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Ich habe einen Gentest gemacht, um herauszufinden, mit wem ich verwandt bin

Der Test sagte mir außerdem, wie viel DNA ich mit einem Neandertaler gemeinsam habe.

Ich hätte nie gedacht, wie oft man spucken muss, um ein kleines Plastikröhrchen zu füllen. Es dauert eine Viertelstunde, bis ich genug für eine DNA-Untersuchung zusammengerotzt habe. Dann verschließe ich das Röhrchen und stecke es in einen Plastikbeutel, auf dem "Biogefahr" steht. So beginnt meine Reise in die Vergangenheit. Beziehungsweise erstmal die Reise meiner Spucke in ein kalifornisches Labor.

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Zweieinhalb Monate zuvor: Ein YouTube-Video namens "The DNA-Journey" taucht in meiner Facebook-Timeline auf.

Gleich drei Freunde teilen es. Darin lassen Menschen aus unterschiedlichsten Ländern untersuchen, woher ihre Vorfahren stammen. Das Video hatte alle Zutaten, aus dem virale Hits gemacht sind: Überraschung, Tränen, Entrüstung. Die volle Bandbreite Emotionen unterlegt mit sanften Streichern und Klavierklängen. "Deine Geschichte ist in diesem Röhrchen", sagt ein Mann mit Professorenbrille, als die Teilnehmer in den Kolben spucken.

Am Ende entdeckt der schwarze Kubaner, dass er Vorfahren aus Osteuropa hat, ein übermäßig patriotischer Brite merkt, dass er doch gar nicht so britisch ist, zwei Testteilnehmer aus unterschiedlichen Erdteilen sind genetische Cousins und fallen sich um den Hals. Am Ende verkündet ein eingeblendeter, etwas glückskeksiger Spruch: "Du hast mehr mit der Welt gemeinsam, als du denkst." Über sieben Millionen Menschen klickten das Tränendrüsen aktivierende Video inzwischen an.

Als die PR-Agentur der Reisesuchmaschine, die hinter dem Video steckt, mich anrief und fragte, ob ich einen ähnlichen Test machen will, zögerte ich deshalb nicht lang. Ich wurde zwar in St. Petersburg geboren, ansonsten ist meine Abstammungsgeschichte aber nicht besonders aufregend: Drei meiner Großeltern sind russisch, eine Oma kommt aus der Ukraine. Aber wer weiß, vielleicht kommt raus, dass ich afrikanische Gene habe—oder einen Cousin von den Philippinen. Außerdem wird untersucht, wie viel DNA ich mit einem Neandertaler gemeinsam habe. Plus: Nach der Auswertung wird mir meine DNA als Musikstück vorgespielt. Wer sagt da Nein?

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Das Unternehmen, das mein Gengut auswertet, heißt 23andMe und unter anderem hat Google darin investiert. Neben Herkunftsforschung untersucht es die DNA der Kunden danach, ob sie Anlagen für erbliche Krankheiten in sich tragen. (Oder teilt ihnen mit, wie hoch die—ebenfalls genetisch vererbbare—Wahrscheinlichkeit­ ist, dass sie Spargel im eigenen Pipi riechen können. Oder, wie wahrscheinlich es ist, dass sie niesen, wenn sie ins Licht gucken. Ja. Kein Scherz.)

