schöne Leben um die Welt führt. Auch als Erklärung, warum man sich nicht treffen kann.
Julia: Und sie arbeiten viel. Sie seien im Job unglaublich eingespannt, hätten unglaublich viel Stress. Wenn sie mal nicht zurückschreiben könnten, dann wäre es wegen der Arbeit. Später kam auch mal “ich kann gerade nicht antworten, weil ich bin am Traden”. Das war dann der erste Einstieg in den Scam. Aber da folgte dann nicht sofort, “hey, willst du das auch mal probieren?” Wir sprechen von Maschen, die über Monate gehen.
Was war die blödeste Ausrede, die euch untergekommen ist?
Julia: Die mit Abstand beste Geschichte war die von dem Typ, der nicht videocallen wollte. Sie begann mit der Frage: “Hast du Geschwister?” Wir antworteten nein. Er meinte dann, er habe mal die Freude gehabt, eine Schwester zu haben, aber leider habe er sie verloren. Und dann hat er geschildert, wie sie bei einem tragischen Unfall gestorben sei: Sie habe beim Autofahren einen Videocall mit ihm geführt und sei unaufmerksam gewesen. Gestorben sei sie aber nicht sofort, sondern erst im Krankenhaus, weil sie die Krankenhausrechnungen nicht begleichen konnte. Deswegen sei er heute Krypto-Trader und sehe jedes Mal das Lächeln seiner Schwester, wenn er in eine Kamera schaue.
Louise: Einer wollte sich immer treffen, bis wir irgendwas getan haben, was ihn verprellt hat. Dann schrieb er: “Du hast dich zwei Stunden nicht gemeldet. Das ist nicht dein Ernst. Du wirkst gar nicht, als hättest du Zeit.”
Julia: Die Scammer fordern von ihren Opfern emotionale Verfügbarkeit. Einer bestand auf diese romantische Geste, bei der wir beide Tinder löschen. Ich musste ihm das mit Screenshots beweisen. Die Scammer wollen dich also auch von anderen romantischen Optionen abschneiden.
Schreibt ihr immer mit denselben Personen, oder habt ihr auch mal einen Wechsel gespürt?
Julia: Gestern hat uns ein Scammer blockiert und ein bisschen das Herz gebrochen. Er hat uns immer unterschiedliche Kosenamen gegeben, je nach Tageszeit. Mal waren wir Sweety, mal Baby oder Honey. Also ja, das sind offensichtlich verschiedene Menschen dahinter.
Louise: Und manchmal bemerken sie die Fehler nicht, die wir machen. Denn wir sind ja auch nicht immer dieselbe Person hinter einem Chat, sondern wechseln uns ab. Einmal hatten wir geschrieben, wir wären Einzelkind und später kam ein Bruder hinzu.
Wie habt ihr euch die Arbeit untereinander aufgeteilt?
Julia: Wenn wir es nicht mehr ausgehalten haben, haben wir gewechselt.
Ist euch das so nah gegangen?
Louise: Wenn du nebeneinander sitzt und mit denen chattest, kann es lustig sein. Aber wenn du alleine zu Hause mit sechs Scammern chatten musst, wird es bald sehr viel.
Da steckt ja richtig Arbeit drin.
Louise: Die Scammer investieren unterschiedlich viel Zeit. Man merkt das daran, wie vorsichtig sie sind. Und auch wie wütend sie werden können. Einer wurde heute richtig aggressiv, weil wir ein paar Stunden später geantwortet haben.
Julia: “You always do this.”
Louise: Wir fragen in solchen Situationen nach: “Bist du böse?” Und sie beginnen uns emotional zu erpressen. “Wie soll ich dir helfen, in deinem Leben weiter zu kommen, wenn du so bist?” Danach wechseln sie wieder in eine liebevolle Sprache. Das ist richtig manipulativ.
Aber sie gehen auch auf euch ein.
Louise: Manche Blöcke lesen sich wie vorgeschrieben. Geschichten wie: “Ich hatte mal ein Restaurant, das pleite gegangen ist.” Aber wenn man nachfragt, was das für ein Restaurant war, antworten sie wieder individuell.
Julia: Vor allem zu Beziehung, Romantik, Ehe gibt es Nachrichten, die standardisiert wirken. Aber je nachdem, mit wem sie schreiben, gehen sie ganz stark auf die Person ein. Das macht es auch so schwierig, die Scammer zu erkennen.
Louise: Und ich glaube, all die Warnungen wie, “pass bei Krypto auf”, “vertrau nicht jedem im Internet”, “viele Seiten sind fake”, funktionieren nur bei nüchternen Personen. Wenn aber jemand das Gefühl hat, schon eine Beziehung mit der Person zu haben, die da Ratschläge gibt, wird es schwieriger. Die beruhigen dann, spenden Trost, sagen, das habe alles keine Eile.
