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Interview

Slime werden vielleicht 41, aber deswegen noch lange nicht leise

"Außerdem muss man ja wieder die Fresse aufmachen. Macht ja sonst keiner außer Feine Sahne Fischfilet." – Die Punk-Legenden Slime im Interview.
Foto: imago | Future Image

Am Freitag (29.09.2017) erscheint mit Hier und Jetzt das neue Album von Slime. Und obwohl sich an der Marschrichtung einer der dienstältesten Punkbands Deutschlands nichts ändert – es wird weiter ordentlich ausgeteilt – hat das Album einige Überraschungen parat. Auf dem Song "Patrioten" sind mit Irie Révoltés und Swiss und die Andern Rapper vertreten, dazu wird mit Bernd Höckes "Denkmal der Schande"-Rede eröffnet. Mit "Ich kann die Elbe nicht mehr sehen" hat es sogar ein Raggae-Ska-Mix auf die Platte geschafft. Frei nach dem Motto "Wer rastet, der rostet" haben Slime sich also weiterentwickelt, ohne den Kern vergessen zu haben.

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Doch statt hier große Worte zu verteilen, ist es doch viel besser die Band selber zu Wort kommen zu lassen. Ich habe mich mit Sänger Dirk und den Gitarristen Christian und Elf in einem Berliner Café getroffen, um über das neue Album und deutschen Punk zu sprechen. Und über die Motivation, all das auch nach 40 Jahren immer noch zu machen.


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Noisey: Ihr fangt das Album mit "Ich wünschte, unsere Lieder wären nicht mehr aktuell" an – Warum sich dann wirklich noch die Mühe machen ein neues Album aufzunehmen und nicht einfach mit den alten Liedern weiter auf Tour gehen?
Dirk: Das ist einfach der Anspruch an uns selbst. Spätestens seit unserer Wiedervereinigung 2010 war unser Anspruch, nicht zu unserer eigenen Coverband zu werden, wie es ja vielen Bands passiert. Wir wollen auf jeden Fall etwas neues machen. Dann gab es dieses Mühsam-Album, das man als Schritt zu diesem Album begreifen kann. So eine Art Selbstfindungsprozess oder wie auch immer. Außerdem muss man ja wieder die Fresse aufmachen. Macht ja sonst keiner außer Feine Sahne Fischfilet.
Christian: Wir machen ja auch Musik und wir lieben das ja auch. Wir sind ja auch eine Band, die sich nie festgelegt hat. Wir sind keine Band, wo man alle Songs kennt, wenn man einen kennt. Und da sind wir 2017 natürlich an einem ganz anderen Punkt als in den Achtzigern. Wir versuchen ja grundsätzlich auch neue Wege zu beschreiten, neue Songformen und neue Songs.
Dirk: Ein bisschen widersprechen wir uns in diesem Text natürlich auch. Aber das wird jeder auch sofort kapieren. Wir müssen diese alten Lieder ja auch noch spielen. Weil sich an der Lage ja politisch zumindest nichts positiv verändert. Es verschärfen sich ja wirtschaftliche Konflikte, Flüchtlingsströme – das passiert ja alles nicht nur bei uns. Es passiert in Polen, in Ungarn, in den USA und so weiter. Also müssen wir ja doch wieder unsere Lieder singen, und das machen wir auch gerne, weil wir lieben dieses Album, wir lieben es Musik zu machen und wir bringen es ja auch wieder auf den Punkt. Insofern passt das schon.

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Jetzt meintest du gerade, ihr müsst ja, "kriegt ja sonst niemand die Fresse auf" …
Dirk: … Na ja, das ist jetzt natürlich ein bisschen überspitzt formuliert.

"Wenn es um Bekanntheitsgrad geht, dann ist da im Punkrock eigentlich nur Feine Sahne."

