100 Mio. Dollar für genetisches Ausrottungsprogramm: Der Gene Drive kommt
Mückenschwarm über dem Lake Malawi | Foto: imago/Xinhua

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100 Mio. Dollar für genetisches Ausrottungsprogramm: Der Gene Drive kommt

1.200 E-Mails, die jüngst veröffentlicht wurden, belegen: Der größte Geldgeber hinter den ethisch umstrittenen Experimenten der Gene Drive-Forschung ist das US-amerikanische Pentagon.

Es ist der Stoff, aus dem Endzeitfilme gemacht sind: eine genetische Massenvernichtungswaffe, die ganze Populationen ausrotten kann, entwickelt von Wissenschaftlern, die an das Gute glaubten, finanziert von der größten Militärmacht, die die Menschheit je gesehen hat.

Doch die von der kanadischen Nichtregierungsorganisation ETC Group gerade veröffentlichten E-Mails beschreiben keinen postapokalyptischen Filmplot. Die Dokumente geben sehr reale Einblicke in eine der umstrittensten Technologien der Gegenwart: dem Gene Drive. Mit dieser molekularbiologischen Methode lässt sich nicht nur das Erbgut eines Organismus' gezielt verändern. Zugleich kann Gene Drive auch die manipulierten Gensequenzen dazu zwingen, sich innerhalb des Organismus' selbst zu kopieren und auf dessen Nachkommen überzugehen. Die gewünschte Veränderung ließe sich so schnell auf die gesamte Population einer Spezies ausbreiten.

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Vor allem Malaria-Moskitos oder andere gefährliche Mückenarten sollen mit diesem genetischen Vervielfältigungsmechanismus bearbeitet werden. Den tödlichen Krankheitsüberträgern könnte ein Unfruchtbarkeitsgen eingepflanzt werden, das zügig auf die gesamte Art übergehen würde. Gefährliche Krankheiten wie Malaria, Zika- oder das Dengue-Fieber könnten damit ausgerottet werden, so hoffen die Fürsprecher der Forschungsrichtung – allerdings ginge dabei auch die Moskitopopulation drauf. Andere Anwendungen des Gene Drive betreffen die Verbreitung von Genen in Tieren, um sie bei lebendigem Leib gegen Ebola- und Zikaviren zu wappnen.

Neue Brisanz erhält die Debatte um den Einsatz der Technologie nun durch die Veröffentlichung der ETC Group, die laut Website für ökologische Diversität und Menschenrechte eintritt. Die circa 1.200 E-Mails erhielt die Gruppe auf offizielle Anfrage an die kanadischen Behörden, dem sogenannten "Access to Information Request", den jeder Bürger in Kanada stellen kann.

Die Dokumente zeigen, dass ein bedeutender, wenn nicht sogar der weltweit größte Geldgeber für die Gene-Drive-Forschung eine Unterbehörde des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums ist. Die US-amerikanische Rüstungs- und Forschungsbehörde DARPA finanziert die Arbeit an den manipulierten Genen offenbar mit bis zu 100 Millionen US-Dollar – 45 Millionen US-Dollar mehr als bisher angenommen. Neben dem Mückenvernichtungsprogramm sponsort die DARPA auch Projekte, die Gene besser vor unerwünschter Genveränderung schützen wollen.

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Die Dokumente belegen darüber hinaus, dass die Bill und Melinda Gates Foundation 1,6 Millionen US-Dollar für Lobbyarbeit ausgab, um ein mögliches Verbot der Forschung durch die Vereinten Nationen zu verhindern.

Denn bei der Weltorganisation gibt es vermehrt kritische Stimmen. Es gibt Überlegungen, die Forschung stärker zu regulieren und ein Moratorium zu beschließen. Gerade tagen UN-Vertreter und Experten zum Thema Gene Drive – und über synthetische Biologie im Allgemeinen – im kanadischen Montreal.

