"Ich würde mir den Bart abrasieren" – Mit Cid Rim bei einem erstaunlich guten Vienna-Spiel
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Österreichische Musik

"Ich würde mir den Bart abrasieren" – Mit Cid Rim bei einem erstaunlich guten Vienna-Spiel

Cid Rim ist neben Fußballprofi auch noch Schlagzeugvirtuose. Wir haben den Release seines Debüt-Albums 'Material' deshalb auf der Hohen Warte gefeiert und dabei unerwartet guten Fußball geschaut.

Fußball und ich gehen zusammen wie Tequila und ein Abend ohne kotzen. Manchmal, dann wenn's wichtig ist, bin ich halt dabei. Also bei Welt- und Europameisterschaften, bei denen ich dann mein sehr begrenztes Repertoire an Fußballhalbwissen auspacke, das ich eigentlich sehr gerne erweitern würde. Darum hatte es auch etwas Eigennütziges, als ich mir mit Clemens Bacher alias Cid Rim ausgemacht habe, auf ein Spiel des FC Vienna zu gehen. Da es mein erster (!) Besuch eines Fußballmatches war und der Vorschlag von Clemens selber kam, erwarte ich mir erstens viele Fun-Facts und zweitens einen Einblick in eine Welt, von der ich so gar keine Ahnung habe.

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Wir haben uns für ein Freitagabendspiel der Regionalliga Ost entschieden. First FC Vienna gegen FC Stadlau. Klingt auf jeden Fall nach einem Duell der Giganten, quasi das El Clásico der Regionalliga (man kann sich hier die Highlights ansehen). Nachdem wir uns ein Bier holen, erklärt mir Clemens, wo wir am besten sitzen sollen: Bei den Dudelsäcken im Fan-Eck, da wo es am meisten zugeht. Leider war das Spiel wohl nicht wichtig genug, denn die Dudelsäcke fehlen und der Tribünenplatz, wo man sie normalerweise findet, ist leer. Stattdessen setzen wir uns unabsichtlich zu den Stadlau-Fans, was wir erst bemerken, als alle um uns beim ersten Tor gegen die Vienna jubeln. Für Clemens ein No-Go, also rutschen wir einen Sektor weiter zu den Vienna-Fans. Unsere Suche nach bekannten Gesichtern der Musikszene, die man laut Clemens hier öfter findet, blieb dabei erfolglos.

Cid Rim mit Paul aka The Clonious auf der bereits leeren Tribüne. Für Fotos während des Matches waren wir viel zu sehr in das Spiel investiert.

Der eigentliche Anlass unseres Treffens hat aber viel weniger mit Fußball zu tun und viel mehr mit dem Release von Cid Rims Debüt-Album Material, das über das schottische Label Lucky Me erscheint. Die Chancen stehen gut, dass ihr das schon mitbekommen habt, denn wenn Cid Rim etwas veröffentlicht, stürzt sich der österreichische Feuilleton darauf als gäbe es warme Semmeln, die noch dazu gratis sind. Und das aus gutem Grund, denn Cid Rims unverkennbarer Stil aus virtuosen Drums – manchmal analog, manchmal digital und immer unkonventionell – und Synths, die irgendwo zwischen Jazzimprovisation und Clubabend angesiedelt sind, wirken immer wie aus der Zeit gefallen. Im positivsten Sinne. Seine Songs biedern sich keinem Trend an – typische 808-Beats sucht man hier vergeblich –, in zehn Jahren werden sie aber immer noch fresh wirken.

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Ein bisschen ist es auch so mit Clemens' Look. Die streng zurückgegelten Haare und der Mafia-Schnurrbart waren in den 50ern genau so OK wie heute. Auch wenn er einer der Wenigen ist, der ihn auch wirklich bringen kann, immerhin trägt er den Bart jetzt aber schon mindestens zehn Jahre so, erzählt er mir, während vor uns 22 Männer um einen Ball kämpfen und nur manchmal davon abhalten, um mit dem 23. Mann am Feld zu streiten, wenn der eine bunte Karte hochhält. Wahrscheinlich ist das auch ein Grund, warum Fußball so beliebt ist. Ein Fußballmatch ist einer der wenigen Orte, an denen Männer offen und gemeinsam Emotionen ausleben können.

Clemens war früher oft bei Vienna-Spielen und erinnert sich an einen Typen, der bei jedem Match seine ganze Wut rausließ, sei es am Schiri, dem gegnerischen Team oder der eigenen Mannschaft. Er stellt die Vermutung auf, dass er das aus Katharsis macht und unter der Woche wahrscheinlich der ausgeglichenste Mensch der Welt ist. Dabei kommen wir auch auf seine eigene Methode, um Ausgleich zu finden.

Der Gedanke, dass alles, was er produziert, gut sein muss, war für Clemens ein großer Stressfaktor. Abgelegt hat er das durch einen Tipp, den ihm ein Professor während seines Schlagzeugstudiums am Konservatorium Wien gegeben hat: Gehe das Musikschreiben wie einen Nine-to-five-Job an. Auch Dave Brubeck oder Bill Evans haben das schon so gemacht – das sieht man ihnen mit den dicken Hornbrillen und Anzügen auch an – und es ist OK, wenn dabei 95 Prozent der Arbeit in den Papierkorb wandert, solange man am nächsten Tag wieder weiter macht. "Ich finde den Gedanken sehr befreiend, weil es gleichzeitig heißt, dass du 90 Prozent der Zeit eine Art Freibrief hast. Du musst es nur machen und es kommt auf jeden Fall etwas raus", sagt mir Clemens.