Nee, ich weiß aber, was du meinst. Wie seht ihr das mit der Nachwuchssituation im Punk, die ja gar nicht so rosig aussieht, was neue Bands angeht. Oder seht ihr das anders?
Elf: Na ja, die einzigen, die sehr bekannt geworden sind in kurzer Zeit, sind Feine Sahne Fischfilet. Und die machen das auch sehr gut, finde ich. Aber sonst fällt mir da nicht viel ein. Es gibt noch kleinere Bands, die total unbekannt sind.
Dirk: Ja, Popperklopper haben zum Beispiel ein neues Album draußen!
Elf: Es gibt auch noch Dritte Wahl, die sind ungefähr so groß wie wir, würde ich sagen.
Christian: Man muss da auch ein bisschen trennen und differenzieren, weil Punkbands, die auch gut sind, bei denen man denkt, "Ey, da wird was draus!", davon gibt's hunderte in Deutschland. Aber die sind so unter dem Radar, das kriegst du einfach nicht mit. Die haben ihre Fanbase und so. Aber Bands, die so politisch sind wie Feine Sahne oder wir, da gibt es glaube ich tatsächlich nicht so viele.
Dirk: Nee, das gibt's eher im HipHop. Sowas wie die Irie Révoltés, die sicherlich dieselben Inhalte vertreten wie wir, das aber in einer ganz anderen musikalischen Form machen. Dann gibt es ein bisschen Crossover wie Swiss und die Andern – vertritt auch dieselben Inhalte. Deswegen sind die beiden auch Gastsänger auf "Patrioten". Also da kann man sicher in die Richtung HipHop/Rap gucken, da passiert ziemlich viel an politischer Musik. Wenn es um Bekanntheitsgrad geht, dann ist da im Punkrock eigentlich nur Feine Sahne.

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"Letztendlich haben wir uns natürlich auch auf Ton Steine Scherben bezogen."

Wo wir gerade bei HipHop sind: Wie seht ihr das mit Zugezogen Maskulin, die sich ja mit ihrem Albumtitel Alle gegen Alle bei euch bedient haben…
Dirk: Ach! Da kenne ich eigentlich auch nur den Namen.
Elf: Wieso hast du da nix gegen unternommen?! (lacht)
Christian: Die waren aber auch beim G20, bei der Abschlusskundgebung, da haben die auch gespielt.
Dirk: Aber ach, wieso? Das ist doch völlig OK. Also wenn sich neuere Bands auf uns beziehen, ist das doch in Ordnung. Das finde ich legitim und fast schon einen logischen Prozess. Letztendlich haben wir uns natürlich auch auf Ton Steine Scherben bezogen.
Elf: Davon mal ganz abgesehen: Alle gegen Alle ist eh von DAF geklaut.
Dirk: Was heißt geklaut … Inspiriert! Aber nee, finde ich gut!

"Willst du immer vor denselben 400 Antifaschisten 'Nazis raus!' singen? Das bringt ja auch nichts."

Als ihr euch 1984 aufgelöst habt, war ja einer der Gründe dafür, dass ihr nicht als Anführer von etwas gesehen werden wolltet. Aber eure Lieder sind nach wie vor relevant, weshalb Künstler von Kettcar über Casper bis eben Zugezogen Maskulin sich auch heute noch auf euch beziehen. Habt ihr euch also mit eurer Rolle als eine Art Galionsfigur abgefunden?
Dirk: Natürlich, auch das verändert sich. Klar, es war damals ein Hauptgrund für die Auflösung, dass wir zu Heroen wurden, während die Stranglers gesungen haben "No more Heroes". Aber das verändert sich genau so, wie sich mein Verhältnis zum Autogramme geben verändert hat. Irgendwann '93, in der Schweineherbst-Phase, steht da ein 17-Jähriger vor mir und ich halte dem einen ellenlangen Vortrag, warum es Quatsch ist, sich Autogramme zu holen bla bla,bla. Und der 17-Jährige sagt auch genau das zu mir: "Bla bla bla, gibst du mir jetzt ein Autogramm und quatscht mich hier nicht voll?"

