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Wie eine freundliche Schriftart gerade eine Regierung ins Straucheln bringt

Selten werden Politiker so leicht beim Lügen erwischt wie in diesem Korruptionsskandal um Twitter, Wikipedia und einem fatalen Stück Papier.
Bild: Twitter

Diese Geschichte beginnt mit den Panama Papers und wird von da aus nur noch absurder. Große Wissensseiten im Internet und eine adrette Microsoft-Schriftart sind die ungewöhnlichen Zeugen in einem kuriosen Skandal um Korruption, Stümperhaftigkeit und Betrug, die eine elitäre Familie zum Twitter-Gespött macht und sogar die Regierung eines der bevölkerungsreichsten Länder der Welt ins Straucheln bringt.

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Ohne den Leak der Dokumente, die als #PanamaPapers Wellen schlugen, wäre der Fall nie ans Licht gekommen: Die pakistanische Präsidentenfamilie, so legen Verträge nahe, würde ihren verdächtig großen Reichtum unbekannten Ursprungs in dubiosen Offshore-Firmen verstecken.

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Das Joint Investigation Team (JIT), ein unabhängiger Ausschuss zur Aufklärung der Panama Papers-Affäre, beginnt zu ermitteln. Im Zentrum des Interesses steht schnell die Tochter des pakistanischen Präsidenten, Maryam Nawaz Sharif.

Konkret geht es um die Frage: Hat sie über die Sharif'schen Briefkastenfirmen einen Haufen Luxusapartments in London gekauft und nicht versteuert (was für das politische Amt ihres Vaters sehr ungünstig wäre) oder kann sie beweisen, dass ihr die Wohnungen nicht gehören (was die Familienehre retten würde)?

Maryam Sharif spielt den Ball lässig zurück. Um ihre weiße Weste zu belegen, legt sie dem JIT, dem höchsten Gericht des Landes – und ihren Twitter-Followern – ein paar Dokumente vor, die sie als völlig unschuldig und integer ausweisen. Sie sind in der Schriftart "Calibri" abgetippt und auf Februar 2006 datiert.

Blöd nur, dass diese Schriftart erst seit 2007 auf den Computern dieser Welt zu finden ist.

Das bestätigte zwischenzeitlich auch ihr Erfinder, der niederländische Typograph Lucas de Groot, welcher unter anderem auch die Hausschriften des Spiegels und der ARD gestaltet hat.

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Die plumpe Fälschung, über die nicht nur ganz Pakistan den Kopf schüttelt, könnte ihrem Vater die Präsidentschaft kosten – und dem Ruf der Tochter für immer anhaften.

Doch es gibt noch einen Plot-Twist, denn Sharifs Lager hat noch ein As im Ärmel, um die Familie zu entlasten: Denn die Schriftart Calibri wurde zwar erst im November 2006 mit dem Office-Paket auf Windows Vista an die Öffentlichkeit ausgeliefert, war allerdings schon ein bisschen früher fertig entwickelt: Sie fand sich auf extrem seltenen Beta-Versionen von Vista, das damals noch als "Project Longhorn" bekannt war.

Hatte der Verfasser des Dokuments also zufällig eine extrem rare Longhorn-Beta ergattert, mal eben die neuen Office-Schriftarten durchprobiert und alles geht doch mit rechten Dingen zu?

De Groot äußert sich diplomatisch, lässt aber durchscheinen, auf welcher Seite der Geschichte er sich stellt. "Frühe Beta-Versionen von Microsoft Windows sind für Programmierer und Tech-Freaks bestimmt", erklärt er gegenüber der pakistanischen Zeitung Dawn. Man hätte die Schriftart schon aus den Händen von Computernerds reißen müssen.

"Wieso würde irgendjemand eine komplett unbekannte Schriftart für ein offizielles Dokument benutzen wollen?", fragt de Groot.

Maryam Nawaz Sharif versucht nun, die Sache auszusitzen – aber hat sich auf Twitter schon längst zum Gespött ihrer Landsleute gemacht. Derweil fordert die Opposition unter der Führung von Imran Khan den Rücktritt des Präsidenten; die Sharifs hätten "jegliche moralische Autorität verloren". Nach aktuellem Stand hat die Familie versucht, das Hohe Gericht und die Ermittler zu täuschen – mit einer extrem schlechten Fälschung, sollte die Beschuldigte nicht noch einen Joker aus dem Hut zaubern.

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"Der nächste Brief ist dann von Bill Gates und will Sharif die Schriftart 1994 als Präsent überreicht haben", prognostiziert ein pakistanischer Twitter-Nutzer sarkastisch.

Wikipedia kann stolz auf sich sein: Die Editoren frieren sofort die Calibri-Seite ein

Offenbar erhielt Sharif auch im Internet Schützenhilfe bei der kreativen Auslegung von Tatsachen: Irgendjemand mit pakistanischer IP hat im Zuge der Affäre nämlich mehrfach versucht, die Wikipedia-Seite der Schriftart zu editieren – vielleicht, um zu beweisen, dass Calibri ca. 1865 im pakistanischen Kaschmirgebirge in Stein gemeißelt wurde. Binnen zwei Tagen erhielt die Editier-Seite 300 mal mehr Aufrufe als üblich.

Doch auch das flog auf. Wikipedia regierte auf die versuchte Faktenfälschung fix: Die Editoren sperrten die Bearbeitungsfunktion des Artikels zu Calibri sofort, "bis der Disput beigelegt ist".

Bild: Screenshot Wikipedia

Für die Wikipedianer ist diese schnelle Reaktion "ein stolzer Moment", wie es in der Artikeldiskussion heißt. "Es kommt nicht oft vor, dass ein Wikipedia-Eintrag direkt in einen internationalen Politik-Skandal verwickelt wird. Die Geschwindigkeit und Effizienz, mit der die Integrität dieses Eintrags geschützt wurde, ist ein Beispiel und ein Beweis dafür, dass das Wiki-Modell funktioniert."