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Zeit um Fortzugehen findet Clemens aber trotzdem noch, nur in Wiener Clubs sieht man ihn mittlerweile weniger. Das liege aber eher am Zustand der Wiener Clublandschaft, seine Musik schreibt er trotzdem noch, um sie in den Technohöhlen hören zu können. Der achte Song auf Material "Furnace" sei beispielsweise durch einen Clubabend mit Africa Hitech beeinflusst worden. Besonders der minimalistische Ansatz des Duos haben bei ihm einen einen Aha-Effekt ausgelöst. Dass es ihm trotzdem schwer fällt seine Songs auch so zu reduzieren, sieht Clemens aber ein. Es werden auch auf "Furnace" spätestens beim Refrain noch mehr Drum- und Synthieschichten aufgetragen. Wer Cid Rim schon einmal live gesehen hat, weiß, wie beeindruckend diese musikalisch dichten Momente bei seinen Auftritten sein können.

Mir ging es zum Beispiel so, als Crack Ignaz, die Waxolutionists und ich beim Auftritt von Cid Rim am Lighthouse Festival kollektiv unseren Verstand verloren. Als ich Clemens davon erzähle, erinnert er sich daran, dass er den Abend noch mit den Waxos verbrachte, von denen einer plötzlich mit einer zwei Liter Vodkaflasche auftauchte und der Rest des Abends eher verschwommen wird. Daraufhin kommen wir auf HipHop und Kollaborationen zu sprechen, während wir uns bereits dem Ende der zweiten Halbzeit nähern. Mit dem Genre hat er neben der Clubszene ebenso gute Verbindungen. Für Worst Messiah hat er (nicht nur meiner Meinung nach) einen der besten HipHop-Tracks des Jahres produziert und mit den Waxos gab's ebenfalls schon Zusammenarbeit. Als Wunschkollaborationen nennt Clemens Young Krilin und Kroko Jack, der bald nach langer Pause ein Album veröffentlicht.

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"Bei mir hab ich nicht das Gefühl, dass ich nachhelfen müsste, mit einer kreierten Person."

Es steht mittlerweile 3:1 für die Vienna, nach einem erstaunlich soliden Match, wie auch Clemens oft betont. Es fielen genug Tore, die Torhüter hatten trotzdem ihre Glanzparaden und die Spieler würden erstaunlich wenig schimpfen. Gut zu wissen, dass man auch in de Regionalliga guten Fußball sehen kann, auch wenn man mir genau das Gegenteil davon sagen könnte und ich genau so zustimmend nicken würde. Das Stadion leert sich langsam, wir bleiben noch ein wenig sitzen, während wir noch kurz unser Bier austrinken und über den neuen Mut der österreichischen Musikszene reden. Unweigerlich kommen wir auf Bilderbuch zu sprechen. Denn Sänger Maurice hat es geschafft in der zugeknöpften, weil viel zu eng verbandelten Szene sein eigenes Ding zu machen. "Jeder hier kennt jeden und man denkt sich: Warum hat der Maurice jetzt so einen komischen, roten Samtmantel an? Und ich denk mir: "Oida, endlich traut sich mal einer einen roten Samtmantel beim Weggehen anzuziehen. Genau so gehört das."

Für Clemens selber wäre eine solche Inszenierung aber zu aufgesetzt. "Bei mir hab ich nicht das Gefühl, dass ich nachhelfen müsste, mit einer kreierten Person. Meine Musik alleine ist schon relativ eigenständig. Ich brauch den roten Mantel nicht." Dass sein Bart ohnehin Markenzeichen genug ist, weiß auch er, sagt er und langsam verlassen wir auch das Stadion. Übrigens würde er ihn sich abrasieren, wenn er das richtige Wettangebot bekommt. Ich empfehle aber keine Fußballwetten, denn hier kennt sich Clemens mindestens so gut aus, wie mit seinen Drums.

Paul (also The Clonious) und Clemens unterhalten sich noch über gewisse Spieler und lassen das Match Revue passieren. Ich kann leider nichts zur Unterhaltung hinzufügen, allerdings weiß ich jetzt, dass ein Bruder eines Vienna-Spielers bei Rapid spielte. Oder so ähnlich. Wer mehr Vienna-Facts hören will, sollte Cid Rim bei seinem nächsten Gig auf jeden Fall danach fragen, falls ihr nicht auch von Auftritt weggeblasen wurdet.

Clemens veranstaltet auch Partys unter dem Namen Fluxuskompensator. Der nächste Termin ist Mittwoch, den 25. Oktober im neuen Wiener Club Sub, den wir euch hier schon vorgestellt haben. Live kann man Cid Rim das nächste Mal in Österreich am 17. November in der Stadtwerkstatt in Linz sehen.

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