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Seit dem Zeitpunkt sage ich: Meine Fresse, was ist denn daran schlimm, ist doch OK. Es ist ja auch geiler, wenn er sich ein Autogramm von uns holt, oder sich Bands auf uns beziehen, als wenn sie sich auf Störkraft oder die Onkelz oder so einen Müll beziehen. Also da ist mein Verhältnis viel, viel lockerer geworden. Ich mache Selfies mit den Leuten. Jetzt könnte man streng sagen, das widerspricht natürlich dieser Auflösung damals, aber irgendwann kriegt man auch so eine Lockerheit damit. Die neue Generation sieht das halt auch anders als damals.
Christian: Das glaube ich auch. Es hat sich auch verändert. Heutzutage ist das anders. Denn auch wenn wir als Slime weitermachen, sind wir natürlich andere geworden. Eigentlich ist es sogar ein sehr positiver Aspekt, dass wir dadurch jetzt die Möglichkeit haben unsere Stimme zu erheben. Das ist erstmal wichtig und gut, so sehe ich das heute.
Dirk: Genau, das kommt auch noch dazu. Wir waren damals auch sehr eng, aber wir haben uns auch spätestens seit der Schweineherbst-Phase davon ein bisschen gelöst. Es ist ja auch so: Willst du immer vor denselben 400 Antifaschisten "Nazis raus!" singen? Das bringt ja auch nichts. Da haben unsere Grenzen sich einfach ein bisschen verschoben. Sicherlich wird hier nie jemand von der BILD-Zeitung sitzen und uns interviewen. Da ist dann eine Grenze überschritten. Aber wenn du eine politische Botschaft hast, dann willst du sie natürlich verbreiten. So. Und wenn es dann dazugehört, einem 17-Jährigen ein Autogramm auf sein Slime-Shirt zu geben, meine Fresse, dann finde ich das auch nicht mehr so schlimm.
Elf: Ich habe neulich auf dem Ruhrpott-Rodeo einer Achtjährigen ein Autogramm auf ein Slime-Shirt gegeben, die mit ihren Eltern da war. Die Mutter hatte ihr ein rosa Shirt mit Slime selber draufgemalt. Ich hab die extra noch gefragt: "Hört die auch unsere Musik?" Aber ja, tut sie!

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Euch gibt es jetzt seit über 40 Jahren. Wo zieht ihr die Inspiration dafür her, immer noch neue Musik zu machen? Denn Hier und Jetzt klingt eben nicht wie die Alben von damals.
Christian: Von uns fünf hat jeder sein eigenes Leben und das sind wirklich zum Teil komplett andere Welten – auch musikalisch. Ich bin hier in Berlin in der Noise-Free-Jazz-Szene unterwegs, Alex macht ähnliches und Elf ist noch einmal was ganz anderes. Er kennt sich extrem gut aus mit allen Stilen. Ein bisschen so wie Jimmy Page, der letztendlich auch den ganzen Sound von Led Zeppelin aus der ganzen Musikgeschichte "zusammengeklaut" hat. Das Füllhorn an Ideen ist also immer da. Wir müssen nur die Zeit finden, uns zusammenzusetzen und irgendwas richtig geiles zu basteln.
Elf: Die musikalische Inspiration ist ja auch die, dass wir seit 2010 … Ich mein, ich habe immer mit irgendwelchen Bands Musik gemacht. Sogar in einer Kinderlieder-Rock'n'Roll-Band. Man will einfach Musik machen, die einem selber Spaß macht und das will man immer noch, auch wenn man schon Mitte 50 ist, scheißegal.
Christian: Ich mache ja seit Ewigkeiten ein Tonstudio. Ich habe ständig mit Bands zu tun, jeglicher Couleur. Das inspiriert einen, wenn einem etwas gefällt. Dann abstrahiert man das oder man lernt neue Produktionstechniken kennen und denkt, "Da kann ich doch dies oder das draus machen."
Dirk: Letztendlich geht's darum, was Elf schon gesagt hat: Du machst Musik, die dir gefällt. Bei uns sitzt da keine Plattenfirma dahinter, die uns sagt, was wir tun sollen oder mit der man ein Konzept entwickelt, was gerade angesagt ist und mit was man Erfolg haben könnte. Wir schreiben unsere Musik eben nicht für irgendeinen Musikgeschmack, sondern für unseren eigenen. Ich glaube das ist ein entscheidender Unterschied.

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"Die Sache ist, sich so über die Dickies aufzuregen ist irgendwo albern, weil die schon immer so eine hohlbratzige Funpunk-Band waren."

