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Drogen

Kiffen in den Alpen

Der österreichische Staat verdient Millionen mit der Zierpflanze Cannabis.

Der einzige Grund, warum dieses Gewerbe noch existiert, ist die Polizei“, erzählt mir Alexander Kristen und stellt den Motor seines Geländewagens ab, aus dem er 10 Minuten vorher noch den Kindersitz in den Kofferraum verfrachtet hat, damit unser Filmteam auf der Rückbank des Autos Platz hat. „Die haben gesagt: ‚Aus, es kennt sich niemand mehr aus. Für uns ist das Ganze jetzt legal’“. Alex ist jenseits der 30, hat Jus studiert, aber zum doppelten Entsetzen seiner Eltern abgebrochen, um sich einem ganz anderen Thema zu widmen: dem Anbau von Cannabis.

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Rein zur Zierde selbstverständlich, denn eine spezielle Formulierung im Strafgesetzbuch macht es möglich, dass sich in Österreich eine riesige Cannabis-Industrie entwickelt hat, die Kiffer in ganz Europa neidisch werden lässt. Dr. Fritz Zeder, der Drogenkoordinator des Innenministeriums, erklärt uns das so: „Illegal ist ja keine Pflanze. Aus Sicht der Strafjustiz ist interessant, was im Strafgesetzbuch steht. Das ist eben der Paragraf 27, und da steht drinnen: ‚Strafbar ist, wer die Cannabis-Pflanze zum Zweck der Suchtgiftgewinnung anbaut’“.

Diese Definition erlaubt es Gärtnern in ganz Österreich, in ihren Blumenhandlungen neben Bananenpalmen, Engelstrompeten und kleinen Orangenbäumen auch Cannabis Sativa anzubauen und zu verkaufen. Oder eigentlich umgekehrt, denn wenn die Schätzungen des Österreichischen Hanf Verbands zutreffen und tatsächlich monatlich 250.000 kleine Stecklinge über den Ladentisch wandern, dann liegt die Priorität der Gärtner eindeutig aufseiten von Cannabis. Ein Eindruck, der in Alex’ Betrieb Flowery Field mit Hauptsitz in Brunn am Gebirge bestätigt wird. Auch wenn er uns nicht verraten will, wie viel Stück in seinen Geschäften den Besitzer wechseln, sind die Dimensionen gigantisch. Im Zuge unseres Besuchs führt uns Alex durch drei Lagerhallen voll mit hunderten Pflanzen der verschiedensten Sorten, die neben den Klassikern White Widow, Skunk und Blueberry auch mir völlig unbekannte Sorten wie Frisian Dew, Pamir Gold oder Freddy’s Best umfasst, die nach einem legendären Hanfzüchter benannt ist.

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Wer dem Klischee entsprechend Arbeiter mit Dreadlocks erwartet, die sich zu Reggae langsam durch den Tag schlafen, wird zumindest in einem Punkt schwer enttäuscht, denn in den Lagerhallen herrscht emsige Betriebsamkeit. Um die Pflanzen zu vermehren, werden zuerst die Mutterpflanzen beschnitten und die Triebe in kleine Steinwollwürfel gesetzt. In der Nebelkammer haben die Baby-Pflänzchen dann zwei Wochen Zeit, um Wurzeln zu schlagen, bevor sie in größere Würfel umgesetzt und zum Verkauf fertig gemacht werden. Alex arbeitet jedoch schon daran, diesen vielgliedrigen und relativ mühsamen Vorgang zu beschleunigen. Als wir mit ihm gemeinsam die enge Stiege im Hinterzimmer seines Geschäfts im 10. Bezirk runtersteigen, sind wir anfangs noch recht skeptisch, was uns hier erwartet.