Genantrieb trift auf Unfruchtbarkeitsgen: Wie man eine ganze Spezies ausrottet

Das Prinzip der Gene-Drive-Methode in Verbindung mit dem Unfruchtbarkeitsgen scheint simpel: Rotte die Krankheit aus, indem du die Spezies ausrottest, die sie überträgt. Gene Drive, das sich annäherungsweise mit "Gen-Antrieb" oder "Gen-Beschleuniger" übersetzen könnte, bezeichnet eine Art künstliches Gen, das sich mit extremer Schnelligkeit vervielfältigt. Sobald es sich im Körper etwa einer Moskito-Mücke breitgemacht hat, werden die Nachkommen der Mücke die veränderte Sequenz in 99 Prozent ihres Genmaterials wiederfinden. Für gewöhnlich liegt die Vererbungsrate bestimmter Gene bei Mücken bei der Hälfte – das Erbgut wird wie beim Menschen von Vater und Mutter zu jeweils 50 Prozent übertragen.

Weder die Idee noch die Forschung an dieser Ausrottungsmethode ist neu. Doch erst vor zwölf Monaten gelang auch der Durchbruch in der Praxis. Voll entfalten kann sich der Gene Drive nämlich erst in Verbindung mit der sogenannten CRISPR/Cas9-Methode.

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Mit CRISPR lassen sich einzelne Sequenzen aus der DNA herausschneiden und andere, manipulierte Sequenzen einbauen. Das vielversprechende Verfahren, das erst wenige Jahre alt ist, hat als eine Art molekulare Schere Aufsehen erregt, mit der man sich – zumindest theoretisch – die DNA seiner Wahl zusammenschnippeln kann. Mithilfe dieser Methode konnten bereits Schweine zum Organspender für den Menschen gemacht oder Hunde mit doppelter Muskelmasse gezüchtet werden.

Tod durch Paarung

Durch die Koppelung beider Methoden ­­– der Kopiermechanismus des Genantriebs mit der DNA-Präzisionsschere namens CRISPR/Cas9 – können Forscher also eine beliebige Gensequenz in einen Organismus einpflanzen, der wiederum selbst dafür sorgt, dass sich die Sequenz auf die gesamte Spezies ausbreitet.

An diesem Punkt knüpft eines der Forschungsprojekte der DARPA an: Setzt man beispielsweise Moskito-Mücken ein Unfruchtbarkeitsgen ein, sorgen die Mücken selbst dafür, dass alle Nachkommen unfruchtbar werden: Die manipulierten Mücken können selbst noch Nachkommen zeugen, da das veränderte Gen nur einen Teil des Chromosomenpaars befällt. Erst bei der Paarung würden die Chromosomenpaare des Männchens und des Weibchens zusammengeführt, und das Unfruchbarkeitsgen entfaltet sein Vernichtungspotential. Die Spezies würde an ihren eigenen Genen zugrunde gehen – und mit ihnen auch die Malaria-Bakterien.

Das Ziel: Freilassen der Kamikaze-Moskitos ab 2029

In einer späteren Phase der Forschung könnten die Labor-Mücken dann in freier Wildbahn ausgesetzt werden. Laut einem Forschungsprojekt am Imperial College in London namens "Target Malaria" soll das in nicht allzu ferner Zukunft geschehen. Ein Geschäftsplan der Bill und Melinda Gates Foundation, die das Projekt unterstützt, nennt das Jahr 2029. Der Plan: Die Mücken werden in Malaria-Gebieten in Afrika entlassen, tragen das Supergen in die gesamte Moskito-Population und blockieren so die Fortpflanzung der Spezies. Tod durch Paarung – Malaria würde aussterben, und mit der Krankheit auch die Mücken.

"Malaria ist die Folge von Armut, politischer Instabilität und einem fehlenden politischen Willen", zitiert die Technology Review den italienischen Parasitologen Andrea Crisanti, der an dem Projekt am Imperial College arbeitet. Mit dem Gene Drive soll das erreicht werden, "was wir politisch oder ökonomisch nicht tun können", so Crisanti gegenüber dem Magazin. "Ich denke, es ist ein Wettbewerb zwischen der Spezies Mensch und den Moskitos. Und ich denke nicht, dass eine Spezies das Recht hat zu existieren oder nicht zu existieren", so der Forscher weiter.

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Malaria ist eine der verbreitetsten Krankheiten für den Menschen. Unbehandelt kann sie zum Tod führen. 212 Millionen Menschen waren im Jahr 2015 laut der Weltgesundheitsorganisation WHO mit Malaria-Erregern infiziert, 430.000 Menschen starben daran.