Nachdem der Sänger der Dickies letztens eine Frau im Publikum als "Fotze" bezeichnete, kochte eine Debatte um Sexismus im Punk hoch.
Dirk: Die Debatten gab es schon immer. Teilweise war das früher sogar härter. Der Ansatz, sich mit Sexismus zu beschäftigen, ist auf jeden Fall der richtige. Auf der anderen Seite ist 100 Prozent Political Correctness noch nie unser Ding gewesen. Es gibt den richtigen Ansatz und dann gibt es den Punkt, an dem es ein Dogma wird.
Elf: Da müsste Nici hier sitzen, unsere Bassistin…
Dirk und Christian stimmen ein: … Ja genau, da sind wir eigentlich die Falschen.
Elf: Ich verstehe schon, dass Leute sich darüber aufregen, wenn Leute das immer undifferenziert raushauen, als Schimpfwort für alles mögliche. Finde ich selber auch nicht gut, mache ich auch nicht. Das ist jetzt natürlich nur ein kleiner Aspekt aus diesem Bereich Sexismus. Die Sache ist, sich so über die Dickies aufzuregen ist irgendwo albern, weil die schon immer so eine hohlbratzige Funpunk-Band waren. Zwar gute Musiker mit witzigen Texten, aber auf der anderen Seite waren einige von denen jahrelang auf Heroin. Dass die jetzt keine vernünftigen Statements raushauen, wenn sie aus dem Publikum angekackt werden… Dass die so einen Satz raushauen, wundert mich überhaupt nicht.

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"In der Konsequenz ist es so, dass wir uns halt ins Dunkle zurückziehen könnten und kapitulieren, aber das bringt ja nix"

Wie fühlt es sich eigentlich an, dass eure alten Lieder immer noch aktuell sind?
Elf: Na ja, es ist ja nicht so, dass wir auf einmal gemerkt haben, dass die immer noch aktuell sind. Es hat sich ja nie etwas geändert in der Welt. Es ist immer noch beschissener geworden in Wahrheit. Dinge wie Trump in den USA – schlimmer, als Bush jemals gewesen ist. Aber so einen Song dann zu machen als Opener fürs Album…
Dirk: Das fühlt sich gut an, den zu singen. Es ist wirklich so diese Selbstreflexion nochmal…
Christian: In der Konsequenz ist es so, dass wir uns halt ins Dunkle zurückziehen könnten und kapitulieren, aber das bringt ja nix. Wir tun das nicht und wir wiederholen und variieren zwar das gleiche Thema. Aber das Ding ist eben, dass wenn wir auf der Bühne stehen und in Kontakt mit dem Publikum treten, passieren Sachen, die sind positiv. Die sind eben nicht sowas wie "Wir sind dagegen", "Es hat sich nichts geändert, man läuft gegen Wände".
Dirk: Und in diesem Zusammenhang eben auch "Let's get United" (ein Song auf Hier und Jetzt) – so ganz klar auch nochmal. Ich finde auch, uns ist es eigentlich immer gelungen aus dieser negativen Energie, weil wir haben natürlich oft gegen etwas gesungen, und trotzdem hatten wir nie das Gefühl, dass wir nur negativ sind.

Selbst "Alle gegen Alle", das ist ja eigentlich ein hartes Thema und trotzdem ist es uns immer gelungen, aus diesem negativen Thema auch etwas positives rauszuziehen und den Leuten bei den Konzerten wenigstens eine gute Zeit zu verschaffen oder sowas.
Elf: Oder auch eine positive Motivation irgendwie unter die Leute zu bringen. Das hat mit Sicherheit eine ganze Menge Leute positiv motiviert. Durch die Musik kann man Leute dazu bringen sich mehr mit einem Thema zu beschäftigen. Oder selbst wenn man sagt, dass etwas scheiße ist in der Welt, dann heißt das ja nicht, dass das alles ist. Aber dass Leute daraufhin auf eine Idee kommen, ah, da muss ich mich mal mehr drüber informieren, da lese ich mal ein Buch zum Thema. Sowas passiert auf jeden Fall.
Dirk: So wie Ton Steine Scherben das damals bei uns bewirkt haben.

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Hier und Jetzt von Slime erscheint am 29.09. bei People Like You Records und kann hier bestellt werden.

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