Julia: Man unterschätzt den Grad der Professionalisierung. Es gibt ja Menschen auf Datingapps, die nicht mit unseriösen Krypto-Plattformen arbeiten, sondern die dich anleiten, wie du etwa bei Coinbase ein Benutzerkonto anlegst, tatsächlich Bitcoin kaufst. Die Scammer bringen dich dann allerdings dazu, ihnen den Wallet Key zu geben. Oder sie schicken dir eine geklonte Website, auf der du diesen Key eingeben musst. Dann haben sie Zugriff auf dein Geld. Es gibt tausend Möglichkeiten und wenn ich mich zu blöd auf dieser einen Fake-Investmentplattform anstelle, empfiehlt mir der Scammer eine legitime. Und wenn ich mich dafür zu blöd anstelle, dann gibt er mir eine PayPal-Adresse.
Wie blöd habt ihr euch angestellt?
Louise: Sehr. Aber die Versprechen sind auch völlig absurd. Erst plätschert das Gespräch vor sich hin, dann kommt immer wieder das Thema Krypto. Und wenn die Scammer wollen, dass es langsam zur Sache geht, sagen sie, “ich will dir gern helfen”. Sie fragen dann zum Beispiel, wie viel Geld man gern hätte.
Wie viel Geld hättest du gern gehabt?
Louise: Wir haben gesagt: “”Na ja, eine kleine Wohnung in Wien wäre schon toll.” Vielleicht 300.000 Euro? Ob das übertrieben wäre? Ich hätte halt nicht wirklich viel Eigenkapital, nur so 500 Euro. Und er meinte so, ja, das sei voll realistisch. 500.000 Euro wären drin.
500 Euro, das kann sich ja kaum rentieren.
Louise: Ja, aber langfristig machen sie dann, wenn es gelingt, wirklich viel Geld. Dann schießt man erst 500 Euro rein und später immer mehr. Aber es ist schon intensiv, was sie da an Arbeit mit uns machen.
Julia: Dafür, dass noch kein Cent investiert wurde. Das muss sich schon wirklich lohnen.
Habt ihr einen Unterschied im Verhalten der Scammer festgestellt, je nachdem, ob ihr als Frau auf Tinder oder als Mann auf Grindr unterwegs wart?
Louise: Wir wissen, dass es auf Grindr viele Scammer gibt, aber für uns war das …
Julia: … schwierig. Wir haben da ja keine Erfahrungswerte, nur Second-Hand-Erfahrungen. Wir konnten da nicht wirklich authentisch sein, kannten die Codes nicht und so weiter. Ich glaube aber, dass auf Grindr weniger langfristige Beziehungen gesucht werden.
Louise: Wir wissen aber, dass auch Männer auf Krypto-Romance-Scammer reinfallen, es war für uns nur leichter, als Frau aufzutreten.
Fallen vor allem vulnerable Personengruppen auf solche Scams rein?
Julia: Das ist ein Irrglaube. Jede Person kann vulnerabel sein. Wenn du zum Beispiel gerade verlassen wurdest, wenn du gerade einen Jobwechsel hinter dir hast, wenn du gerade Familienprobleme hast, vielleicht ein Elternteil krank oder verstorben ist oder du dich unsicher in einem Freundeskreis fühlst. Vulnerabilität ist eher den Lebensumständen geschuldet und auf die gehen die Scammer sehr individuell ein.
Klingt überzeugend.
Julia: Ich glaube, das Perfide ist auch, dass die Scammer das Treffen so lange herausgezögern. Man bindet sich also schon emotional. Und diese konstante Aufmerksamkeit fühlt sich einfach gut an. Wir sind alle busy, wir haben alle unterschiedliche Hobbies, wir wollen alle irgendwie überall sein und dann hat da einer immer Zeit für uns.
Habt ihr eine Idee, wie viele Leute davon betroffen sind?
Louise: Das ist schwierig zu sagen, weil viele Leute sich schämen. Wir wissen, dass Personen oft davor zurückschrecken, das zu melden, sofern die Schäden nicht sehr groß sind. Und erst wenn dann die Polizei mal wieder ein Netzwerk hochnimmt, sieht sie, wie viele Leute eigentlich betroffen waren.
Hast du eine Erklärung dafür?
Louise: Es ist halt fünffach unangenehm, nicht nur auf einen Finanz-Scam reingefallen zu sein, sondern auch auf einen Love-Scam. Gerade wenn die Leute extra Geld reingesteckt haben, um die Beziehung zu retten. Wie gesagt, man denkt immer, diejenigen, die auf solche Leute reinfallen, sind immer die anderen.
Julia: Wir wollen auch zum Beispiel Sozialarbeiter:innen anhalten, sich bei uns zu melden, wenn ihre Klienten sich nicht trauen.
Habt ihr zum Schluss drei Tipps, mit denen man Scammer erkennen kann?
Louise: Wenn es einfach nicht zum Treffen kommt, wäre ich vorsichtig. Das klingt komisch, weil man ja sonst sagt, lieber erst mal schreiben. Aufpassen sollte man auch, sobald das Thema Investment aufkommt.
Julia: Und das Angebot: ich helfe dir.
Louise: Der wichtigste Tipp ist schon, dass man sich klarmachen sollte, dass eine persönliche Bindung ein Produkt nicht seriöser macht.
Julia: Selbst wenn du auf Tinder nicht mit Scammern schreibst, sondern mit einem tatsächlichen Krypto-Bro, der irgendein Geheimrezept kennen will, wirst du das Geld halt auch verlieren. Also generell Finanz- und Investment-Tipps auf Dating-Plattformen oder Social Media: super große Red Flag.
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