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Zivilcourage

Was ihr tun könnt, wenn jemand rassistisch in der Bahn rumpöbelt

Unsere Autorin sieht, wie ein Mitfahrer rassistisch und homofeindlich wütet. Sie will handeln – und merkt, wie schwer das ist.
Symbolbild: imago | phototek

Es ist kurz nach 8 Uhr an diesem Mittwoch. Müde und noch ohne Kaffee steige ich in eine Berliner Straßenbahn. Der Waggon ist relativ leer, ich habe einen Podcast auf den Ohren, doch bereits nach wenigen Sekunden höre ich eine laute, aggressive Stimme durch die Bahn tönen. Verwirrt nehme ich die Kopfhörer ab, und tatsächlich: Ein Mann mit langen, blonden Haaren sitzt alleine in einem Vierer und brüllt das große Nichts an. Er wird Mitte 40 sein, sieht aber gealtert und müde aus. Alkoholisiert scheint er nicht, sofern ich das aus sicherer Distanz sagen kann. Der Mann meint, er sei selber Linker. Friedrichshain, "sein" Bezirk und dort, wo ich eingestiegen bin, sei "früher ein guter, linker Bezirk" gewesen, jetzt sei er "überlaufen mit Ausländern". Die würden schon sehen, was sie bald abbekämen, genauso wie die "ekelhaften Lesben". Jetzt sei es an der Zeit, sich gegen "das Ungeziefer" zu wehren. Dann holt er ein Feuerzeug heraus und fängt an zu zündeln.

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Nachdem ich zwei Sätze gehört habe, weiß ich, dass ich handeln muss. Die Aggressivität in der Stimme macht mir Angst, hinter ihm sitzt eine Frau mit einem Kleinkind auf dem Schoß, die verzweifelt versucht, das Kind abzulenken. Andere Mitfahrende gucken betreten, ein unangenehmes Schweigen breitet sich aus. Mir ist klar: Ich will die Polizei rufen, allein schon, weil ich das Gefühl habe, es könnte jederzeit knallen.

Vergangenen Sonntag eskalierte eine ähnliche Situation in einer S-Bahn auf dem Weg von Torgau nach Leipzig. Eine Gruppe angetrunkener kräftiger Männer zog randalierend durch die Bahn, beschimpfte Mitfahrende als "Zecken", prügelte auf Personen in der S-Bahn und am Bahnsteig ein. Erst nach anderthalb Stunden kam die Polizei hinzu und konnte die Situation unter Kontrolle bringen. Vor genau so einer Eskalation habe ich Angst. Also: was tun?


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"Wenn Sie das Gefühl haben, Sie befinden sich in einer Gefahrensituation, rufen Sie unbedingt die 110", sagt mir später ein Mitarbeiter der Pressestelle der Berliner Polizei im Interview. Die Polizei sei grundsätzlich auch zur Gefahrenabwehr da. Das heißt: Selbst, wenn keine konkrete Straftat vorliegt, man sich aber verängstigt oder eingeschüchtert fühlt, kann man mit gutem Gewissen die Polizei anrufen. Und wenn jemand gewalttätig wird, muss sie ohnehin gerufen werden. "Wir können nur auf Vorfälle reagieren, von denen wir Kenntnis haben", fügt der Mitarbeiter hinzu.

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Trotzdem möchte ich den Notruf nicht wählen, während ich nur wenige Meter von dem aggressiven Fremden entfernt bin. Ich steige aus, versuche die 110, komme in eine Warteschlange.

Eine Minute vergeht.

Die nächste Straßenbahn nähert sich bereits. Keine Chance, den jetzt noch zu finden, denke ich resigniert und lege irgendwann auf.

Mit einer Mischung aus Angst, Frust, Scham und Wut steige ich in die nächste Bahn. Dass der Typ einfach so davonkommt und vielleicht noch jemanden angreift, ist als Vorstellung fast unerträglich. Doch dann sehe ich den aggressiven Pöbler vor einem Supermarkt stehen, als ich an meiner Zielstation aussteige. Ich rufe erneut die Polizei an, komme durch, und beschreibe die Situation. Sie versprechen, jemanden zu schicken. Trotzdem bin ich überrascht, wie nahe mir das geht. Ich zittere und mein Herz rast; ich habe Angst. Mein Körper ist voller Adrenalin, am liebsten würde ich umdrehen und mich zu Hause ins Bett legen. Habe ich das Richtige getan? Oder habe ich mich angestellt?

"Sie haben richtig gehandelt", sagt mir ein Sprecher der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). "Es gibt keine universell gültige Handlungsanweisung, aber Sie sollten sich auf keinen Fall unnötig in Gefahr begeben." Zudem gebe es immer die Möglichkeit, den Fahrer oder die Fahrerin anzusprechen, egal, ob in Straßenbahn, U-Bahn oder Bus. "Unsere Fahrer sind immer in Kontakt mit der Leitstelle, die wiederum in Kontakt mit der Polizei steht", erklärt der Sprecher. Sowohl in der U-Bahn als auch Straßenbahn gibt es in der Nähe der Türe Notgriffe. Legt man diese um, kommt man in der nächsten Station zum Stehen. Die oder der Fahrende muss dann persönlich zur Tür kommen und nach dem Rechten sehen, um den Griff wieder umzulegen.

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Die Berliner Polizei hatte mir im Gespräch zusätzlich versichert, wie wichtig eine Meldung sei, selbst wenn man das öffentliche Verkehrsmittel schon längst wieder verlassen habe. "Fast alle Fahrzeuge unserer Flotte sind mittlerweile mit Videotechnik ausgestattet", erklärt auch der BVG-Sprecher. Wenn man einen Vorfall meldet, könne die Polizei innerhalb von 48 Stunden auf das Material zugreifen, bevor es aus datenschutztechnischen Gründen gelöscht wird. Sich also auch im Nachhinein bei der Polizei zu melden, kann bei den Ermittlungen helfen – vorausgesetzt, man ist schnell. "Manchmal wenden wir uns mit Fahnungsbildern dann ja auch an die Öffentlichkeit", ergänzt der Mitarbeiter aus der Pressestelle der Berliner Polizei.

Obwohl ich theoretisch weiß, dass ich genaue Angaben machen muss, komme ich im Gespräch mit dem Notruf der Polizei bei der Kleidung dann doch ins Schwimmen. War es eine lilafarbene oder blaue Jacke, die der Mann anhatte? Hatte er eine Tasche dabei? Prinzipiell sind alle Hinweise zum Vorfall wichtig: das Aussehen der Person, involvierte Zeuginnen oder Zeugen, Tatzeitpunkt. "Sich die Wagennummer zu merken, hilft sehr", regt der Pressesprecher der BVG am Telefon an, "die drei- oder vierstelligen Nummern können Sie innen im und draußen am Wagen sehen."

Egal, ob man während der Fahrt selbst den Fahrer verständigt oder im Nachhinein die Polizei ruft: Wichtig ist, dass man etwas tut. Das bestätigen mir sowohl die Polizei, als auch die BVG. Beim Gespräch mit dem Mitarbeiter der Polizei gestehe ich, dass ich mir unsicher war, ob es überhaupt richtig war, sie anzurufen – schließlich wurde der Mann nicht handgreiflich und beleidigte niemanden direkt. Egal, antwortete mein Ansprechpartner. "Kein Mensch wird dafür belangt, dass er sich Unterstützung bei der Polizei holt. Dafür sind wir ja da."

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