Auch Säugetiere im Fokus der Genpanscher

Laut einigen Verfechtern des Gene Drive ist die Ausrottung von Malaria-Mücken jedoch erst der Anfang. Auch Nagetiere, Mäuse oder die Aga-Kröte, die in Australien als Plage gilt, könnten ins Visier eines Gene-Drive-Programms kommen. So schreibt Royden Saah von der NGO Island Conservation an einen beteiligten Forscher: "So wie Sie wollen wir Leben retten, Lebensressourcen schützen und unsere Welt für kommende Generationen erhalten." Doch jedes Jahr zerstörten Nagetiere Infrastruktur und Ernte, würden Krankheiten übertragen und Milliardenschäden anrichten. Die Nager zu töten, sei die einzige Möglichkeit, ihnen beizukommen, so Saah laut der E-Mail.

Tatsächlich sind Nager in einem Projekt der North Carolina State University (NCSU) als Versuchsobjekte für die Gene Drive-Methode aufgeführt. Das Projekt wird ebenfalls von der DARPA finanziert. Ziel ist es, den Gene Drive-Ansatz auch bei Säugetieren zu testen. Sollte das Experiment klappen, soll es später auch auf Mäuse übertragen werden.

Immenser Nutzen, immenses Risiko

Sollte die neue biologische Wunderwaffe es tatsächlich schaffen, Malaria, das Zika- oder das Dengue-Fieber auszurotten, wäre der Nutzen für Millionen von Menschen immens. Doch die Technologie birgt Risiken – auch abseits der ethischen Frage, ob die Ausrottung einer Krankheit über die Ausrottung einer Spezies laufen darf.

Wie Experten betonen, können auch ganz praktische Risiken bestehen, etwa wenn die manipulierten Gene aus dem Labor in die Freiheit entlassen werden. Die Technologie könnte außer Kontrolle geraten, beispielsweise könnten sich die Gene weiter ausbreiten als geplant und andere Insekten oder Tiere befallen. Ganze Ökosysteme und Biosphären könnten umgestülpt werden, mit ungeahnten Konsequenzen auch für den Menschen.

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Auch unter Gentechnikern selbst ist die Forschung umstritten. "Wir haben die Gesetze der Evolution gebrochen", hieß es schon 2014 in einer öffentlichen Erklärung von zehn Forschern. "Schützt die Gesellschaft vor unseren Erfindungen", bitten die Wissenschaftler die Öffentlichkeit.

Beteiligung des Militärs auch bei den beteiligten Forschern umstritten

Was die E-Mails außerdem belegen: Auch unter den am Projekt beteiligten Wissenschaftlern ist es umstritten, dass die DARPA als Hauptsponsor der Gen-Experimente auftritt. So beschwert sich ein PR-Sprecher der Partnerorganisation Island Conservation, Heath Packard, dass sich einer der Wissenschaftler in einem Interview kritisch über die DARPA geäußert habe. Todd Kuiken solle daran erinnert werden, dass seine persönlichen Ansichten gegenüber der DARPA nachrangig seien, schreibt Packard an einen Kollegen Kuikens. Packard schätze Kuikens "akademische Unabhängigkeit", doch er solle sich hier als Teil des Teams verstehen.

Die Äußerungen, die dem PR-Strategen aufstoßen, gehen auf einen Text in dem Wissenschaftsmagazin Nature zurück. Kuiken wird von dem Magazin mit den Worten zitiert, er habe "Sorgen", dass die DARPA-Mittel dem Image der Gene Drive-Forschung schaden könnte; insbesondere in Teilen der Welt, in denen das US-Militär keinen besonders guten Ruf hat, aber wo Malaria stark verbreitet ist.

Kuiken jedoch scheint sich nicht daran halten zu wollen. Auch heute, knapp fünf Monate nach Packards E-Mail, äußerte sich der Wissenschaftler gegenüber dem Guardian erneut kritisch über die Beteiligung der DARPA. Dass das US-Militär ein Hauptsponsor der Forschung sei, bedeute, dass Wissenschaftler, die von der Finanzierung abhängig seien, "ihre Projekte den schmalen Zielen dieser Militärorganisationen anpassen" würden.