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Gentrifizierung

Ein Spießer schreibt eine minutiöse Bedienungsanleitung gegen Lärmbelästigung im Prenzlauer Berg

Es ist dein Traum, mitten in der Nacht Lärmprotokolle anzufertigen und die dann ans Ordnungsamt zu schicken? Du bist nicht allein.
Foto: imago | Lars Reimann

Sein wir mal ehrlich: Protokollführen war schon immer scheiße. Was gehört rein, was nicht? Und vor allem: Ständig muss man aufmerksam zuhören. In einem Aushang rund um die Kulturbrauerei im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg ruft ein Anwohner dazu auf, genau das zu machen: freiwillig und mitten in der Nacht Protokolle schreiben. Denn: "Wahrscheinlich ist Euch auch aufgefallen, dass es neuerdings auf dem Gelände der Kulturbrauerei zu erhöhtem Lärm kommt. Wer dies nicht mehr hinnehmen will, kann sich folgendermaßen dagegen wehren."

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Über diesen Aushang wiederum regen sich gerade viele auf, es ist eine weitere Runde Spießbürger vs. Großstadtleben in der Kampfarena Prenzlauer Berg.

Was im Aushang folgt, ist eine detaillierte Anleitung, wie und bei wem sich Anwohner am effektivsten über den vermeintlichen Lärm beschweren können – unbeirrt der Prämisse folgend, dass diese das auch tatsächlich wollen. Der Zettelschreiber nennt die entsprechende Polizei-Durchwahl und gibt Instruktionen, wie eine Anzeige am effektivsten ist: "Es reicht nicht aus, dass man sagt, die Kulturbrauerei ist zu laut". Clubs und Veranstaltungen müssten genau benannt werden.

Dazu muss man wissen: Der Prenzlauer Berg ist mittlerweile ein echter Anti-Krach-Ort, die Kulturbrauerei mit ihren verschiedenen Clubs, einem Supermarkt und dem Arial-Yoga-Studio ein Ausgeh-Ort für Leute, die gern zu Will Smith und Helene Fischer tanzen.

Der Highlight-Vorschlag des Ordnungsliebenden dann weiter unten:

"Es macht Sinn, auf die Internetseiten der Betreiber (Anm.: der verschiedenen Clubbetreiber in der Kulturbrauerei) zu gehen. Dort sieht man, was genau los ist. So kann man gezielt ein Protokoll anfertigen." Dieses solle man dann ans Ordnungsamt schicken, Kontaktdaten und Ansprechpartner werden selbstverständlich und serviceorientiert genannt. Leider gibt es keine weiteren Instruktionen: Ergebnisprotokoll? Verlaufsprotokoll? Wie vermerke ich, wer anwesend war?

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Es ist nur eine Vermutung, aber wahrscheinlich kann jemand, der mitten in der Nacht ein Lärmprotokoll im Prenzlauer Berg führt, nur deshalb nicht schlafen, weil er sich genau darauf konzentriert: keinen Mucks zu verpassen.

Das sieht auch ein anderer Anwohner so: Auf einem Antwort-Aushang beglückwünscht er den Spießer zum "Kulturwürgerpreis" für seine "Anleitung zum Petzen" und fragt: "Wo bleibt das Lebenswerte am Bezirk, wenn alles was Spaß und Freunde bringt, vertrieben wurde?" Es folgt der Hinweis, dass der Bahnlärm an der Schönhauser Allee sicher lauter sei als jeder Club.

Hier die ausführliche Anwohner-Replik:

Auch wenn nicht alle der Petz-Bedienungsanleitung folgen wollen, leichter wird es für die Clubs der Kulturbrauerei in Zukunft nicht. Die Anwohner-Antwort weist drauf hin: Es wäre nicht die erste Spießer-Revolte, die erfolgreich war. Ende 2010 musste der Knaack-Klub an der Greifswalder Straße schließen, auch andere Clubs sind Geschichte im Prenzlauer Berg. Denn: Zugezogene hatten sich über den nächtlichen Lärm beschwert.

Ob das durch Lärmprotokolle geschah, ist nicht bekannt.

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