Harte Spuckarbeit | Fotos: Grey Hutton

Bei der Herkunftsforschung vergleicht die Firma mein Gengut mit dem der Menschen, die seit Generationen in einer geografischen Gegend leben, und schaut, ob wir übereinstimmende DNA-Sequenzen haben. 149 Dollar kostet der Spaß normalerweise. Vielen Menschen ist es das Geld wert. Laut eigenen Angaben hat 23andMe eine Million Proben in ihrer Datenbank. Die Genealogie-Seite Ancestry.com, die ebenfalls genetische Ahnenforschung anbietet, gibt an, 800.000 DNA-Proben zu haben. Die Seite wurde im April für sagenhafte 2,6 Milliarden Euro verkauft. Die Hoffnung ist wohl berechtigt, dass sich mit den Leuten, die mehr über ihre Vergangenheit wissen wollen, viel Geld verdienen lässt. Seit es das Internet gibt, hat die Ahnenforschung einen großen Schub bekommen. Mit Gentests scheint alles noch einfacher: Statt eines aufwendigen Pensionistenhobbys ist ein Blick in die Geschichte jetzt nur einen Spuck entfernt, so die Hoffnung.

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Zwei Wochen nachdem ein FedEx-Mitarbeiter meine Spucke abgeholt hat, landet eine E-Mail in meinem Postfach: Deine Ergebnisse sind da. Großes Herzklopfen. Meine DNA hört sich als Klavierstück an, als wäre sie von Mendelssohn Bartholdy gedichtet. (Ich kann sie mir auch auf der Sitar oder auf Stahltrommeln vorspielen lassen.) Außerdem hat sie 2,9 Prozent Übereinstimmung mit der DNA von Neandertalern—der Durchschnitt aller Testpersonen hat 2,7 Prozent.

Screenshot: 23andMe

Auf der Liste meiner Verwandten steht, dass ich unter anderem Cousins "dritten bis sechsten Grades" in Rumänien und Kanada habe. Aber leider sind die weiteren Ergebnisse kein bisschen überraschend. Meine DNA ist laut Test 99,1 Prozent europäisch. Ich bin zu 60 Prozent osteuropäisch, zu einem Prozent nordwesteuropäisch und zu 4,7 Prozent südeuropäisch.

Screenshot: 23andMe

1,2 Prozent meiner DNA stammt vom Balkan. Als ich das lese, denke ich sofort an meine dunkelhaarige, dunkeläugige ukrainische Oma, die in der Nähe Rumäniens aufgewachsen ist. Aber das sind wilde Spekulationen. Die Professoren David Balding und Mark Thomas von der University College London sind skeptisch, dass man DNA "wie ein Buch oder eine Reisekarte" lesen kann. In ihrem Aufsatz darüber, was Gentests können und was nicht, schreiben sie, dass die Informationen, die wir von der DNA-Auswertung bekämen, sich auf Populationen bezögen, nicht auf die individuelle Familiengeschichten. Balding und Thomas vergleichen die genetische Herkunftsforschung mit "genetischer Astrologie". Ähnlich wie bei Horoskopen regten auch bei genetischen Herkunftstests ein paar vage Aussagen die Fantasie der Menschen an.

Ich ertappe mich selbst bei solchen Mutmaßungen: Kommt das eine Prozent finnische DNA in mir daher, dass mein Opa aus dem Norden Russlands stammt? Und die 0,2 Prozent ostasiatische Gene von den Überfällen der Mongolen auf Russland im 13. Jahrhundert? Ist mein Vater, so wie jeder 200. Mann auf dieser Erde vielleicht mit Dschingis Khan verwandt?

Balding und Thomas warnen allerdings auch vor genetischen Tests, die versprechen rauszufinden, ob man von berühmten Personen abstammt. "Ein Unternehmen mag dir erzählen, dass du mit der Queen von Sheba oder mit Napoleon verwandt bist. Die kurze Antwort darauf ist: Ja, das stimmt vielleicht sogar. Viele Menschen haben eine Verbindung zu Personen aus der Vergangenheit, das können wir ganz ohne Gentest sagen. Wir sind alle versippt, es eine Frage des Grades. Es wird geschätzt, dass vor 3.500 Jahren ein Mensch gelebt hat, mit dem wir alle verwandt sind."

Die Botschaft der Reisesuchmaschine, kitschig wie sie klingt, ist also durchaus ein bisschen wahr: "Du hast mehr mit der Welt gemeinsam, als du denkst."