FYI.

This story is over 5 years old.

News

Gemeinden, die mit Landminen zugepflastert sind, wehren sich gegen Minenräumung

Dinge zu entsorgen, die wahllos Menschen in die Luft jagen, sollte eigentlich unstrittig sein.

Foto via WikiCommons

Wenn jemand ein Aushängeschild für absurde militärische Exzesse des 20. Jahrhunderts suchen würde, stände der Falklandkrieg von 1982 wohl relativ hoch auf der Liste. Dieser Konflikt, letztendlich ein Disput um ein paar karge Felsinseln und 400.000 Schafe, setzte eine übertriebene Mobilisierung des kompletten Militärapparats Großbritanniens und Argentiniens in Gang. In ihrem damaligen Übereifer entschied sich die argentinische Regierung dazu, 25.000 Landminen (nach britischen Schätzungen) auf den Inseln zu verteilen. Das ist jetzt nicht besonders viel, wenn du es mit den Abermillionen Minen vergleichst, die in Ländern wie Afghanistan und Kambodscha vergraben wurden, aber andererseits sprechen wir hier auch über eine Inselgruppe mit damals 1.800 Einwohnern, von denen die Meisten in ein und demselben Dorf wohnten—das macht dann 13,8 Minen pro Inselbewohner. Trotzdem waren nicht alle gleichermaßen begeistert, als die britische Regierung 2009 anfing, ein großangelegtes Entminungsprojekt in Gang zu setzen.

Anzeige

Die meisten Menschen, die weniger Enthusiasmus für das Projekt zeigten, waren Pinguinfreunde. Vor drei Jahrhunderten waren die Falklandinseln noch Heimat von ungefähr 10 Millionen Pinguinen fünf verschiedener Arten. Bis 1982 hatte der Walfang, grasende Schafe und menschliche Siedlungen die Population auf eine Millionen runtergebracht. Der Abwärtstrend wurde dann aber jäh gestoppt. Wie sich herausstellte, sind Pinguine nämlich zu leicht, um Landminen auszulösen.

Die Falkländer hatten Glück. Eine erste Minenräumaktion direkt nach dem Konflikt entfernte die meisten gefährlichen Sprengköper und die, die übrig blieben, befanden sich auf ungenutzten Weideflächen und Küstenstreifen. Die deutlich markierten und gut überwachten Gebiete wurden geflissentlich von der Bevölkerung gemieden, die umgehend über die Gefahren aufgeklärt worden war. Einige Umweltschützer dachten sich nun also, warum nicht einfach die Landminen an Ort und Stelle lassen, anstatt Unmengen von Geld für eine hochriskante Minenräumung auszugeben? Anstatt Jahre zu verschwenden und Leben zu riskieren, könnten die Minen doch auch als extrem effiziente Pinguinschutzzonen dienen, das örtliche Ökosystem bewahren und vielleicht sogar ein paar Touristen anlocken.

Trotz des halbherzigen Protests einiger Pinguinliebhaber startete 2009 auf den Falklandinseln das Minenräumprogramm. Es kommt aber auch vor, dass Menschen in anderen Teilen der Welt, die Seite an Seite mit Sprengkörpern leben, die viel gefährlicher sind, als die der Flaklandinseln, sich gegen Bestrebungen wehren, die Gebiete zu bereinigen, was letztendlich dazu führt, dass die Minen weiterhin unberührt auf ahnungslose Opfer warten. Das ist sehr tragisch, wenn man bedenkt, dass wenigstens die Entfernung von Dingen, die Menschen in die Luft jagen, eins der weltweit weniger umstrittenen Hilfsprojekte sein sollte.

Anzeige

Minen sind jetzt auch nicht gerade die Waffen mit der besten PR. Ursprünglich waren sie dazu gedacht, feindliche Truppen in die Schusslinie zu führen und dem Gegner Rückzugsmöglichkeiten oder Stellungsvorteile zu verwehren. Wie sich aber im Laufe der Zeit immer mehr herauskristallisierte, handelt es sich bei den Teilen um überaus langlebige Waffen, die auf zermürbende Art und Weise Einheimischen den Zugang zu Gebieten verwehren und Unschuldige verstümmeln und töten—auch und ganz besonders nachdem der eigentliche Konflikt schon lange beigelegt ist. Sie tendieren dazu, gerade die Schwächsten zu treffen. Alleine 2012 töteten Minen 4.300 Menschen, von denen eine große Anzahl Vertriebene waren, die sich durch unmarkierte und unbekannte Minenfelder bewegten. 1997 war dann fast die ganze Welt von ihnen so angewidert, dass 161 Nationen (die USA nicht eingeschlossen) ein vollständiges Verbot des Einsatzes, der Herstellung, der Lagerung, des Transports und anderer landminenmäßigen Aktivitäten unterzeichneten. Heutzutage sind es nur noch Burma und Syrien, die weiterhin regelmäßig im Auftrag der Regierung Landminen legen.