Eine Skepsis, die nicht gerade weniger wird, als Alex das Kamerateam und mich bittet, unsere Straßenschuhe gegen eine Art Laborsocken zu tauschen, wir alle weiße Kittel bekommen und unsere Hände desinfizieren müssen, bevor er eine Tür in eine andere Welt öffnet. Im Keller unter seinem Shop hat der Inhaber von Flowery Field ein Hightech-Labor eingerichtet, in dem eine Chemikerin an der Zukunft von Cannabis forscht. Mit Equipment, das mehrere 10.000 Euro wert ist, soll so eine künstliche Züchtung der Zierpflanze vorangetrieben werden, wie sie in der globalen Agrarindustrie seit Jahren gang und gäbe ist. Für den österreichischen Staat ist Cannabis jetzt schon ein gutes Geschäft.

Alexander Kristen gibt sich ein wenig kryptisch, wenn er sagt, dass er pro Jahr „eine Million Euro Abgaben“ bezahle, ohne genauer auszuführen, was er damit meint. Aber selbst wenn der Geschäftsmann die Lohnnebenkosten genauso dazuzählt wie die Kommunalabgaben und nicht von der reinen Umsatzsteuer spricht, bleibt das eine ziemlich beeindruckende Zahl für ein einzelnes Unternehmen. Vor allem, weil der Hanf Verband von 50 bis 70 Firmen ausgeht, die sich in dem Geschäftsbereich finden. Genaueres weiß man nicht einmal bei der Wirtschaftskammer, wo mein erster Ansprechpartner glaubt, es handle sich um einen Scherzanruf, als ich mich nach harten Fakten zum Business Cannabis erkundigen will. Allerorts ist man noch skeptisch und vor allem sehr, sehr vorsichtig. Das hat auch Alex in Brunn am Gebirge gemerkt, als er seinen Hanfanbau bei der Gemeinde meldete.

„Als wir eine Betriebsanlagengenehmigung machen wollten, haben sie sich furchtbar angeschissen, dass sie eine illegale Hanfplantage bewilligen“, schildert mir Alex seine Erfahrungen mit den Behörden in Niederösterreich, als wir das Lagerhaus voller Cannabis betreten. „Der eine Sachbearbeiter wollte das überhaupt nicht. Dann hat die zuständige Leiterin den ausgetauscht gegen einen anderen und wir sind als Landwirtschaft eingestuft worden. Da braucht man keine Betriebsanlagengenehmigung.“ Neben Flowery Field haben sich in Brunn gleich noch zwei weitere Hanfbetriebe angesiedelt. In der Grow City sind zwar auch dichte, grüne Hanfpflanzen ausgestellt, aber hier dienen sie ausschließlich der Dekoration, wie mit fetten Lettern an der Vitrine vermerkt ist.

Statt Stecklingen wird hier alles andere verkauft, was man abseits der Pflanze und eines grünen Daumens noch zum Anbau von Cannabis braucht. In erster Linie sind das Düngemittel und ausgefeilte Bewässerungs- und Belüftungssysteme, die für mehrere 100 Euro den Besitzer wechseln. Stivi Wolyniec führt den Shop, der das Ausmaß eines riesigen Baumarkts hat und sowohl Privatkunden als auch den Großhandel bedient. Auch hier merkt man sofort beim Betreten, dass Kifferklischees neu überdacht werden müssen—außer in Sachen Reggae, der offensichtlich einfach dazugehört. Stivi begrüßt die meisten seiner mittlerweile 40 Angestellten, die wir treffen, mit Handschlag und vermittelt uns das Gefühl, dass für ihn die Überzeugung, das Richtige zu tun und dafür einzustehen, wichtiger sind als der Umsatz, der sich im „gerade noch nicht zweistelligen Millionen-Bereich“ bewegt.

Dementsprechend glücklich ist auch der Bürgermeister der Marktgemeinde, der von den Kommunalabgaben dieser Unternehmen profitiert. Aber das ist nur ein winziger Bruchteil des Business, denn die wahren Umsätze passieren im Handel mit Cannabis. Noch schneidet der Staat hier nicht mit und überlässt das große Geld dem Schwarzmarkt. Aber Roman, der Inhaber eines Grow Shops namens Future Grow, glaubt, es sei nur mehr eine Frage der Zeit bis zur Legalisierung auch in Österreich: „Bitte, bitte noch eine kleine Rezession und dann werden wir das Baby bald durch haben.“