Mit alledem im Hinterkopf, kann man eigentlich nur zustimmen, dass die Räumung der Sprengkörper eine gute Sache ist, da dadurch extremes Gefahrenpotential entfernt wird und den Menschen vor Ort sowohl ihr Land als auch ihre Sicherheit zurückgibt, was beides dringend benötigt wird. Die Räumung ist allerdings nicht leicht. Die, die bei Minenräumprogrammen arbeiten, wissen, dass selbst mit einer so eindeutigen Mission wie ihrer, es nicht immer gern gesehen wird, wenn sie plötzlich ankommen und ihre Ansichten in einer lokalen Gemeinschaft durchsetzen wollen. Organisationen wie die Danish Demining Group (DDG), eine groß angelegte Hilfsorganisation, die in Afghanistan, Irak, Libyen, Buma, Somalia, Süd Sudan, Sri Lanka, Vietnam und an anderen Orten tätig ist, legen deswegen ein besonderes Augenmerk darauf, zuerst enge Verbindungen mit den örtlichen Gemeinden aufzubauen, bevor sie überhaupt einen Fuß in das Minenfeld setzen. Die Einwohner werden mit einbezogen und durchgehend über den Fortschritt informiert.

Anzeige

Foto via Wikimedia Commons

„Wir leisten Vorarbeit, bevor ein Team in der Gemeinde auftaucht“, sagt Tammy Hall, die Sprecherin für Minenräumung der DDG. „In Mozambique, Afghanistan, Kambodscha und an anderen Orten erheben Teams großflächige, nicht standardisierte Umfragen. Sie nehmen systematisch Stichproben in den verschiedenen Gemeinschaften und sprechen mit unterschiedlichen Akteuren—allen Geschlechtern, allen Altersgruppen, Amtsinhabern wie Polizisten und Gemeindevorstehern. Dann tragen wir die Resultate dieser Erhebungen zusammen und wägen die Wertigkeit eines Minenfeldes ab. Blockiert es den Zugang zu einer Schule, Farm oder Straße? Oder auf der anderen Seite: liegt es abgelegen, ist abgesichert und bekannt?“ Erst nachdem ein vollständiger Bericht geschrieben ist und die Bedürfnisse und Wünsche der Ortsansässigen klar formuliert sind, kommt ein Team von Minenräumern und beginnt, sich durch die Felder zu arbeiten.

Manchmal verweigern Gemeinden aber trotz der Vorbereitungen und Aufklärungsarbeit den Hilfsorganisationen den Zugang. Meistens liegt das an plumper Feindseligkeit gegenüber Menschen aus bestimmten Regionen. 2011 berichtete Klaus Ljoerrinng Pedersen, der für DDG in Somalia arbeitet, dass es Schwierigkeiten gab, in bestimmte Gebiete zu kommen, da al Sabaab, die herrschende Militärfraktion, ihn als Handlanger der Vereinten Nationen sah, deren Einmischung kategorisch abgelehnt wurde. „Manchmal gibt es einfach Konflikte, weil die Menschen sich nicht bewusst sind, was um sie herum geschieht“, fügt Hall hinzu. „Das sind einfache Missverständnisse, die hoffentlich schnell bereinigt werden können.“

Anzeige

Bei manchen dieser Missverständnisse ist DDG aber auch machtlos. Nehmen wir zum Beispiel Somalia. Dort ist es beizeiten schwierig, auch nur irgendetwas zu tun. Für seriöse und eindeutig ausgewiesene Hilfsorganisationen wie die DDG ist die Arbeit aber manchmal besonders schwierig, da die öffentliche Stimmung durch zweifelhafte Tätigkeiten anderer NGOs vergiftet oder wenigstens skeptisch geworden ist. „Die wollen nur herkommen, um ein Lippenbekenntnis abzulegen“, sagt Edna Adan Ismail, ehemaliger Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation, ehemaliger Minister des auswärtigen Amtes von Somaliland (dem autonomen, de Facto unabhängigem Staat im Norden Somalias) und momentaner Leiter des gleichnamigen Not-For-Profit Krankenhauses in Hargeisa, Somaliland, über die Unmengen an NGOs, die in Somalia aufschlagen.

„Die suchen sich irgendein Projekt, um ihre Anwesenheit zu rechtfertigen, geben tausende Dollar aus und verschwinden wieder, ohne wirklich etwas gemacht zu haben.“ Ismail steht mit seiner skeptischen Einstellung gegenüber NGOs nicht alleine da. Viele Somalier sehen Entwicklungshelfer generell als nutzlos für alles, was über einen kurzen Effekt hinaus geht—sie bieten ineffektive Workshops über Dinge, die nicht von Belang für die örtliche Bevölkerung sind. Nach Ismails Einschätzungen geben diese Gruppen in Somaliland das meiste Geld für Hotels aus, leiten ihre Projekte aus Nairobi und werden nur toleriert, weil sie etwas Kohle in das Wirtschaftssystem pumpen, wozu auch die 5 bis 10 Euro Aufwandsentschädigung für die gehören, die an den Workshops und Konferenzen teilnehmen. „Menschen dafür zu bezahlen, dass sie bei Projekten mitmachen“, sagt Ismail, „ist auf Dauer keine Lösung für eine gute Gemeinschaft.“

Anzeige

Hall stimmt zu, dass die Bezahlung von Menschen für die Teilnahme an Hilfsprogrammen äußerst ungünstige Voraussetzungen und Erwartungen schaffen kann. Sie fügt aber noch hinzu, dass es speziell an einem Ort wie Somalia, wo die öffentliche Sicherheit je nach Region stark schwankt und Sprengkörper oft in privaten Lagern aufbewahrt werden, deren Zustand—wie auch die Einstellung der einzelnen Gemeinden dazu—stark variiert, es extrem schwer sein kann, zu handeln. In jeder Gemeinschaft werden die Ortsansässigen gebeten, ihre Sorgen und Nöte äußern, „und Sprengkörper können ein Teil davon sein“, sagt Hall. „Wenn das der Fall ist, dann veranstalten wir Workshops, wie man diese Lagerbestände auflöst, oder arbeiten in anderen Fällen zusammen mit den eher trägen, lokalen Polizeikräften daran, die Konflikte zwischen einzelnen Gruppen zu deeskalieren, um die Gewalt in bestimmten Gebieten, in den Griff zu bekommen. Es hängt viel von den Umständen und den individuellen Strukturen ab.“ Das bedeutet manchmal auch, die Munitionsbestände unbehelligt zu lassen, und sich stattdessen auf Gewaltminderung und Bildung zu konzentrieren.

Foto via WikiCommons

Das ist auch ein Erfolg und kann spürbare Veränderungen in eine Gemeinschaft bringen. In den ähnlich ungleichen und verschieden gewalttätigen Regionen Ugandas fand die DDG heraus, dass es derartige Projekte mit der lokalen Bevölkerung zwischen 2010 und 2011 schafften, die Gewalt zwischen den Klans und Stämmen um fast 9 Prozent zu senken, das Verhältnis mit der Polizei und anderen Sicherheitsakteuren durch regulierte Kontaktformen zu verbessern, die Probleme mit Waffengewalt fast zu halbieren und die Bereitschaft zur Entwaffnung mehr als zu verdoppeln.

Es bleibt aber weiterhin die Tatsache bestehen, dass einige Gemeinschaften—sei es weil sie von feindlichen Gruppen kontrolliert werden, die Mission missverstanden haben, oder ein tiefsitzende Unsicherheit und Misstrauen gegenüber vor allem ineffiziente Hilfsorganisationen besitzen, die planlos durch ihre Regionen mäandern—sich weigern entmint oder entwaffnet zu werden. „Die Menschen sind freie Individuen“, sagt Hall. „Natürlich kann man in dem Fall, dass sie nicht interessiert sind oder es keine Öffnung gegenüber uns gibt, fortzufahren, nicht mehr viel machen … Wir sind da nicht hartnäckig.“ Es ist schon ziemlich bedauernswert, wenn man bedenkt, dass etwas so Eindeutiges abgelehnt wird. Hall sagt aber: „Es ist ihr Land, ihre Zukunft, ihr Recht, über ihre eigenes Schicksal Herr zu sein.“ So absurd die Entscheidung auch immer anmutet, wird sie in jedem Fall respektiert.

Es wäre eine Sache, wenn es sich in den Fällen, in denen die Minenräumung verweigert wurde, um abgelegene und klar gekennzeichnete Gebiete handeln würde—oder noch besser einem Schutzgebiet für brütende Pinguine—aber leider ist das nicht immer der Fall. Es ist jetzt natürlich nicht so, als ob die Mehrzahl der Gemeinden die Minenräumprogramme verweigern würde (leider konnte mich die DDG nicht mit harten Zahlen darüber versorgen, wie viele Gemeinschaften letztendlich die Zusammenarbeit verweigert haben). Die Tatsache, dass Misstrauen und schlechte Erfahrungen mit anderen NGOs dazu führen können, dass auch jede andere Gruppe—aus legitimen und nachvollziehbaren Gründen—die Zusammenarbeit bei etwas, das die weltweit akzeptierteste Form von Hilfe sein sollte, verweigert wird und sie so die Gelegenheit verlieren, ihr Land wiederzubekommen, ist schon schwer zu schlucken.

Glücklicherweise ist Minenräumung weit verbreitet, effektiv, gut durchdacht und so gut wie immer erwünscht. Leider, und das ist eine der tragischen Geschichten der modernen Welt, benötigen gerade die Regionen, die sie aus welchen Gründen auch immer verweigern oder einfach nicht erreichbar sind, die Minenräumung genau wie alle anderen, wenn nicht sogar noch mehr.